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Fettabsaugung bei Lipödem: alles andere als eine reine Schönheits-OP

1 Kommentar Aktualisiert am 04. Februar 2019

Fett einfach wegsaugen – und danach nie wieder Figurprobleme! Viele verbinden diese schöne Hoffnung mit einer Fettabsaugung. Doch was für die einen eine rein ästhetische Operation ist mit dem (nicht immer erreichbaren) Ziel, schlanker und straffer auszusehen, ist für andere eine wichtige medizinische Behandlungsmethode bei einer ernstzunehmenden Erkrankung, nämlich beim Lipödem.

 

Beim Lipödem handelt es sich um eine Störung der Fettverteilung im Körper, bei der sich Fett in bestimmten Körperteilen ansammelt, meist an Oberschenkeln, Hüften und Po, aber auch an den Waden und im Bereich der Kniegelenke, im fortgeschrittenen Stadium auch an den Armen. Viele kennen diese Erkrankung auch unter der bildhaften Bezeichnung „Reiterhosen“ oder „Säulenbein“. 

 

Die Krankheit wird über die Gene ausschließlich an Mädchen und Frauen vererbt, sie bricht meist bereits während der Pubertät – häufig zunächst ohne Schmerzen – aus. Es wird vermutet, dass das Lipödem hormonell beeinflusst wird, genaue Erkenntnisse zu den Ursachen und Auslösern gibt es jedoch noch nicht. Es wird geschätzt, dass in Deutschland mindestens vier Millionen Frauen und Mädchen betroffen sind.

 

Ein Lipödem wird in mehrere Stadien und fünf verschiedene Schweregrade von Typ I bis Typ V unterteilt. Bei Typ I, dem sogenannten Reiterhosen-Phänomen, liegt eine Fettgewebsvermehrung im Bereich von Po und Hüften vor. Bei Typ II reicht das vermehrte Fett bereits bis zu den Knien, es bilden sich überlappende Fettschichten in den Innenseiten der Knie. Bei Typ III breitet sich das Lipödem von den Hüften bis zu den Knöcheln aus. Bei Typ IV sind Arme und Beine bis zu den Handgelenken bzw. Fußknöcheln betroffen, auch hier kommt es zu Fettüberlappungen an Händen und Füßen. Typ V weist starke Wassereinlagerungen in Hand- und Fußrücken, Fingern und Zehen auf.
 

Wie äußert sich das Lipödem?

 

Das Lipödem ist nicht heilbar; es gibt nicht einmal Medikamente dagegen. Ohne die richtige Behandlung verschlimmert sich die Krankheit immer mehr. Dazu kommen in jedem Fall Bewegungseinschränkungen und zum Teil heftigste Schmerzen an den betroffenen Stellen und in den Gelenken, sodass die Betroffenen unter ihrer Krankheit schwer zu leiden haben. Ein enormer psychischer Belastungsfaktor ist die Ablehnung durch andere Menschen: Über abfällige Blicke, böse Kommentare über den „fetten Hintern“ und Ähnliches mehr wissen alle Betroffenen ein Lied zu singen. Viele Erkrankte wissen über viele Jahre nicht, was mit ihnen los ist, halten ständig Diät und sind zunehmend verzweifelt, weil das Fett aus für sie unerklärlichen Gründen einfach nicht schwinden will.

 

Die typischen Symptome sind zunächst Orangenhaut (Cellulite), später dann größere Dellen und knotenartige Verhärtungen unter der Haut, die beim Berühren schmerzen. Weiter äußert sich das Lipödem mit einem extremen Schweregefühl in den Beinen bzw. Armen, unerklärlichen Druckschmerzen und Berührungsempfindlichkeit und teils schmerzenden Hämatomen schon beim kleinsten Stoß. Oft werden die Beine immer dicker, obwohl man Sport treibt und sich figurbewusst ernährt. Wer diese Symptome an sich feststellt, sollte sich an einen Phlebologen, einen Lymphologen oder einen Gefäßspezialisten wenden. Es ist oft alles andere als einfach, die Erkrankung abzuklären. Noch immer wird das Lipödem lange Zeit nicht erkannt, da die Symptome auch auf andere, verbreitetere Krankheiten schließen lassen: so muss das Lipödem u.a. von einer Herz-, Nieren- oder Veneninsuffizienz abgegrenzt werden.

