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Sirtfood: Wunderdiät oder „Alter Wein in neuen Schläuchen“?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 04. März 2020

Die Welt war baff, als die britische Sängerin Adele sich vor einiger Zeit vollkommen verändert den Kameras präsentierte. Man erkannte den ehemals pummeligen Star kaum wieder. Unglaublich erschlankt – 45 Kilo hat sie angeblich in weniger als einem Jahr abgenommen! – und strahlend glücklich verriet Adele das Geheimnis ihrer Verwandlung: die sogenannte Sirtfood-Diät, die von den beiden amerikanischen Ernährungswissenschaftlern Glen Matten und Aidan Goggins entwickelt wurde. Seit Adeles durchschlagendem Erfolg fragt sich wirklich jeder, der abnehmen will, was hinter dieser Ernährungsweise steckt und warum sie angeblich nicht nur schlank, sondern auch gesünder macht. 

 

Bei der Sirtfood-Diät werden überwiegend Lebensmittel verzehrt, die im Körper die Aktivität der sogenannten Sirtuine ankurbeln sollen. Diese Lebensmittel werden „Sirtfood“ genannt. Sirtuine sind eine Gruppe von Enzymen, also molekulare Stoffe, die bestimmte chemische Reaktionen im Organismus vorantreiben können. Das tun sie, indem sie von einigen Proteinen bestimmte chemische Gruppen abspalten und damit dem Körper den Impuls geben, den Stoffwechsel anzukurbeln sowie Fettverbrennung und Muskelaufbau zu aktivieren. Außerdem sollen Sirtuine helfen, Entzündungsprozesse einzudämmen oder ihnen vorzubeugen, das Immunsystem allgemein zu stärken und sogar dem Alterungsprozess entgegenzuwirken. Auch als Stressbremse und Appetitzügler sollen Sirtuine wirken können. 

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. „Wunderwaffe“ Sirtuine?

 

Für all diese fantastischen Wirkungen gibt es einige vielversprechende Forschungsansätze, jedoch noch keinen wirklich gesicherten Beleg. Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft fanden bereits im Jahr 2007 Anzeichen dafür, dass die Aktivierung von Sirtuinen zu einer verbesserten Lebensqualität bis ins hohe Alter beitragen könnte1. Jahre später stellen Forscher desselben Instituts fest, dass ein bestimmtes Sirtuin zumindest bei Mäusen den Fettabbau fördern konnte2. Was Wissenschaftler bisher ermitteln konnten, ist in einer sehr umfassenden Online-Information der Bundeszentrale für Ernährung zusammengefasst3, die sich mit allen Versprechungen der Sirtfood-Diät kritisch auseinandersetzt.

 

Nach derzeitigem Stand nimmt die Forschung zumindest an, dass Sirtuine im Körper an zahlreichen Schutz- und Reparaturmechanismen beteiligt sind und damit das Risiko für mehrere Krankheiten senken und den Alterungsprozess verzögern könnten. Die Verfechter der Sirtfood-Diät – in erster Linie ihre Erfinder – sind jedoch von den segensreichen Wirkungen des Verzehrs von Sirtfoods überzeugt.

 

2. So funktioniert die Sirtfood-Diät

 

Es gibt mehrere Varianten dieser Diät, vom Grundprinzip her geht es aber immer um dasselbe: Es werden bevorzugt Lebensmittel und Gewürze verzehrt, die angeblich die Sirtuine aktivieren. Die US-Ernährungswissenschaftler Aidan Goggins und Glen Matten entwickelten auf dieser Basis einen 3-Wochen-Plan und versprechen: Wer diesen Plan einhält, verliert drei Kilo pro Woche. Und das geht so: Zunächst wird für drei bis vier „Entgiftungs-Tage“ die Kalorienzufuhr auf je 1.000 Kalorien reduziert. Hierbei werden pro Tag nur bestimmte Smoothies, z.B. aus Äpfeln, Petersilie, Rucola oder Sellerie oder Petersilie, getrunken und eine feste Mahlzeit gegessen.

 

In der anschließenden zweiten Phase dürfen 1.500 Kalorien pro Tag aufgenommen werden, verteilt auf drei Mahlzeiten und ein bis zwei Säfte. Unerlässlich ist ein grüner Vitamin-Smoothie pro Tag, ansonsten können die erlaubten Lebensmittel variabel zusammengestellt werden. Ab Phase 2 werden die Sirtfoods auch wieder mit „normalen“ Speisen kombiniert. Die dritte Phase besteht im Prinzip aus einer Kalorienzufuhr von etwa 1800 Kalorien pro Tag; sie kann beibehalten werden, bis der gewünschte Abnehmerfolg erreicht ist.

