© apomio.de

Nachgefragt bei Frau Helm: Schöne digitale Welt!?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 08. Juli 2019

Der Mensch macht sich überflüssig. Und einsam. Kein Lächeln mehr am Bankschalter, kein Plausch mit der Verkäuferin im Schuhladen, keine freundliche Dame am Check-in. Alles läuft digital. Wie praktisch! Und zeitsparend. Bei der Aussage fange ich schon an zu zweifeln. Das Online-Leben ist so lange ein Fest, wie man genau weiß, was man will und es gezielt sucht, wie man zuhause ist und Pakete annehmen kann und solange man nichts umtauschen muss.

 

Aber es geht nicht nur um Shopping, Essens-Lieferservice und Bankgeschäfte. Die digitale Krake erobert jedes Terrain: Bald fährt das Auto ohne uns wie bei James Bond. Auch die Gesundheit soll durch Apps vom Smartphone aus gesteuert werden: Mehr Lust auf Fitness durch Schritte zählen! Mehr Gesundheit durch Medikamentenmanager, Dokumentation der Blutdruckwerte und diagnostische Auswertung der Symptome. Bald können wir ein Dauerlager auf der Couch aufmachen und brauchen gar nicht mehr vor die Tür. Nur wehe dem, das Netzt bricht zusammen oder der Strom fällt aus…

 

Komfortabel oder 24-Stunden-Marathon?

 

Es gibt natürlich Annehmlichkeiten. Viele Alltagstätigkeiten sind zeit- und zunehmend auch ortsunabhängig. Man muss sich kaum noch an Geschäftszeiten halten, sondern hat die Freiheit, morgens um 5 eine Banküberweisung zu tätigen und abends um 23.38 ein Paar neue Socken zu bestellen. Das hat doch was.

 

Mit Wissen eingedeckt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag

 

24 Stunden am Tag Wissen weltweit abrufen können, ist eine immense Bereicherung. Die Überflutung ist endlos, aber Basiswissen ist gut erhältlich und wissenschaftliches Wissen findet sich auch, mit und ohne Bildchen. Aber gerade deshalb muss man aufpassen, sich nicht vom Hundertstel ins Tausendstel zu verlieren und Opfer des fein gesponnenen Netzwerks der Suchmaschinen zu werden. Wie schön übersichtlich waren da noch meine Berge von Fachbüchern. Bei Themen, die ständig aktualisiert werden jedoch, wie medizinische Studien, komme ich an der Online-Wissensbank nicht vorbei.

 

Vernetzung mit der ganzen Welt

 

Auch das ist ein großes Plus der digitalen Welt: Blitzschnell ist die Kommunikation mit der ganzen Welt hergestellt. Eine vernetzte Jugend macht weltweite Fridays for Future möglich. Was früher noch an Gräueltaten vom Staat oder Einzelpersonen vor der Welt geheim gehalten werden konnte, flackert heute als Handy-Video durch die Fernsehsender und kann von allen gesehen werden. Dasselbe gilt aber auch für Fotos von jungen Mädchen und Jungs, die in der Schule die Runde machen und diese Menschen seelisch quälen.

 

Und früher? Flatrate nur an Sonn- und Feiertagen

 

In meiner Kindheit gab es nur analoges Telefon. Eine Einheit hat mal 23 Pfennig gekostet. Nichts mit Flatrate. Die erste Flat, die es gab, war kostenloses Telefonieren an Sonn- und Feiertagen. Was für ein Luxus! In dieses Zeitfenster wurden alle langdauernden Gespräche gelegt und die Telefonate außerhalb des Vorwahlnetzes.