 

Therapie des Lipödems: konservativ oder operativ

 

Das Lipödem kann zum einen mit einer konservativen Therapie behandelt werden, bei der ausschließlich auf die Entstauung der Extremitäten von überschüssiger Lymphflüssigkeit und damit auf eine Linderung der Symptome abgezielt wird. Behandelt wird dann regelmäßig – oft ein Leben lang – mit manueller Lymphdrainage mit anschließender Bandagierung und/oder anderen Kompressionsmethoden, Bewegungstherapie sowie einer speziellen Hautpflege. Durch diese Methoden – kombiniert mit Sportarten wie Laufen, Schwimmen oder Aquajogging – wird durchaus häufig eine leichte Reduzierung des Umfangs der betroffenen Körperstellen und vor allem eine deutliche Linderung der Schmerzen erreicht.

 

Um das Fettgewebe dauerhaft zu entfernen bzw. zu reduzieren, steht beim Lipödem nur die operative Methode der Fettabsaugung zur Verfügung. 
 

Die Liposuktion bei Lipödem

 

Die Liposuktion bei Lipödem (griechisch „lipos“ = Fett, lateinisch suctio = Saugen) grenzt sich streng von der rein ästhetischen Fettabsaugung ab; sie hat keine Gewichtsreduzierung und Verschönerung, sondern ausschließlich die Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes zum Ziel. Zwar kann das Lipödem auch mit dieser Methode nicht geheilt werden, doch immerhin sind die meisten Patientinnen danach lange Zeit weitestgehend beschwerdefrei. Das ist vor allem dann der Fall, wenn frühzeitig, am besten bereits im Stadium eins der Krankheit, operiert wird. In der Regel sind die möglichen Neben- und Nachwirkungen einer Liposuktion vorübergehend sowie gut beherrschbar bzw. vermeidbar; auch Komplikationen treten eher selten auf.  

 

Selbstverständlich muss vor einem solchen Eingriff zunächst einmal ein erfahrener und vertrauenswürdiger Arzt gefunden werden – nicht selten müssen Erkrankte mehrere Fachärzte aufsuchen und einen langen Leidensweg zurücklegen, bis sie endlich den richtigen Ansprechpartner für sich gefunden haben. Dieser sollte zum einen genügend einschlägige Erfahrung haben und sich zum anderen gründlich mit der individuellen Situation der Patientin vertraut machen, alle notwendigen Voruntersuchungen durchführen und über sämtliche Risiken und möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen der Operation umfassend aufklären. Nach der OP werden bestimmte Nachbehandlungen und Verhaltensmaßnahmen der Patienten notwendig; auch hierbei sollte der Arzt weiterhin engmaschig begleiten und alle Maßnahmen überwachen. Unter bestimmten Umständen ist eine Liposuktion bei Lipödem nicht angezeigt; es spricht für die Seriosität und die fachliche Expertise eines Arztes, wenn er ggf. von der Operation ganz abrät.

 

Schmerzfreiheit nach der OP

 

Eine erfolgreiche Liposuktion, die ambulant oder stationär in einer Klinik durchgeführt wird, kann den Erkrankten große und weitreichende Erleichterungen verschaffen: Sie kann u.a. Wasseransammlungen und daraus resultierende Schmerzen z.T. völlig zum Verschwinden bringen, unter Fettüberlappungen liegende Hautfalten beseitigen, sodass sich dort keine Infektionen mehr entwickeln können, die Neigung zu Hämatomen verringern und ständige Lymphdrainage und das Tragen von Kompressionsstrümpfen überflüssig machen. Nicht zu vergessen, dass durch eine Minderung der Symptome häufig auch der zuvor unproportionierte Körper schöner aussieht und somit auch die psychische Belastung abnimmt. Geht alles gut, kann eine solche Fettabsaugung eine enorme Verbesserung der gesamten Lebensqualität mit sich bringen.

 

Doch gibt es Einschränkungen. So kann auch nach dem Eingriff eine gewisse Neigung zu schmerzauslösenden Flüssigkeitseinlagerungen weiter bestehen. Weil man die genauen Ursachen der Erkrankung bislang noch nicht kennt, kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass nach der Fettabsaugung erneut ein Lipödem auftritt – wobei diese Möglichkeit unter Experten als unwahrscheinlich betrachtet wird.

