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Endlich allergiefrei dank Hyposensibilierung?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 07. Februar 2018

Das Leben kann ganz schön ungerecht sein: Wenn endlich der Frühling wieder Einzug hält und alle Welt freudig an die frische Luft drängt und die ersten wärmenden Strahlen der Sonne genießt, werden Pollenallergiker bei den ersten Ausflügen nach draußen von roten Augen, Nies- und Juckreiz heimgesucht. Wenn im Biergarten Bienen und Wespen um den Tisch herumschwirren und einige Anwesende die Tierchen einfach nur lässig wegwedeln, müssen andere sich vorsichtshalber gleich nach drinnen verziehen – bei einem Stich wären schwerwiegende Folgen zu befürchten. Und das niedliche Kätzchen würde man ja eigentlich so gerne mal auf den Arm nehmen und streicheln – wenn da bloß die blöde Tierhaarallergie nicht wäre … Ja, Allergiker haben es wirklich alles andere als leicht. Nur wenigen gelingt es, dem allergieauslösenden Stoff ganz und gar aus dem Weg zu gehen. Die medikamentöse Behandlung der Symptome einer Allergie kann nicht nur lästig, sondern auch ausgesprochen belastend sein. Als weitere – und oft wirklich vielversprechende Möglichkeit – kommt unter bestimmten Umständen eine sogenannte Hyposensibilisierung in Frage. Hat diese Erfolg, wird man die Allergie am Ende womöglich vollständig los. Eine Hyposensibilisierung – auch Desensibilisierung oder „Spezifische Immuntherapie“ (SIT) genannt, ist eine Behandlungsmethode mit nachhaltigem Ansatz. Der Name „Hyposensibilisierung“ setzt sich aus den Bestandteilen „hypo“ (= „weniger“) und „Sensibilisierung“ zusammen. Das bedeutet, dass der Organismus mit „weniger Sensibilität“ auf eine spezielle Substanz reagieren soll, indem die Abwehrreaktion des Körpers gegen diese Substanz erhöht wird. Entsprechend ist das Prinzip der Behandlung, dass dem Körper innerhalb eines bestimmten Zeitraums unter ärztlicher Überwachung immer mehr des allergieauslösenden Stoffes (also des Allergens, z.B. hoch verdünntes Bienengift) zugeführt wird, so dass der Organismus sich nach und nach an diesen gewöhnen kann. Es handelt sich also um eine Art „Konfrontationstherapie“  – so wie man in der Psychologie bestimmte Ängste und Phobien dadurch heilen kann, indem man die Betroffenen in langsam ansteigendem Maße mit der angstmachenden Situation konfrontiert. Letztlich sollen dadurch, dass sich das Immunsystem langsam an das Allergen gewöhnt, die Beschwerden immer mehr zurückgehen. Im besten Fall kann die Allergie sogar ganz verschwinden.

Nicht für jede Allergie geeignet

Allerdings kommt die Hyposensibilisierung nicht für jede Allergie in Frage: angewendet wird sie nur bei Allergien vom Soforttyp (Typ I-Allergien), also solchen Allergien, die durch Antikörper der Klasse E (Immunglobulin E/IgE) verursacht werden. Durchgeführt wird diese Immuntherapie ausschließlich von spezialisierten Ärzten, in der Regel Allergologen. Bewährt und verbreitet ist sie vor allem als Behandlung von bestehenden Allergien gegen Insektengift (insbesondere von Bienen und Wespen), Pollen (Heuschnupfen), Hausstaub, Tierhaare (z.B. von Hunden und Katzen) und Schimmelpilzen. Sie kann darüber hinaus auch dem Zweck dienen, Begleit- oder Folgeerkrankungen der Allergie (z.B. Asthma) oder die Entstehung weiterer Allergien zu verhindern. Ein weiteres Ziel der Hyposensibilisierung ist es, den Einsatz belastender Medikamente gegen die Allergie zu reduzieren.

Entscheidender Vorteil: Die Allergieursache wird bekämpft

Ärzte wenden diese Form der Allergietherapie vor allem dann an, wenn es sich um eine schwerere Allergie handelt, bei der der allergieauslösende Stoff nicht vermeidbar ist. Ansonsten gilt stets: Die Vermeidung des Kontaktes mit den Stoffen, gegen die man allergisch ist, ist besser als jede Behandlung. Doch bekanntermaßen ist genau das sehr oft nicht machbar, etwa bei Personen, die ihren Beruf im Freien oder im Kontakt mit Tieren ausüben müssen, oder bei Patienten, die bei Weiterbestehen ihrer Allergie von Asthma bedroht sind sowie bei Menschen, die sehr stark unter den Symptomen oder den Nebenwirkungen ihrer Allergiemedikamente leiden. Grundsätzlich muss der behandelnde Arzt in jedem individuellen Fall genau abwägen, ob der Nutzen der spezifischen Immuntherapie mit Sicherheit höher ist als mögliche Risiken. Neben der Vermeidung des allergieauslösenden Stoffes und der medikamentösen Therapie stellt die Hyposensibilisierung die dritte und häufig auch die erfolgversprechendste Möglichkeit der Allergiebehandlung dar. Denn im Gegensatz zu den anderen beiden Alternativen setzt diese Behandlung an der zu Grunde liegenden Ursache der Allergie an, statt lediglich die Symptome zu lindern bzw. abklingen zu lassen. Um die Wirkung der Hyposensibilisierung zu verstehen, ist es notwendig, sich die Prozesse, die bei einer Allergie ablaufen, zu verdeutlichen.

