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Ein Körper, viele Charaktere: Die dissoziative Persönlichkeitsstörung

1 Kommentar Aktualisiert am 31. Juli 2015

„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ lautet der Titel eines philosophischen Romans von Richard David Precht. Was auf den ersten Blick wie ein lustiger Buchtitel klingt ist für manche Menschen sehr real: Sie leiden unter der dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Das bedeutet, in einem Körper „leben“ mehrere Persönlichkeiten und bestimmen abwechselnd das Handeln. Ursache ist oft schwere körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt im Kleinkindalter. Mit Hilfe einer Psychotherapie lernen Patienten mit ihren Persönlichkeiten umzugehen.

Die dissoziative Persönlichkeitsstörung, früher auch multiple Persönlichkeitsstörung genannt, ist eine seltene Form der Persönlichkeitsstörung. Seit 1980 ist sie als psychische Erkrankung anerkannt. Der sperrige Begriff bedeutet, dass innerhalb einer Person mindestens zwei verschiedene Persönlichkeiten existieren. Die Anzahl der unterschiedlichen Charaktere variiert von Patient zu Patient.

Bei den Persönlichkeiten handelt es sich bei einer ausgeprägten Störung um völlig unabhängige und abgetrennte Charaktere, die unter Umständen nichts von der Existenz der anderen Persönlichkeiten wissen. Sie unterscheiden sich in ihrem Auftreten, in der Stimmlage, der verwendeten Sprache, Handschrift und auch den Vorlieben oder Abneigungen. Sogar das Geschlecht, Krankheitssymptome oder Allergien können verschieden sein. Die Abgrenzung kann sogar so weit gehen, dass eine Persönlichkeit im Gegensatz zu den anderen Linkshänder ist.

Ursache der dissoziativen Persönlichkeitsstörung

Die Ursache für eine solche Störung der Persönlichkeit liegt im Kleinkindalter. Betroffene haben oft schlimme seelische, körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt oder Todesängste gelitten. Meist waren Betroffene zum Zeitpunkt des Traumas jünger als fünf Jahre. In diesem Alter ist ein Kind nicht in der Lage sich zu verteidigen beziehungsweise das Erlebte zu verarbeiten und zu verstehen.

Um zu überleben werden Gedanken und Gefühle häufig vom Körper getrennt und anschließend hinter einer geistigen Barriere unter Verschluss gehalten. In diesem Moment der Gewalt kann es zur Bildung einer zweiten Persönlichkeit kommen, einer die das Erlebte ohne Gefühlsregung erträgt. Die eigentliche „Hauptpersönlichkeit“ kann sich distanzieren und sich weiterentwickeln. Durch andauernde Gewalt oder mehrere Traumata wird diese Spaltung gefestigt, beziehungsweise können weitere Persönlichkeitsfragmente entstehen.

Symptome einer gespaltenen Persönlichkeit

Die dissoziative Persönlichkeitsstörung wird meist erst im Erwachsenenalter diagnostiziert, Frauen sind öfter betroffen als Männer. Häufig wird sie mit einer posttraumatischen Belastungsstörung verwechselt, da die Symptome wie Flashbacks, Erinnerungslücken und Angst- oder Panikattacken in bestimmten Situationen oder nach speziellen Auslösern sehr ähnlich sind.

Da die Hauptpersönlichkeit zunächst oft nichts von der Existenz weiterer Charaktere weiß, entstehen häufig Gedächtnislücken, wenn eine andere Persönlichkeit die Kontrolle über den Körper übernimmt. Diese Erinnerungslücken können mehrere Stunden bis Monate betragen. An das Trauma kann sich die Hauptpersönlichkeit gar nicht oder nicht vollständig erinnern.

Andere Persönlichkeit, andere Krankheiten

Neben den veränderten Persönlichkeitsmerkmalen wie Mimik, Sprache, Auftreten, Geschmack oder etwaigen Krankheitssymptomen, können auch Kopfschmerzen, Schwindel und Angst auftreten. Der Betroffene kann die Symptome allerdings kaum einordnen, da ihm das Wissen um seine dissoziative Störung fehlt.