 

Nicht zuletzt betonen Mediziner, dass die durch den Eingriff gelinderten Symptome und die verbesserte Lebensqualität auf Dauer nur durch eine allgemein gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung und ausreichend Bewegung beibehalten werden können.

 

Auf die Menge des abgesaugten Fetts kommt es an

 

Was die Risiken der Fettabsaugung angeht, so gilt allgemein, dass diese und die daraus folgenden Belastungen für den Organismus mit der Menge des abgesaugten Fetts steigen. Die meisten Experten auf diesem Gebiet empfehlen, dass pro Eingriff nicht mehr als fünf Liter abgesaugt werden soll – auch wenn größere Mengen möglich sind. Die zu operierenden Bereiche werden vorab in Zonen eingeteilt: Oberschenkel vorn, Oberschenkel hinten, Oberschenkel außen, Oberschenkel innen, Knie innen, Waden, Gesäß, Hüfte, Bauch, Rücken, Oberarme. Maximal zwei Zonen werden in einer Operation bearbeitet. Soll an verschiedenen Zonen bzw. Körperregionen abgesaugt werden, wird in der Regel jeweils ein zeitlicher Abstand von vier bis sechs Wochen eingehalten. Größere Fettabsaugungen an derselben Körperregion dagegen werden auf mehrere Eingriffe verteilt, zwischen denen jeweils sechs bis 12 Monate vergehen sollten.

Operierende Ärzte wenden in den allermeisten Fällen eine von zwei Methoden bei der Liposuktion an: entweder die WAL-Technik oder die TLA-Technik. Beide Methoden gelten als sehr gewebeschonend; abgesaugt wird bei beiden mittels sehr feiner Kanülen, über die das Fett herausgerüttelt und abgesaugt wird. Die Techniken werden in örtlicher Betäubung angewandt, das heißt, die Patientinnen sind bei vollem Bewusstsein, sofern sie keinen Dämmerschlaf oder gar eine Vollnarkose wünschen. Schmerzhaft sind beide Methoden jedenfalls nicht.

Die häufigsten Operationstechniken: TLA und WAL

Bei der sehr häufig angewendeten Tumeszenz-Lokalanästhesie (TLA) wird dem Patienten vor dem Eingriff die sogenannte Tumeszenz-Flüssigkeit injiziert, die bewirkt, dass das Fett aufquillt und somit leichter abzusaugen ist. Außerdem ist in der Flüssigkeit ein Lokalanästhetikum (örtliches Betäubungsmittel) enthalten, die Patientin spürt also nichts von der Fettabsaugung, gleichzeitig bleibt jedoch eine belastende Vollnarkose erspart. Vorteilhaft ist auch, dass die Patientin während der Behandlung aufstehen kann – dadurch können auch evtl. vorhandene restlichen Fettdepots, die im Liegen nicht sichtbar sind, entfernt werden.

 

Die Wasserstrahl-assistierte Liposuktion (WAL) wird bisher noch eher selten angewendet, wird aber als besonders schnell und schonend geschätzt. Auch bei ihr verabreicht der Operateur zunächst Tumeszenz-Flüssigkeit mit der enthaltenen Lokalanästhesie, jedoch wird bei dieser Methode eine weit geringere Menge der Flüssigkeit benötigt. Durch die geringere Menge werden die behandelten Bereiche deutlich weniger aufgeschwemmt, sodass der Arzt schon während der Operation das Ergebnis sehr gut einschätzen und bereits während des Eingriffs Dellen und Unebenheiten ausgleichen kann. Auch wird für die Operation meist weniger Zeit benötigt, weil die Einwirkzeit der Lösung kürzer ist.

 

Der Operateur arbeitet mit einem feinen Wasserstrahl, der das Fettgewebe sehr sanft vom restlichen Gewebe lösen kann. Der Druck des Wasserstrahls passt sich dabei den bearbeiteten Bindegewebsstrukturen jeweils optimal an, so dass die Fettdepots ganz gezielt herausgelöst werden können. Zusätzlich wird ein zweiter Wasserstrahl eingesetzt, mit dem das Wasser in einem Arbeitsgang mit dem herausgelösten Fett wieder abgesaugt wird. Das hat den Vorteil, dass die Belastung der Patientin durch Medikamente und Tumeszenz-Flüssigkeit deutlich verringert wird.

