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Schmerzen, Krankheit, Arztbesuche: der gar nicht „kleine“ Unterschied zwischen Männern und Frauen

Kommentar schreiben Aktualisiert am 24. Mai 2016

Männer und Frauen sind unterschiedliche Wesen – diese Grundwahrheit trifft auch zu, wenn es um Fragen wie Schmerzempfinden, Krankheiten und den Umgang damit sowie Krankschreibungen und Arztbesuche geht. Dabei wird die Frage, ob Männer und Frauen Schmerzen unterschiedlich empfinden und worin die Ursachen für die Unterschiede liegen, erst seit wenigen Jahren seriös untersucht.

Vermutet wird viel, bewiesen ist wenig

Bisher wurden mehr oder weniger haltbare Vermutungen geäußert, die bis heute niemand beweisen, aber ebenso wenig widerlegen konnte. Eine verbreitete These geht auf den alten Spruch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ zurück. Demnach sind Männer weniger schmerzempfindlich, weil Jammern, Klagen und andere Schmerzäußerungen in vielen Kulturen als Schwäche gewertet werden und Männer sich deswegen über Generationen hinweg antrainieren mussten, Schmerzen zu unterdrücken. Frauen wiederum, heißt es, „dürfen“ seit jeher ihre Gefühle und damit auch Schmerzen äußern. Entwicklungsgeschichtlich wird argumentiert, dass Männer in der Rolle der „Jäger“ schon immer einen Überlebensvorteil hatten, wenn sie in kritischen Situationen Schmerzen nur eingeschränkt empfanden – woraus gefolgert wird, dass Männer „rein biologisch“ unsensibler gegenüber Schmerzen sind als Frauen. Dem steht die ebenfalls sehr verbreitete Ansicht gegenüber, Männer seien wehleidiger als Frauen.

Dass Frauen und Männer im Allgemeinen Schmerzen unterschiedlich äußern und wahrscheinlich unterschiedlich empfinden, darüber herrscht weitgehend Übereinstimmung. Wie sich aber diese Unterschiede erklären lassen, darüber wird unter den Gelehrten weiter gestritten.

Frauen leiden stärker und häufiger unter Schmerzen

Zumindest einige belegte neue Erkenntnisse gibt es. Beim Empfinden von Schmerzen, der Häufigkeit, mit der Schmerzen und Schmerzerkrankungen auftreten, beim Verlauf von Schmerzen und wahrscheinlich auch beim Therapieerfolg spielt das Geschlecht eine Rolle. Allen voran haben wissenschaftliche und klinische Studien der jüngsten Vergangenheit gezeigt, dass Frauen generell mehr unter Schmerzen leiden als Männer – und zwar unter so gut wie allen Arten von Schmerzen, z.B. Migräne und Spannungskopfschmerzen, Gesichts- und Unterleibsschmerzen sowie Schmerzen des Bewegungsapparates wie Gelenk- und Muskelschmerzen. Auch von generalisierten Schmerzerkrankungen, etwa der quälenden Fibromyalgie, sind Männer weniger häufig betroffen als Frauen.

Auffallend ist auch, dass einige Schmerzerkrankungen bei Frauen besonders oft in bestimmten Lebensphasen auftreten. Z.B. finden sich Migräne und Schmerzen im Kiefergelenk sehr häufig zwischen Ende der Pubertät und Einsetzen der Menopause. Dagegen leiden Frauen über 50 vermehrt unter Gelenkschmerzen. Vielfältige physische und psychische Ursachen kommen dafür in Frage.