 

Telefonieren war Intimsphäre

 

Telefonieren war aufregend und intim. Was war man glücklich, als es endlich längere Kabel und noch aufgeregter bei der Erfindung des kabellosen Mobilteils. Wow! Ab ins eigene Zimmer und in Ruhe reden können, ohne dass jemand mithört. Heute dürfen wir ungewollt bei ganz vielen Menschen mithören, wenn sie ihre nicht unbedingt geistreichen Telefonate für alle zum Besten geben. Ich frage mich oft genug, ob überhaupt die Person am anderen Ende der Leitung nicht schon lange den Hörer zur Seite gelegt hat. Es ist schwer, auf Durchzug zu stellen, wenn es ganz ruhig im Bus ist und nur eine Person lautstark spricht. Seine Botschaften mit der Welt zu teilen, hat sich bis zum amerikanischen Präsidenten durchsetzt. Politische Kultur? Fehlanzeige!

 

Einkaufen– ein sinnliches Erlebnis

 

Zum Einkaufen ist man in ein Geschäft gegangen. Es gab ziemlich viele davon. Das war ein Erlebnis als Kind und eine Belohnung als Erwachsener. Die ganze Familie war unterwegs. Dinge, die man kaufte, hat man vorher angefasst, gefühlt, daran gerochen. Es war eine sinnliche Erfahrung. Dann wurde anprobiert, im Spiegel das neue Stück von allen Seiten begutachtet und dann bei Gefallen gekauft. Ganz stolz war man mit der Einkaufstüte in der Hand unterwegs. Unglaublich. Wie haben wir das nur ohne Amazon hinbekommen? 

 

Ein Lächeln für ganze Generationen

 

Vieles spürt man erst, wenn es fehlt. Das ist in der digital gesteuerten Gesellschaft das Lächeln. Das echte Lächeln echter Personen. Eigentlich hatten wir es den ganzen Tag. Ein Lächeln, vielleicht ein paar Sätze zum Wetter im Kurzgespräch mit Menschen in der Warteschlange. Ein Lächeln von der Postbeamtin mit dem Rückgeld am Postschalter. Eine ganze Gesprächsrunde beim Allgemeinmediziner im Dorf. Nach dem Arztbesuch wusste man wieder das Neueste vom Ort. Natürlich sind diese Alltagskontakte nicht tiefschürfend. Aber erfrischend und sie sind gut für das Herz. Es ist ein Fließen von Energie zwischen Menschen, denen man begegnet. Man hatte sich nicht verschanzt mit starrem Blick auf seinem Handy ohne Wahrnehmung seines Umfelds.

 

Stattdessen darauf verzichten?

 

Wer nur noch im Internet einkauft, sein Essen von einem Lieferdienst bringen lässt (immerhin kommt eine echte Person), immer neue Wege findet, alles ganz praktisch online zu regeln, ob es das Date mit der neuen Bekannten oder das Beenden einer Beziehung ist, bringt sich und andere ein Stück weit um das echte Leben. Ein paar Klicks und ein paar Tasten drücken genügen? Sehen, Hören, Riechen, wachsam und achtsam sein, Reaktionsvermögen bilden sich endgültig zurück.

 

Abenteuergeist - Die Welt entdecken

 

Was ist das? Ganz einfach. Die Komfortzone verlassen und mutig das unbekannte Terrain erkunden. Losgehen und schauen, was passiert. Stolz sein, wenn man Plätze, Gebäude, einen (Aus-)Weg findet. Ja, sich auch mal mit einem Stadtplan, der sich nicht mehr zurückfalten lässt, herumärgern. Augen auf, sich durchfragen mit Händen und Füßen, weil man die Sprache kaum beherrscht, auf Entdeckungsreise gehen: Mal sehen, wann sich ein Restaurant auftut, wenn langsam der Magen knurrt, oder eine kleines Café zum Draußensitzen, bei einem Cappuccino, einem Stück Kuchen und die Leute beobachten.


Oder: alles schon im Vorfeld mit Google Maps abklären, sich die gewählte Route entlang führen lassen, das Gesichtsfeld verengt aufs Handy, ohne nach rechts und links zu schauen. Das Café ist schon am Abend vorher herausgesucht, die Kuchenauswahl gecheckt und für gut befunden worden und man weiß auch schon, wie viele Außentische da sind. Bestellung in perfekter Fremdsprache mit Sprachcomputer. Echt spannend!? 