Wie kommt es überhaupt zu einer Allergie?

Das menschliche Immunsystem ist in der Lage, Eindringlinge wie z.B. Viren und Bakterien als schädlich zu erkennen. Es will den Körper vor diesen „Schädlingen“ schützen, indem es Abwehrstoffe gegen sie bildet. Speziell bei Allergikern wird dieser Mechanismus auch dann in Gang gesetzt, wenn an sich harmlose Stoffe wie zum Beispiel Gräserpollen, Katzenhaare oder Nickel über die Atmung, die Nahrung oder die Haut in den Körper und in Kontakt mit den Zellen des Immunsystems kommen. Die Folge ist eine „überschießende Reaktion“ des Immunsystems gegen diese Stoffe, bei denen es sich meist um Eiweiße (Proteine) aus weit fliegenden Pollen, Schimmelpilzsporen, Tierbestandteilen oder Nahrungsmitteln handelt. Bei einer Allergie vom Soforttyp (Typ-I-Allergie) bildet der Körper zur Abwehr gegen die Allergene Immunglobuline der Klasse E, kurz IgE, die auf bestimmten Immunzellen, den Mastzellen, angesiedelt sind. Bei erneutem Kontakt werden die Allergene von den IgE erkannt. In der Folge schütten die Mastzellen Botenstoffe, wie die bekannten Histamine, aus. Diese binden an Muskel-, Nerven- und Gefäßzellen und lösen typische Allergiesymptome wie Schnupfen, Atemnot oder Jucken aus. Die Hyposensibilisierung bewirkt nun, dass sich durch die kontrollierte Verabreichung des Allergens wichtige Veränderungen im Immunsystem abspielen, in deren Folge eine Vielzahl an zusätzlichen Antikörpern gebildet wird. Diese sorgen dafür, dass die allergieauslösenden Stoffe neutralisiert werden, sodass die in Aufruhr geratenen Abwehrzellen sich beruhigen und weniger Botenstoffe freisetzen. Damit ist es möglich, dass die Symptome der Allergie nach und nach verschwinden, der Medikamentenbedarf entsprechend sinkt und der Allergiker langfristig geheilt wird.

Wie läuft eine Hyposensibilisierung ab?

Vor der Behandlung wird der Arzt mittels eines Allergietests an der Haut ermitteln, auf welche Stoffe genau der Patient überempfindlich reagiert. Anschließend wird die klassische Hyposensibilisierung (im Fachbegriff „subkutane Immuntherapie“, kurz SCIT genannt) in zwei Schritten durchgeführt. Zunächst, in der sogenannten „Steigerungsphase“, spritzt der Arzt einmal wöchentlich den Allergenextrakt unter die Haut (= subkutan) des Oberarmes. Dabei wird die Dosis jedes Mal gesteigert, bis die Höchstdosis erreicht ist. Bei jeder Steigerung achtet der Arzt darauf, ob die vorherige Behandlung Nebenwirkungen mit sich gebracht hat, und passt die weitere Behandlung entsprechend an. Verläuft die Steigerungsphase komplikationslos, wird die zweite Phase der Hyposensibilisierung, die „Erhaltungstherapie“, eingeleitet. Jetzt wird einmal im Monat die Höchstdosis gespritzt, mit dem Zweck, das Immunsystem dauerhaft an das verabreichte Allergen zu gewöhnen. Diese klassische subkutane Immuntherapie läuft fortlaufend über lange Zeit, im Schnitt etwa drei Jahre lang. Bei Wespengiftallergie geht sie bis zu fünf Jahre, bei Bienengiftallergie praktisch lebenslang. Außerdem muss der behandelnde Arzt immer weiter regelmäßige Erhaltungsimpfungen verabreichen.

Wie lange muss die Hyposensibilisierung angewendet werden?