Frauen erleben auch intensivere und länger andauernde Schmerzen als Männer, und das an mehr betroffenen Körperbereichen. Zudem haben experimentelle Untersuchungen gezeigt, dass sie auch noch deutlich empfindlicher gegenüber Schmerzen sind als Männer. So hat man bei vergleichenden Studien Frauen und Männer einem Hitze- oder Druckreiz ausgesetzt. Frauen schätzten dabei die Schmerzintensität höher ein als Männer bzw. hielten den Schmerz weniger lange aus, obwohl der Reiz bei beiden Geschlechtern gleich stark war. Auch scheint die weibliche Schmerzschwelle niedriger zu sein als die männliche, sodass Frauen eher als Männer einen noch vergleichsweise niedrigen Reiz bereits als schmerzhaft empfinden. Das wird damit in Verbindung gebracht, dass Frauen generell ein feineres sensorisches Empfinden haben und Temperaturschwankungen, Gerüche und Farben besser unterscheiden können. Damit sind sie auch besser in der Lage, Schmerz wahrnehmen und ihn deutlich zu beschreiben. Daraus wird nun gefolgert, dass das weibliche Nervensystem anders eingestellt ist als das männliche. Die Schmerzsensoren, also die Nervenfasern, die Schmerzreize aufnehmen und an das Rückenmark weiterleiten, scheinen bei Frauen empfindlicher zu reagieren als bei Männern. Auch gibt es Hinweise dafür, dass die gesamte Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem (Rückenmark und Gehirn) bei Frauen wesentlich sensibler ist.

Mal mehr, mal weniger schmerzanfällig durch hormonelle Schwankungen

Bei aller erhöhten Schmerzempfänglichkeit können Frauen durchaus eine körpereigene Schmerzhemmung aktivieren, wenn auch nicht so ausgeprägt wie Männer das offensichtlich können. Vermutet wird, dass im weiblichen Organismus der Schutz vor Schmerzen nur „schlummert“ und nur in speziellen Situationen „wach wird“. Vor allem die Schwangerschaft scheint hierbei eine wichtige Rolle zu spielen, denn bei Versuchen wiesen schwangere Frauen plötzlich eine geringere Empfindlichkeit gegenüber Schmerzreizen auf. Schlüsselfaktoren sind hier wohl Östrogen und Progesteron, die Hormone also, die Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit und -verarbeitung haben. Bei Migräne z.B., einer typischen Schmerzerkrankung von Frauen im gebärfähigen Alter, führen die hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft dazu, dass die Schmerzen als deutlich geringer wahrgenommen werden. Die Folgerung liegt nahe, dass evolutionär durch den Einfluss der Hormone das Nervensystem einer schwangeren bzw. gebärenden Frau darauf eingestellt wurde, die Frau maximal vor Schmerzen zu bewahren – ein Effekt, der bei nicht schwangeren Frauen keinen Überlebensvorteil brachte und damit im Lauf der Evolution verschwand.

Auch der zyklische Hormonspiegel hat bei Frauen einen Einfluss auf das Schmerzempfinden: In der Phase des Menstruationszyklus´, in dem das meiste Östrogen ins Blut abgegeben wird, werden nach einem Schmerzreiz mehr Endorphine ausgeschüttet, gleichzeitig sind mehr Opioidrezeptoren, die für die Schmerzhemmung sorgen, vorhanden. Daher sind Frauen während der fruchtbaren Tage am wenigsten anfällig für Schmerzen und in dieser Zeit in der Lage, Schmerzen ähnlich flexibel zu tolerieren wie Männer.

Auch genetische Faktoren sind ausschlaggebend für das Schmerzempfinden

Neben Hormonen bestimmen offenbar auch die Gene eines Menschen, wie stark ein Schmerz empfunden wird. Bekannt ist, dass Frauen mit roten Haaren und blassem Teint anders auf bestimmte schmerzhemmende Wirkstoffe ansprechen als Männer, die ebenfalls rothaarig und blass sind. Zwar weisen Frauen und Männer mit diesen äußeren Merkmalen die gleiche Genvariante auf. Diese wirkt sich aber nur bei den Frauen auf das Schmerzempfinden aus. Rothaarige und hellhäutige Frauen reagieren besser auf bestimmte Schmerzmittel als Männer mit oder ohne dieser Genvariante und Frauen mit anderer Haar- und Hautfarbe. Die rothaarigen Frauen erwiesen sich bei Versuchen auch als sensibler gegenüber Hitze- und Kälteschmerzen, dagegen reagierten sie jedoch unempfindlicher auf Druckreize als Frauen mit anderer Haarfarbe. Diese Erkenntnis lässt sich darauf zurückführen, dass dieselben Genvarianten, die die rote Haarfarbe bestimmen, auch den Bau und die Funktion der Opioidrezeptoren beeinflussen. Schmerzmittel, die auf diese Rezeptoren einwirken, haben bei rothaarigen Frauen einen deutlich stärkeren Effekt als bei anderen Frauen.