 

Online geht alles schneller?

 

Manches ist schon praktisch: Mit dem Sparpreisfinder die billigste Zugverbindung erkennen und gleich buchen. Das funktioniert gut und schnell. Da es bei Flügen und Urlauben immer mehr „Sparpreisfinder“ gibt, wird es dann schon unübersichtlich, zäh und frisst Stunden an wertvoller Lebenszeit. Ganz zu schweigen von den Angeboten für Handys und ihre Tarife und die anderen Gerätschaften und die anderen Tarife.


Ärgerlich und zeitraubend wird es auch immer dann, wenn etwas nicht klappt und man Mails über Mails schreibt oder in seiner Verzweiflung anruft, ohne jemanden anzutreffen, der die Kompetenz und Befugnis hat, die Situation zu lösen: Keine Reaktion, kein Erfolgserlebnis. Warten, bis man schwarz wird.

 

Wenn man gar keine Wahl mehr hat

 

Ich gebe mir wirklich Mühe: Ich versuche viele Einkäufe in der Stadt zu erledigen. Ich finde es wichtig, dass die Innenstädte nicht völlig aussterben. Ich will, dass es große und kleine Geschäfte gibt. Also kaufe ich dort ein. Es ist nicht immer alles zwingend teurer. Das Schlimme ist, dass das Angebot an Läden und die Auswahl in den Läden kontinuierlich schrumpfen.

 

Ich bekomme immer häufiger nicht, was ich brauche, und werde so dann doch gezwungen, online zu bestellen. Da die Kunden im Direktkauf weniger werden, lohnt sich nicht die Laden- und Lagerungsfläche und das Geschäft muss schließen oder sein Angebot verkleinern. Wenn ich wiederholt nicht bekommen habe, was ich suche, gehe auch ich nicht mehr hin. Ein Teufelskreis.

 

Menschen raus – Wofür gibt es Selbstbedienung?

 

Hier gibt es bei Ikea schon ein paar Selbstbedienungskassen. In Australien ist es völlig normal, dass man seine Ware in jedem Supermarkt am Automaten selbst scannt und bezahlt. Eine Kasse mit Kassierer/in ist das höchste der Gefühle. Stattdessen stehen Frauen bereit, die bei Bedarf an der Selbstbedienungskasse mit Infos behilflich sind. Toller Job! An den australischen Flughäfen gibt man auch sein Gepäck selbst auf.

 

Auf den großen Flughäfen bekommt vielleicht noch eine Info durch eine Frau, die dort postiert ist. An kleinen Flughäfen muss man sich alleine durchkämpfen. Dank der digitalen Welt ist das möglich. Ist ja nur eine Frage der Zeit, bis es hier genauso ist. Spart sicher Geld ein, diese Rationalisierung. Wie viel teurer wäre wohl ein Flug pro Passagier, wenn das Bodenpersonal seinen Job behalten kann und wir bedient werden? Sicher bezahlbar!

 

Die Akademiker beginnen, sich selbst wegzurationalisieren

 

Künstliche Intelligenz ist geduldig und nimmt ein großes Datenvolumen auf. Hat man z.B. eine digitale Denkwerkstatt mit zig Tausenden von MRT-, Röntgen- und Ultraschallbildern zu einer Erkrankung oder einem Organ gefüttert, kann sie blitzschnell den Bezug zu einem Bild des aktuellen Patienten herstellen und eine Diagnose aufgrund einer Datenmenge erstellen, die in eine berufliche Laufzeit eines Arztes gar nicht hineinpasst. Es verbleiben sicher noch ein paar Ausnahmen, die nur ein menschlicher Arzt mit Körper lösen kann. Aber aufgepasst, sonst fällt diese ärztliche Aufgabe der Diagnose auch noch in digitale Hand.

