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Emotionaler Missbrauch - Narben die man nicht sehen kann

Kommentar schreiben Aktualisiert am 27. Februar 2020

Zwar wird emotionaler Missbrauch als solcher schon lange in der Fachliteratur beschrieben, dabei aber etwas stiefmütterlich behandelt. Folgt man jedoch der aktuellen Forschungslage, muss man davon ausgehen, dass seelische Gewalt an Kindern ähnlich schlimme Folgen wie körperlicher oder sexueller Missbrauch nach sich zieht. Die Bandbreite ist immens. So findet emotionaler Missbrauch mitunter sehr subtil statt und bleibt häufig unentdeckt. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen und Präventionsmaßnahmen zu setzen.

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Was ist emotionaler Missbrauch? 

 

Emotionaler Missbrauch fristet hinter körperlicher und sexueller Gewalt oftmals ein Schattendasein. Dabei kann man davon ausgehen, dass Kinder vergleichsweise häufig mit psychischer Gewalt konfrontiert sind. Diese passiert nämlich durchaus auch subtil und ohne dass sich Eltern ihrer zwingend bewusst sind. Die Dunkelziffer dürfte hier besonders hoch sein.

Doch was versteht man unter psychischer Gewalt nun eigentlich genau? Zusammenfassend lassen sich hier all jene Verhaltensweisen nennen, die dem Kind emotional schaden. Die Bandbreite ist entsprechend groß. So zählen etwa Entwertung, Verspottung, Liebesentzug, Ignorieren oder Manipulation dazu. Doch auch übermäßige Kontrolle, grenzenloses Verwöhnen oder das Drängen in überfordernde Rollen („Partnerersatz“) können emotionalen Missbrauch darstellen. Ebenso fällt unberechenbares Verhalten, welches Kinder ängstigt, in diese Kategorie.1

Psychische Gewalt belastet Kinder ungemein und wirkt sich deutlich negativ auf ihre weitere Entwicklung aus. Das missbräuchliche Verhalten findet auf einer zwischenmenschlichen Gefühlsebene statt. Dadurch lässt es sich schwer feststellen beziehungsweise objektivieren. Nicht selten bleibt es deshalb auch völlig unentdeckt. Noch dazu ist die Täter-Opfer-Beziehung emotional stark gefärbt und von einem Abhängigkeitsverhältnis geprägt. Das führt dazu, dass sich ungesunde Mechanismen verfestigen, die sich nur schwer durchbrechen lassen. Zudem weisen Täter häufig manipulative Charakterzüge auf, die nicht zwingend bewusst sein müssen.2

 

Emotionaler Missbrauch kann aktiv sowie passiv stattfinden. Die Entwicklung betroffener Kinder wird durch die grenzüberschreitenden Verhaltensweisen stark beeinträchtigt, selbst wenn das nicht sofort augenscheinlich ist. Manchmal zeigen sich die Auswirkungen psychischer Gewalt auch erst nach Jahren.

 

Emotionaler Missbrauch hat viele Gesichter 

 

Emotionaler Missbrauch findet häufig versteckt statt und ist schwer zu fassen. Zudem kann er sich ganz unterschiedlich äußern und wird deshalb nicht immer sofort als solcher erkannt. So stellen unter anderem stetige Missachtung oder eine Erziehung mit viel Druck und willkürlichen Strafen eine Form des seelischen Missbrauchs dar. Auch Kinder, die bedenkliche Überbehütung erfahren oder fortwährend in bestimmte Rollen gedrängt werden, können ihre Erziehung als gewaltsam erleben. Das ist häufig auch dann der Fall, wenn Angst als Erziehungsmittel genutzt wird. Nicht zwingend sind sich Eltern ihrer Verhaltensweisen bewusst. Oftmals agieren sie sogar nach bestem Wissen und Gewissen – mit verheerenden Folgen! 3

 

Die aktuelle Studienlage zeigt auf, dass seelische Gewalt an Kindern nicht weniger Schaden anrichtet als andere Gewaltformen. So kann sie schwerwiegende Traumata, Defizite sowie Entwicklungsstörungen nach sich ziehen.4

 

Psychische Gewalt: Das sind die Risikofaktoren 

 

Es sind ganz unterschiedliche Aspekte, die Gewalt an Kindern begünstigen. Unterscheiden lassen sich personenzentrierte, familienbezogene sowie soziale Faktoren.