Schmerzmittel wirken bei Frauen anders als bei Männern

Die Untersuchungen zur unterschiedlichen Wirkung von Medikamenten auf Männer und Frauen stecken noch in den Kinderschuhen. Bis Ende der 1980er-Jahre wurden die meisten Medikamentenstudien ausschließlich an Männern durchgeführt. Das lag daran, dass es bei männlichen Probanden weder zu Schwangerschaften noch zu Hormonschwankungen kommt, die bei den Studien in Betracht gezogen werden müssten. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Frauen insgesamt einen deutlich höheren Medikamentenverbrauch aufweisen, stellt diese Praxis jedoch eine sträfliche Vernachlässigung wichtiger Unterschiedsfaktoren dar. Bis heute werden Studienergebnisse, die an Männern gewonnen wurden, häufig einfach auf Frauen übertragen. Dies bringt unter Umständen nicht nur falsche Dosierungsempfehlungen, sondern auch höhere Risiken für Unverträglichkeiten mit sich.

Bei einigen Schmerzmitteln konnten aktuelle Untersuchungen Unterschiede in der Wirkung auf Frauen und Männer zeigen, was unter Umständen sogar die Möglichkeit gegensätzlicher Effekte bedeuten kann. Dies hat sich jedoch bisher nicht wesentlich auf die heutige medikamentöse Schmerztherapie ausgewirkt. Manche Schmerzmedikamente werben mit Aufschriften wie „Besonders wirksam bei Menstruationsschmerzen“. Dies bezeichnen Experten als irreführend, da es sich bei diesen Präparaten nicht um speziell entwickelte Schmerzmittel für Frauen oder Frauenleiden handelt.

Krankschreibungen und Arztbesuche: auch hier liegen Frauen vorn

Aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK geht hervor, dass Frauen häufiger, jedoch nicht länger als Männer krankgeschrieben sind. Seit Jahren schon ist zu beobachten, dass der Krankenstand der berufstätigen Frauen um etwa 14 Prozent höher liegt als der der Männer. Die Ursache wird vor allem darin gesehen, dass Frauen deutlich häufiger als Männer unter Krebs und psychischen Erkrankungen leiden.

Dieser Unterschied ist – anders als bisher vermutet – nicht darauf zurückführen, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen Branchen und Berufsfeldern tätig sind. Vielmehr liegt die Ursache wohl in den geschlechtsspezifischen Krankheitsrisiken. Denn Frauen im Erwerbsalter tragen ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten als ihre männlichen Kollegen – das gilt vor allem für psychische Krankheiten, Brustkrebs und Schwangerschaftskomplikationen.

Bei psychischen Erkrankungen weisen Frauen um 67 Prozent mehr Fehltage auf als Männer. Zudem leiden Frauen während der Berufstätigkeit häufiger an Krebserkrankungen, vor allem Brustkrebs. Krebs verursacht bei den Frauen 74 Prozent mehr Fehltage als bei den Männern. In den jüngeren Altersgruppen findet sich ein Krankenstands-Unterschied von bis zu 73 Prozent, bedingt durch Schwangerschaftskomplikationen. Bei Männern verursachen vor allem Herz-Kreislauferkrankungen und Verletzungen (mit 65 Prozent mehr Fehltagen als bei den Frauen) die Fehlzeiten.

Der aktuelle Report hat auch wieder einmal belegt, dass Frauen wesentlich häufiger einen Arzt aufsuchen als Männer. Und noch ein interessantes Detail hat die diesjährige DAK-Beschäftigtenbefragung aufgezeigt: Große Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt es auch beim Umgang mit ihrer Krankheit und der Krankmeldung. Es mag kaum überraschen, dass Männer bei gleichem Gesundheitszustand sich deutlich seltener krankmelden als Frauen.

Die alte (vermeintliche) Wahrheit scheint also bei vielen nach wie vor zu gelten: Ein Indianer kennt keinen Schmerz – die Squaw dagegen darf leiden!

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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