 

Bezahlen müssen bislang die Patientinnen selbst

 

Ein großer Wermutstropfen für alle Lipödem-Patientinnen, die doch zu recht so große Hoffnungen in eine Fettabsaugung setzen, ist die Kostenfrage. Denn bisher – und das, obwohl die Liposuktion beim Lipödem in die Kategorie der medizinisch notwendigen Fettabsaugung eingeordnet wird! – werden die Kosten für diesen Eingriff in Höhe von bis zu etwa 5000 Euro pro Absaugung regulär nicht von den Krankenkassen übernommen – die Liposuktion bei Lipödem gehört nicht zu den Regelleistungen im Sinne des Leistungskataloges der Krankenkassen. Man kann durchaus einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Kasse stellen (am besten mit Unterstützung des behandelnden Arztes). Doch muss man sich dann auf einen längeren Kampf gefasst machen, der am Ende bislang nur selten von den Patientinnen gewonnen wird.

 

Erst im April 2018 fällte das Bundessozialgericht in Kassel ein entmutigendes Urteil: Die Klage einer Lipödem-Patientin auf Kostenübernahme durch ihre Krankenkasse wurde dort in letzter Instanz abgelehnt (Az: B 1 KR 10/17 R). Das BSG kam zu dem Schluss, dass eine Liposuktion bei Lipödem keine Leistung der gesetzlichen Kranken­versicherung (GKV) sei. Ein Teil der Begründung lautete, dass die dauerhafte Wirksamkeit der Methode nicht ausreichend gesichert sei; die Methode entspreche nicht den Anforderungen für Qualität und Wirtschaftlichkeit der GKV. Dies sei aber „im Interesse des Patientenschutzes und des effektiven Einsatzes der Mittel der Beitragszahler zu gewährleisten“, so das BSG. Immerhin sollen laut BSG nun Studien durchgeführt werden, die eine Grundlage für die Entscheidung liefern sollen, ob die Liposuktion bei Lipödem in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden kann. Bis diese Studien beendet sind, dürften allerdings noch einige Jahre vergehen – weitere Jahre des Leidens für viele Tausende Lipödem-Betroffene.

 

Ermutigender Vorstoß des Gesundheitsministers

 

Hoffnung macht den Patientinnen nun allerdings Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er will, dass die Krankenkassen künftig die Kosten regulär übernehmen. Zudem will Spahn mit einem Ergänzungsantrag zum sogenannten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TVSG) dafür sorgen, dass das Bundesgesundheitsministerium künftig allein und ohne Zustimmung des Bundesrates darüber entscheiden darf, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Krankenkassen bezahlen müssen – bisher entscheidet über solche Fragen der Gemeinsame Bundes­aus­schuss (G-BA). In dem Antrag Spahns heißt es u.a., dass eine Kostenerstattung in Betracht komme, wenn es keine zumutbare Alternativbehandlung gebe – so wie das bei der Liposuktion bei Lipödem ja der Fall ist.

 

Der Vorstoß des Ministers hat bereits Wirkung gezeigt: Keine zwei Wochen vergingen, bis Josef Hecken, Vorsitzender des G-BA, Jens Spahn in einem Brief den Vorschlag unterbreitete, dass die Liposuktion bei Lipödem zumindest für Patientinnen im Stadium drei ab dem 1. Januar 2020 (erst einmal befristet bis 2024) auf Kosten der Krankenkassen verordnet werden könnten. Die Prüfung dieser Liposuktion bei Frauen mit Stadium eins und zwei soll dann nach Abschluss einer wissenschaftlichen Studie erfolgen; im Rahmen dieser Studie könnten, wie es in dem Brief heißt, die ersten Patientinnen ab ca. Mitte 2020 operiert werden. Es bewegt sich also einiges – den Millionen Betroffenen wäre ein schnelles Ergebnis zu ihren Gunsten zu wünschen.

 

Mehr Informationen über das Lipödem und die operativen Behandlungsmöglichkeiten – unter anderem auch eine Auswahl von in Frage kommenden Ärzten, die eine Liposuktion bei Lipödem durchführen – gibt es im Internet unter folgenden Adressen:

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

1 Kommentare

Lisa Weber – Donnerstag, 21. Februar 2019
Toller Beitrag! Gerade erst über Google gefunden.

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