 

Selbstdiagnose mit der Gesundheits-App- und –Uhr

 

Wer arbeitet schon noch mit Papier, Stift und Medikamenten-Tablettenbox. Gibt es doch die chice, moderne Gesundheits-App. Daten wie Blutdruck, Blutzucker, Symptome, Stimmungslage, Gesundheits-To-do-Liste werden ins Smartphone eingegeben. Von dort erinnert der digitale Gesundheitsmanager an die Medikamenteneinnahme, Joggen gehen und was sonst noch so auf dem Plan steht. Die Gesundheits-Uhren dazu messen die Pulsfrequenz. Sie werden ergänzt durch Blutdruckgerät, Fieberthermometer und Körperanalyse-Waagen, um die Werte komplett zu machen.

 

Die Programme sind auch gratis und ohne Werbung erhältlich. Aber im Netz ist nichts umsonst! Jemand muss doch profitieren. Daten sind das Kostbarste, was es gibt. Sie sind die neue Währung. Gesundheitsdaten könnten z.B. für Krankenkassen interessant sein. Ich wäre da vorsichtig. Die digitale Krake speichert und sammelt Daten, wo es nur geht. Nachdem Alexa schon als Spion im Wohn- und Schlafzimmer ausgemacht wurde, will ich nicht wissen, was mit den Gesundheitsdaten so passiert.1


Der Gesundheitsbericht mit allen Ergebnissen kann ausgedruckt und zum Arzt mitgenommen werden. Oder es findet direkt eine digitale Tele-Schaltung zum Arzt statt. Wenn er überhaupt noch gebraucht wird. Sicher gibt es bald Links zu den Medikamenten und anderen Therapien, mit denen an der Heilung gearbeitet werden sollte.

 

Rezeptpflicht? Vielleicht genügt irgendwann ein Ja-Klick der medizinischen Assistentin des Arztes. Sinn von App und Uhr soll auch sein, zu gesunder Lebensweise zu motivieren. Wenn es anders nicht geht. Wer keine Lust hat, sich zu bewegen, wird das Signal des Handys mit „Joggen gehen“ genauso wegklicken wie er vorher die Stimme des schlechten Gewissens mit demselben Wortlaut schon „weggeklickt“ hat. Autarkie und Unabhängigkeit des Patienten nehmen allerdings stark zu.

 

Und die Lösung?

 

Ich werde genauer aussortieren, was ich weiterhin digital mache und was nicht. Ich denke an einen gesunden Mix aus digitaler Hilfe und Zeitersparnis auf der einen Seite und kreativer, altmodischer analoger Handhabung andererseits. Beispiele fürs Analoge ist z.B. das Auswendiglernen von Telefonnummern als Gedächtnistraining und die telefonische Bestellung von Büchern beim hiesigen Buchladen. Am nächsten Tag kann ich sie abholen. Muss ich wenigstens nicht den ganzen Tag daheim sitzen und auf den Paketboten warten.

 

Meine Fachbuch-Bibliothek an manchen Stellen erweitern und aktualisieren, um noch mehr aus Büchern recherchieren zu können. Für die nächste Städtereise einen altmodischen Stadtplan kaufen. Und Lächeln. Ganz analoges Lächeln im Alltag. Offenen Auges und Herzens durch den Alltag gehen und Menschen bewusster begegnen. Da freue ich mich drauf.

 

 

 

Info Alexa

1 https://www.externedatenschutzbeauftragte.de/blog/artikel/Amazon-Echo-Datenschutz-zeichnet-Alexa-alle-Gespraeche-auf

 

Beiträge die Sie auch interessieren könnten

Beate Helm
Autor: Beate Helm

Beate Helm, Heilpraktikerin, freie Redakteurin und Autorin für Gesundheitsthemen und Persönlichkeitsentwicklung. Selfpublisherin. Weiterbildungen in Ernährungswissenschaft, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Ayurveda, psychologischer Beratung und systemischer Therapie. Langjährige Erfahrung in Yoga und Meditation. Bei apomio seit 04/2015.

Schreib einen Kommentar

help
help
help

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Zu unseren Datenschutzbestimmungen.