Folgende Gründe tragen beispielsweise dazu bei, dass ein Teufelskreis aus Grenzüberschreitung und Gewalt entsteht.5

 

Personenzentrierte Faktoren: 

 

  • Gewalterfahrungen in der eigenen Biografie
  • (psychische) Erkrankungen, auch Suchterkrankungen
  • Probleme mit der Impulskontrolle
  • vermehrte Stressanfälligkeit

 

Familienbezogene Faktoren: 

 

  • Überforderung und Stress
  • hohe Erwartungshaltung
  • Konflikte und Streit
  • Krisen und Belastungssituationen

 

Soziale Faktoren: 

 

  • vorherrschende Normen und Wertvorstellungen
  • Armut
  • Arbeitslosigkeit
  • beengte oder desolate Wohnverhältnisse
  • soziale Isolation

 

Solche Risikofaktoren können die elterlichen Belastungsgrenzen mitunter deutlich ausreizen. Ein Gefühl von Überforderung und Ohnmacht setzt in weiterer Folge Mechanismen in Gang, die seelischen Missbrauch begünstigen. So kommt es etwa zur Abwertung des eigenen Kindes, um sich selbst aufzuwerten und besser zu fühlen. Häufig laufen solche Mechanismen unbewusst ab.6

 

Emotionale Grenzverletzungen passieren überall 

 

Wir alle kennen emotionale Verletzungen in zwischenmenschlichen Beziehungen und natürlich auch aus unserem eigenen Familiengefüge. Solche Dinge kommen vor, schließlich sind auch Eltern nur Menschen. Wesentlich sind dabei stets Ausmaß sowie Art und Weise. Dies bestimmt maßgeblich darüber, ob Grenzüberschreitungen als seelischer Missbrauch zu werten sind und welchen Leidensdruck sie verursachen. Entsprechende Reflexion ist wichtig, um festgefahrene Verhaltensmuster erkennen und verändern zu können. Findet emotionale Verletzung statt, ist es wichtig, Kindern zu vermitteln, dass dies nicht in Ordnung ist. Eine aufrichtige Entschuldigung kann einen ersten Schritt zur Besserung darstellen. Denn für eine gesunde Entwicklung müssen sich Kinder respektiert und wertgeschätzt fühlen.7

 

Seelische Gewalt hinterlässt Wunden 

 

Seelischer Missbrauch kann gravierende Auswirkungen auf Gegenwart und Zukunft des Kindes haben. Nicht nur auffällige Verhaltensweisen, schwere Traumata und Entwicklungsstörungen können ausgelöst werden, häufig wiederholen Betroffene entsprechende Muster bei den eigenen Kindern.

 

Merke: Es handelt sich um eine verbreitete Grausamkeit, die weit weniger geahndet wird als andere Formen der Misshandlung.

 

Was sind die Folgen von seelischem Missbrauch? 

 

Seelischer Missbrauch vermittelt Kindern ein Gefühl der Wertlosigkeit. Betroffene empfinden sich nicht als liebenswert, haben häufig den Eindruck, einfach nicht zu genügen. Die negativen Folgen für Selbstwert und Selbstbewusstsein sind gravierend. Damit steigt das Risiko für Entwicklungsdefizite. Als Folge emotionaler Gewalt treten häufig Bindungsstörungen, psychiatrische Erkrankungen, soziale Beeinträchtigungen sowie kognitive und emotionale Defizite auf. Das Risiko, dass die Traumatisierung bestehen bleibt, ist hoch.8

 

Emotionaler Missbrauch wirkt sich also sowohl auf die Entwicklung als auch auf die psychische Gesundheit negativ aus. Angststörungen und/oder Depressionen sind traurige Folge. Doch auch Aggressionen, Regelverletzungen sowie Kriminalität können mit derartigen traumatischen Erfahrungen in der Kindheit einhergehen.9

 

Psychischer Gewalt an Kindern vorbeugen 

 

Um psychischer Gewalt an Kindern vorzubeugen, ist jeder Einzelne gefragt. Nicht nur offizielle Stellen (Kinderarzt, Betreuungseinrichtungen,…) müssen reagieren, auch quasi „Unbeteiligte“ (Nachbarn, Arbeitskollegen,…) sollten im Bedarfsfall intervenieren.

 

Fallen bedenkliche Verhaltensweisen auf, darf man sich nicht davor scheuen, Eltern darauf anzusprechen. Häufig ist man selbst blind für das eigene Verhalten und Hilfe von außen durchaus erwünscht. Erst so wird Reflexion möglich. Veränderung ist stets ein Prozess. Professionelle Hilfsangebote wie Familienberatung oder Psychotherapie können in diesem Zusammenhang maßgeblich zu einer Verbesserung der Situation beitragen.

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Daniela Jarosz
Autor: Daniela Jarosz

Daniela Jarosz ist Sonder- und Heilpädagogin. Während des Studiums hat sie sich intensiv mit Inhalten aus Medizin und Psychologie auseinandergesetzt. Sie arbeitet seit vielen Jahren im psychosozialen Feld und fühlt sich außerdem in der freiberuflichen Tätigkeit als Autorin zuhause. Im redaktionellen Bereich hat sie sich auf die Fachrichtungen Medizin, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance sowie Kinder und Familie spezialisiert.

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