 

3. Schokolade und Rotwein inklusive

 

Was viele an der Sirtfood-Methode begeistert: Es sind auch Lebensmittel (in Maßen) erlaubt, die eigentlich als „Dickmacher“ gelten und bei vielen anderen Diäten tabu sind, insbesondere dunkle Schokolade (mit einem Kakaoanteil von mindestens 85%) und sogar Rotwein. Ansonsten setzt die Sirtfood-Diät vor allem auf folgende Lebensmittel:

 

  • Sehr viele Obstsorten, darunter ungeschälte Äpfel, Orangen, Aprikosen, Pflaumen, Datteln, Kirschen, rote Trauben, Beeren,
  • Gemüse, vor allem Tomaten, verschiedene Kohlsorten, Sellerie, Artischocken, Auberginen, Erbsen, grüne Bohnen, Karotten, Radicchio, Rucola, Spargel, rote Zwiebeln
  • Getreide wie Buchweizen, Gerste, Quinoa
  • Produkte aus Sojabohnen
  • Frische Gewürze und Kräuter wie z.B. Knoblauch, Oregano, Petersilie, Liebstöckel, Salbei, Chilischoten, Ingwer, Koriander, Kurkuma
  • Nüsse und Samen, z.B. Walnüsse und Cashewkerne
  • Fisch und Meeresfrüchte
  • Wertvolle Öle, insbesondere Walnuss- und Olivenöl
  • Getränke: Grüner, weißer und schwarzer Tee, Kaffee

 

4. Bewegung und Entspannung unterstützen den Erfolg

 

Gar nicht erlaubt bzw. tabu sind eigentlich keine frischen Lebensmittel. Nur sollten Nicht-Sirtfoods (z.B. Kartoffeln, Reis, Nudeln, Fleisch oder Brot) nur als Kombination in geringen Mengen verzehrt werden; zudem sollten – wie bei jeder Diät – Nahrungsmittel wie stark zuckerhaltige Produkte, Alkoholika (außer Rotwein) sowie alle industriell verarbeiteten Gerichte (Fertigmahlzeiten, Knabbereien wie Chips usw.) gemieden werden.

 

Man soll also täglich möglichst viele Sirtfoods zu sich nehmen und sie in sinn- und maßvoller Weise mit anderen Lebensmitteln kombinieren, sodass die Ernährung insgesamt ausgewogen und kalorienarm ist. Damit sich ein nachhaltiger Abnehmerfolg einstellt, ist es – wie bei jeder anderen Diät auch – allerdings unerlässlich, zusätzlich ausreichend Bewegung zu machen bzw. Sport zu treiben. Auch wird dazu geraten, für ausreichende Entspannungsphasen während der Diät zu sorgen. So betont das Ernährungs-Fachportal „Eat Smarter“ in einem Artikel über Sirtfood4: Wer im Stress steckt, schüttet das Hormon Cortisol aus. Gemeinsam mit Insulin sorgt dieses „Stresshormon“ dafür, dass der Blutzuckerspiegel ansteigt, was die verhängnisvollen Heißhungerattacken verursachen kann. Daher sollte man stressige Situationen möglichst vermeiden oder zumindest immer wieder für Ausgleich sorgen, z.B. mit einem Spaziergang zwischendurch.

 

5. Die Vor- und Nachteile der Sirtfood-Diät

 

Zu den größten Vorteilen der Sirtfood-Diät zählt sicherlich, dass sie – die Nicht-Sirtfoods eingeschlossen! – ein insgesamt gesundes und ausgewogenes Nahrungsangebot bereithält, das auch gut planbar ist und jedem einzelnen viele individuelle Kombinations- und Gestaltungsmöglichkeiten lässt. Zudem ist diese Ernährungsweise sehr gut für Vegetarier und Veganer sowie für Menschen mit Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten geeignet. Viele Lebensmittel sind recht preiswert auf Wochenmärkten oder im Biohandel erhältlich und lassen sich größtenteils einfach und schnell zu verschiedenen Gerichten verarbeiten.

 

Kritiker dieser Diät sprechen jedoch von zu vielen unbewiesenen Versprechungen und sind überzeugt, dass man mit Sirtfood nur deshalb so gut abnimmt, weil viele der erlaubten Nahrungsmittel ohnehin kalorienarm sind und die Kalorienzufuhr insgesamt deutlich reduziert wird. Bei allen weiteren gepriesenen Vorteilen handele es sich lediglich um Mutmaßungen. Vor allem sei überhaupt noch nicht abschließend geklärt, ob die „Sirtfoods“ tatsächlich die Sirtuine im menschlichen Körper aktivieren können.

