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Verdrängte Schwangerschaft – Wenn Frauen nicht bemerken, dass sie schwanger sind

Kommentar schreiben Aktualisiert am 31. März 2020

Von Zeit zu Zeit geistern kuriose Meldungen durch die Medien. Frauen kommen mit starken Unterleibskrämpfen oder einer vermeintlichen Nierenkolik ins Krankenhaus und verlassen es mit einem Baby im Arm wieder.

 

Das Phänomen der verdrängten Schwangerschaft sorgt immer wieder für Verwunderung. Wie kann es sein, dass eine werdende Mutter ihre Schwangerschaft nicht bemerkt? Tatsächlich kommen verdrängte Schwangerschaften häufiger vor, als man gemeinhin annimmt. Doch was bedeutet das für Mutter und Kind? Damit beschäftigen wir uns in folgendem Artikel.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Was ist eine verdrängte Schwangerschaft?

 

Als verdrängte Schwangerschaft – in der Fachsprache Gravitas suppressalis genannt – bezeichnet man eine Schwangerschaft, die bis zur 20. Schwangerschaftswoche nicht wahrgenommen wird. Manchmal wird solch eine verdrängte Schwangerschaft auch unbemerkte oder unerkannte Schwangerschaft genannt.1

 

Was im Umfeld meist für Verwunderung sorgt, kommt häufiger vor, als man denkt. Tatsächlich handelt es sich bei einer Schwangerschaft von insgesamt 500 um eine verdrängte. Auf Deutschland bezogen macht das im Schnitt 1300 verdrängte Schwangerschaften im Jahr. Etwa 270 davon – also immerhin ein Fünftel – werden tatsächlich erst unter der Geburt erkannt. Eine Gravitas suppressalis verläuft demnach unbewusst, meist gehen Abwehrprozesse damit einher. Abgegrenzt werden muss sie von einer verleugneten Schwangerschaft. Hier haben betroffene Frauen sehr wohl eine Ahnung, schieben die Tatsachen aber vehement von sich weg.2

 

Statistiken bezüglich unerkannter Schwangerschaften in Deutschland decken sich mit Zahlen aus den USA, Frankreich oder Großbritannien. So gesehen lässt sich Gravitas suppressalis international durchaus ähnlich betrachten.3

 

Den klassischen Fall gibt es übrigens nicht. Betroffen sind alle Schichten und Altersklassen, wobei ein leichter Anstieg bei Frauen unter 20 sowie über 40 Jahren beobachtet werden kann. Das dürfte maßgeblich damit zusammenhängen, dass sehr junge Frauen oder Frauen kurz vor der Menopause weniger mit einer Schwangerschaft rechnen.4

 

Statistisch relevant sind diese Ausreißer jedoch nicht, sie stellen lediglich eine Tendenz da. Auch Vorurteile, dass unerkannte Schwangerschaften häufig das Resultat von One-Night-Stands oder eines sehr ausschweifenden Sexuallebens sind, lassen sich statistisch nicht belegen. Circa 80 Prozent aller betroffenen Frauen leben in einer festen Partnerschaft. Darüber hinaus ist für etwa die Hälfte von ihnen eine Schwangerschaft eigentlich kein Neuland, haben sie doch bereits ein oder mehrere Kinder ausgetragen.5

 

Fazit: Verdrängte Schwangerschaften kommen gar nicht so selten vor. Mit Vorurteilen sollte man vorsichtig sein, da die meisten betroffenen Frauen in einer festen Partnerschaft leben und viele von ihnen außerdem schon Kinder ausgetragen haben.

 

Schwanger und nichts bemerkt – kann das wirklich sein?

 

Was bei einer Gravitas suppressalis zweifellos für die größte Verwunderung sorgt, ist die Tatsache, dass Schwangerschaftsanzeichen einfach übersehen werden. Doch wie ist das möglich, wo doch Symptome wie Übelkeit, das Ausbleiben der Periode, der stetig wachsende Bauch und schließlich die Kindsbewegungen so eindeutig auf das Wunder Mensch aufmerksam machen?

 

Dafür haben Fachleute eine Erklärung: Schwangerschaftssymptome werden oftmals unbewusst umgedeutet, sodass sie ins Konzept passen. Auf diese Weise wird eine ganz eigene Realität geschaffen und dabei verdrängt, was eben nicht sein kann.6

 

Ein Sandwhich von einem Maßband umwickeltDer Körper ist zwar schwanger, doch die Psyche spielt nicht mit! Schwangerschaftssymptome lassen sich dann spielend umdeuten. Die Gewichtszunahme wird etwa ganz einfach auf eine ungesunde Ernährung zurückgeführt. Für manche Betroffene sind Gewichtsschwankungen ohnehin nichts Ungewöhnliches. Sie messen dem steigenden Gewicht wenig Bedeutung zu, fangen vielleicht sogar eine Diät an. In anderen Fällen besteht Übergewicht, sodass die Gewichtszunahme sowie der wachsende Bauch nicht weiter auffallen.7