Die körperlichen und organischen Unterschiede zwischen den einzelnen Charakteren geht so weit, dass eine Persönlichkeit unter Diabetes mellitus leidet, während die die Hauptpersönlichkeit keine Probleme mit dem Blutzuckerspiegel hat. Auch die Sehschärfe, die Lungenfunktion oder der Herzrhythmus kann variieren.

Wechsel zwischen den Charakteren

Der Wechsel zwischen den Persönlichkeiten wird häufig von einem sogenannten Trigger ausgelöst. Das kann ein Geräusch, ein Geruch ein bestimmtes Wort oder ein Ort sein, der den Betroffenen an das erlebte Trauma erinnert. Die Umwelt bekommt von dem Wechsel nicht zwingend etwas mit. Vermehrte Blinzeln oder Starren, sowie zitternde Hände oder geistige Abwesenheit können Indizien sein. Sie variieren allerdings von Patient zu Patient.

Tritt der Wechsel während eines Gespräches auf kann es sein, dass das Thema abrupt gewechselt wird. Nicht selten passt sich due nun aktive Persönlichkeit ihren Vorlieben an und wechselt etwa die Kleidung oder den Ort. Im Verhalten der Person kann abgelesen werden, dass gerade eine andere Persönlichkeit das Ruder in der Hand hat.

Wissen die Persönlichkeiten von ihrer Existenz, sprechen sich unter Umständen mit anderen Menschen übereinander, als handle es sich tatsächlich um eigenständige Personen. Sie können komplett andere Wertvorstellung, moralische Einstellung oder religiöse Gesinnung haben.

Langwierige Therapie nötig

Damit eine betroffene Person ein „normales“ Leben führen kann, ist eine jahrelange Therapie nötig. Dazu sollte unbedingt ein Experte aufgesucht werden, da jeder Patient individuell betreut und behandelt werden muss. Außerdem haben Betroffene häufig Bindungsprobleme und Angst vor Nähe. Deshalb muss der Therapeut viel Zeit zum Aufbau einer Beziehung zum Patienten aufbringen. Auch die Annahme der Diagnose von Seiten des Patienten ist ein wichtiger Schritt. Nur wenn er sich auf die Diagnose und die Therapie einlässt, kann eine Verbesserung der Situation erzielt werden.

Während der Therapie ist es das Ziel ein Bewusstsein für die anderen Persönlichkeiten zu schaffen, herauszufinden was sie wollen und in einen inneren Dialog mit ihnen zu kommen. Alle vorhandenen Persönlichkeiten müssen miteinander auskommen und sich absprechen können. Dieser innere Dialog kann in der Therapie herbeigeführt werden. So entsteht ein stabiles System, das als Einheit funktioniert.

Was können Freunde und Familie tun?

Auch für die Umgebung eines Menschen mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung ist die Situation nicht ganz einfach. Sie sind unsicher, wissen nicht immer mit wem sie gerade sprechen und empfinden die Lage manchmal als beängstigend. Wichtig ist, dass sie den Betroffenen genau beobachten und auf das achten was er sagt. Durch aufmerksames Zuhören und auch Nachfragen kann unter Umständen die auslösende Situation oder ein Trigger erkannt werden.

Außerdem sollten Freunde und Verwandte dem Betroffenen zu einer Therapie raten und dabei unterstützen.

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Lisa Vogel
Autor: Lisa Vogel

Von Juli 2014 bis März 2018 arbeitete Lisa Vogel als Werkstudentin in der Redaktion bei apomio.de und unterstützt das Team nun als freie Autorin. Sie hat ein Studium im Fach Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin an der Hochschule Ansbach mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen. Hier erlangte sie sowohl journalistische als auch medizinische Kenntnisse. Derzeit vertieft sie ihre medialen Kenntnisse im Master Studium Multimediale Information und Kommunikation.

1 Kommentare

Alicia – Freitag, 12. Oktober 2018
Hey Lisa, Ich befasse mich momentan sehr intensiv mit dem Thema der gespaltenen Persönlichkeit, da leider auch meine Mutter davon betroffen ist. Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich deinen Beitrag sehr interessant fand. Er lässt sich super lesen! Danke. Viele Grüße, Alicia :)

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