 

6. Gefahr: Jojo-Effekt

 

Auch weisen Kritiker darauf hin, dass bislang lediglich die Erfinder der Sirtfood-Diät selbst ihre Diät jemals an Menschen getestet haben – und zwar im Rahmen ihres Buches5. Ganze 39 Teilnehmer wurden bei der Durchführung der Diät begleitet; auch hier führen Zweifler die großen Abnehmerfolge der Teilnehmer eher auf die deutliche Kalorienreduktion zurück. „Eat Smarter“ verweist zudem darauf, dass es sich bei den 3,2 Kilogramm, die die Teilnehmer im Schnitt pro Woche verloren, nicht ausschließlich um Körperfett, sondern vor allem anfänglich um gespeichertes Wasser handele, das der Körper verliere, wenn er im Zuge einer Kalorienreduktion auf Energiereserven zurückgreifen muss. Generell könne die reduzierte Kalorienaufnahme über mehrere Wochen dazu führen, dass der Stoffwechsel sinke, der Körper auf „Sparflamme“ umschalte und so seinen Energiebedarf senke. Sobald man aber nach Diätende wieder normal esse, steige das Gewicht wieder in die Höhe, weil der Körper dann mehr Energie bekommt, als im Sparmodus benötigt – der bekannte und gefürchtete Jojo-Effekt.        

 

„Eat Smarter“ kommt zu dem Schluss, dass die Sirtfood-Diät nicht geeignet sei für eine dauerhafte Gewichtsabnahme ohne Jojo-Effekt, da nicht zuletzt das Nahrungsangebot nicht ausgewogen genug sei, um langfristig für den Körper gesund zu sein. Zu einer nachhaltigen Gewichtsabnahme, die eventuell sogar mit der Verlangsamung der körperlichen Alterungsprozesse einhergeht, könne aber nur eine langfristige Ernährungsumstellung plus ausreichend Bewegung führen.4

 

7. Größter Minuspunkt: Fehlende wissenschaftliche Belege

 

Ganz ähnlich bewertet es die Bundeszentrale für Ernährung. Rezepte der Sirtfood-Diät seien „pflanzenbetonte Gerichte mit vielen sekundären Pflanzenstoffen, hohen Proteinanteilen und gesunden Fetten“ und „von daher eine empfehlenswerte Ernährung“. Doch greife „eine Gewichtsabnahme allein durch Sirtfood vermutlich nur (...), wenn man wenig abnehmen oder sein Gewicht halten“ wolle. Und, so die BZfE abschließend: „Ein gesicherter Nachweis, dass die aufgeführten sekundären Pflanzenstoffe beim Menschen in der beschriebenen Weise auf die Sirtuine einwirken, steht noch aus, viele Untersuchungen belegen dies nicht hinreichend“.3

 

Auch die Allgemeinärztin und Ernährungsexpertin Dr. Petra Bracht, die sich in einer Radiosendung des Hessischen Rundfunks6 zur Sirtfood-Diät äußerte, kommt zu einer eher negativen Gesamtbewertung: Etwa drei Kilo pro Woche zu verlieren, sei anfangs wohl möglich, räumt sie ein, doch danach könnte man allenfalls noch etwa ein Kilo pro Woche schaffen – mehr solle es auch gar nicht sein, um das Gewicht dauerhaft zu halten. Im Grunde sei die Sirtfood-Diät nichts anderes als eine sinnvolle Kombination von überwiegend pflanzlicher und kalorienreduzierter Ernährung. Wenn man sich zudem noch ausreichend bewege, mache man alles richtig. Sirtfood, so die Ärztin, sei im Grunde nur „ein neuer Begriff für etwas, was es schon lange gibt.“

 

8. Fazit

 

Insgesamt kann die Sirtfood-Diät kaum schaden und wird wohl auch zu Abnehmerfolgen führen, wenn man das empfohlene Nahrungsangebot sinnvoll kombiniert, kalorienreduziert isst, dabei aber auch Nicht-Sirtfoods in angemessener Weise in die Ernährung integriert. Daher ist die Sirtfood-Diät für Menschen geeignet, denen es nicht allzu schwerfällt, ihre Kalorienzahl über Wochen hinweg deutlich zu reduzieren, und die bereit sind, sich Hintergrundwissen zu ausgewogener Ernährung anzueignen. Menschen, die nachhaltig viel Gewicht verlieren möchten und dafür ihre Ernährung und Lebensweise dauerhaft umstellen wollen, dürften mit Sirtfood alleine nicht wirklich glücklich werden. Da zudem jeglicher wissenschaftliche Beweis einer tatsächlichen positiven Wirkung der Sirtuine auf den menschlichen Organismus fehlt, muss diese Diät eher kritisch betrachtet werden. Wer sich für diese Ernährungsart interessiert, sollte sich erst einmal einen umfassenden und objektiven Überblick über Sirtuine und ihre Wirkung verschaffen.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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