 

Zudem berichten Frauen davon, unter einer unregelmäßigen Periode zu leiden. Das Ausbleiben der Blutung habe sie also nicht weiter verunsichert. In manchen Fällen kommt es sogar weiterhin zu einer leichten Monatsblutung. Auch für Kindsbewegungen finden sich Erklärungen. Verdauungsschwierigkeiten oder Bauchgrimmen sind häufige vermeintliche Gründe. Dazu kommt, dass der Fötus bei einer unerkannten Schwangerschaft nicht selten unterdurchschnittlich klein ist. Schlankere Frauen ziehen außerdem unbewusst den Bauch ein, oder aber der Babybauch wird mit einem Blähbäuchlein verwechselt.8

 

Gründe für eine verdrängte Schwangerschaft

 

Die Gründe für eine unerkannte Schwangerschaft können vielfältig sein. In einigen Fällen wird schlichtweg gar nicht mit einer Schwangerschaft gerechnet. Vielleicht weil die Frau eigentlich verhütet oder aber auch kurz vor den Wechseljahren steht. Manchmal dürften aber massive innere Konflikte eine Rolle spielen. Etwa bei schwierigen Partnerschaften, wenn absolut kein Kinderwunsch besteht oder aber Ängste vor Abhängigkeiten vorhanden sind. Seltener spielen auch traumatische sexuelle Erlebnisse eine Rolle. Je nach Ausgangslage, setzen entsprechende Abwehrmechanismen ein.9

 

Eine verdrängte Schwangerschaft ist eine Risikoschwangerschaft

 

Verdrängte Schwangerschaften sind automatisch auch Risikoschwangerschaften. Demnach muss während der restlichen Schwangerschaft, oder eben spätestens nach der Geburt, ganz genau hingeschaut werden. Denn wenn Frauen nicht bemerken, dass sie schwanger sind, schränken sie sich gemeinhin nicht in ihrer Lebensweise ein. Nikotin- und Alkoholkonsum sind dann ebenso Thema wie eine ungesunde Ernährungsweise oder starke Belastung durch übermäßige körperliche Betätigung (Heben, Sport etc.).10

 

Verdrängte Schwangerschaft: Psychische Betreuung ist wichtig

 

Eine spät erkannte Schwangerschaft stellt für betroffene Frauen eine psychische Belastungsprobe dar. Innerlich herrscht absoluter Ausnahmezustand. Werdende beziehungsweise frischgebackene Mütter müssen unbedingt gut aufgefangen werden und benötigen in vielen Fällen auch professionelle Unterstützung. Eine Psychotherapie oder psychologische Beratung können dabei helfen, die Geschehnisse zu verarbeiten und die neue Situation in den Alltag und ins Selbstverständnis zu integrieren. Betroffenen empathisch zu begegnen und ihnen zu verstehen zu geben, dass sie bei weitem kein Einzelfall sind, ist außerdem wichtig.11

 

Ein Baby in den Händen zweier ErwachsenerDoch auch der organisatorische Druck darf nicht unterschätzt werden. Im Normalfall haben Frauen viele Monate lang Zeit, um sich in Bezug auf Babyausstattung, Säuglingspflege oder Antragsstellungen ausgiebig zu informieren. Bei einer unerkannten Schwangerschaft ist diese Zeit stark verkürzt oder überhaupt nicht vorhanden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass den jungen Familien kompetente Unterstützung an die Seite gestellt wird – etwa in Form eines Sozialarbeiters oder einer Familienhilfe.12

 

Ohne solche Unterstützungsangebote steigt Fachleuten zufolge das Risiko an, dass Mütter sich oder ihrem Kind Schaden zufügen. Tatsächlich können viele Fälle von Kindstötung mit verdrängten Schwangerschaften in Verbindung gebracht werden. Das Risiko eines Infantizids ist sogar noch größer, wenn die Geburt ganz alleine stattfindet.13

 

Beobachtungen zeigen übrigens auf, dass sich Mütter nach einer unerkannten Schwangerschaft nicht besser oder schlechter in ihrer Rolle zurechtfinden als andere Mütter auch. Sie sind allerdings ein wenig distanzierter. Da dürfte allerdings ein Umkehrschluss vorhanden sein. Denn gerade bei distanzierten Frauen, die dazu neigen, Dinge mit sich selbst auszumachen, ist die Wahrscheinlichkeit einer verdrängten Schwangerschaft unter Umständen ein wenig höher.14

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Daniela Jarosz
Autor: Daniela Jarosz

Daniela Jarosz ist Sonder- und Heilpädagogin. Während des Studiums hat sie sich intensiv mit Inhalten aus Medizin und Psychologie auseinandergesetzt. Sie arbeitet seit vielen Jahren im psychosozialen Feld und fühlt sich außerdem in der freiberuflichen Tätigkeit als Autorin zuhause. Im redaktionellen Bereich hat sie sich auf die Fachrichtungen Medizin, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance sowie Kinder und Familie spezialisiert.

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