Daneben gibt es auch die sogenannte „präsaisonale“ Immuntherapie, eine Kurzzeittherapie, bei der nur einige Spritzen vor der Pollenflugsaison gegeben werden. Diese Methode wird dann mindestens dreimal, also ebenfalls über ca. drei Jahre hinweg, angewendet, kann aber auch über weitere Jahre hinweg nötig sein. Als neuere Form der Hyposensibilisierung wird auch die sublinguale Immuntherapie (SLIT) eingesetzt, bei der das Allergen täglich in Tabletten- oder Tropfenform unter die Zunge (sublingual) gelegt bzw. getropft und nach einer Weile geschluckt wird. Der Vorteil dieser Methode: Sie bringt weniger Nebenwirkungen als die klassische Impfung mit sich, dafür ist aber ihre Wirksamkeit noch nicht abschließend gesichert. Weil sie vermutlich weniger gut wirkt, wird sie auch seltener angewendet; zudem ist sie auch nicht bei allen Allergien möglich. Der Erfolg einer Hyposensibilisierung – ebenso wie deren Dauer und Häufigkeit – hängt immer vom jeweiligen Fall ab. Ob sich die Allergie durch die Therapie gebessert hat, zeigt sich daran, dass die Beschwerden wegfallen und entsprechend weniger Medikamente gebraucht werden. Auch wenn z.B. nach einem Insektenstich die bisher gewohnten Symptome ausbleiben, kann die Hyposensibilisierung als erfolgreich bewertet und abgeschlossen werden. Um ganz sicher zu sein, wird der Arzt allerdings noch einen Hauttest mit dem betreffenden Allergen machen und zur Bestimmung der Immunreaktion Blut abnehmen. Nur wenn sich dann eine Verringerung bzw. Normalisierung der Immunreaktion zeigt, kann die Therapie endgültig beendet werden.

Nicht immer ist die Hyposensibilisierung risikofrei

Im Allgemeinen gilt die Hyposensibilisierung als äußerst sichere Therapie, bei der sich die Nebenwirkungen in der Regel in Grenzen halten. Treten unerwünschte Symptome als Reaktion auf die Behandlung auf, können diese meist als natürliche allergische Folgeerscheinungen gewertet werden. Einige Stunden nach der Injektion können an der Einstichstelle und darum herum lokale allergische Reaktionen auftreten, etwa Juckreiz, Rötungen, Quaddeln, Schwellungen und auch auffallende Müdigkeit. Diese Erscheinungen klingen jedoch meistens nach einiger Zeit von selbst wieder ab. Auch lassen sie sich durch lokale Kühlung oder auch durch eine  Verteilung der Einstiche auf beide Arme mildern. Nur selten verursacht die Verabreichung des Allergens schwerere Nebenwirkungen, z.B. plötzlich auftretende allergische Allgemeinreaktionen wie Quaddeln am ganzen Körper (Urtikaria), eine Schwellung im Halsbereich (Quincke-Ödem), Nesselsucht oder Bronchialasthma. In solchen schwereren Fällen wird der Arzt als Gegenmittel Antihistaminika verabreichen und bei der folgenden Behandlung die Dosis reduzieren. Im schlimmsten Fall kann es als Nebenwirkung zu dem sehr selten auftretenden sogenannten anaphylaktischen Schock kommen. Für diesen Notfall ist der Arzt in der Praxis jedoch gerüstet und kann schnell entsprechend reagieren. Damit ggf. schnell mit einem Gegenmittel auf Nebenwirkungen reagiert werden kann, muss der Patient nach jeder Therapiesitzung eine halbe Stunde zur Beobachtung in der Praxis bleiben. Auch wird ihm empfohlen, am Tag der Behandlung körperliche Belastung zu vermeiden und keinen Alkohol zu sich zu nehmen.

Manchmal ist eine Hyposensibilisierung ausgeschlossen

Wie bereits erwähnt, ist die Hyposensibilisierung nicht immer, unter bestimmten Umständen nur eingeschränkt anwendbar. So müssen beispielsweise Heuschnupfenpatienten zunächst abklären, ob ihre Pollenallergie – wie es häufig der Fall ist – durch mehrere Allergene verursacht wird. Je mehr Allergien gleichzeitig vorliegen, desto schlechter sind die Erfolgsaussichten einer Hyposensibilisierung. Denn bei dieser können maximal drei verschiedene Allergene zur Verabreichung kombiniert werden; zudem lassen sich bestimmte Frühblüher-Allergene überhaupt nicht mit Gräsern kombinieren. In Einzelfällen muss immer der Arzt entscheiden, ob die Therapie tatsächlich möglich oder unmöglich ist. In der Regel wird er bei nicht ausreichend kontrolliertem Asthma, bei schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, während einer Therapie mit Betablockern, bei schweren Autoimmunerkrankungen und Immundefekten, bei Krebskranken, bei Personen, die vor weniger als zwei Wochen eine Schutzimpfung erhalten haben sowie bei Patienten mit einem aktuell vorliegenden Infekt die Hyposensibilisierung ausschließen. Auch schwangere Frauen müssen vorsichtig sein, denn bei ihnen ist die Stärke der Immunreaktion und deren Einfluss auf das Ungeborene nicht gänzlich vorhersehbar. Wurde jedoch schon vor Beginn der Schwangerschaft eine Hyposensibilisierung eingeleitet und wird diese gut vertragen, kann die Behandlung meist fortgesetzt werden. Bei Kindern unter fünf Jahren raten Ärzte meist von dieser Behandlung ab. Da aber bekannt ist, dass eine Hyposensibilisierung in der Jugend am besten wirkt, gilt für eine erste Behandlung das frühe Schulalter als optimal.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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