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Sind Alzheimer, Demenz, Parkinson & Co bald besiegbar?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 29. November 2019

Das Fachgebiet der Neurologie läutet ein neues Zeitalter für neurologischer Erkrankungen ein: Sie behandelt inzwischen nicht mehr nur die Symptome neurologischer Erkrankungen, sondern repariert mithilfe der „personalisierten Medizin“ bereits einzelne molekulare Fehlfunktionen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie informiert derzeit auf ihrer Internetseite, dass momentan über 500 Medikamente gegen neurologische Erkrankungen entwickelt werden, davon 46 gegen Parkinson und 92 gegen Alzheimer. Absehbar ist, dass in Deutschland Millionen von Menschen mit der Diagnose Alzheimer, Demenz oder Parkinson von den Entwicklungen profitieren können.

 

Alzheimer, Demenz und Parkinson

 

Die häufigsten neurologischen Alterserkrankungen in Deutschland – Parkinson, Demenz und die spezifische Demenzform „Alzheimer – zeichnen sich durch chronisch-fortschreitende Nervenschäden im Gehirn oder Rückenmark aus. Dadurch kommt es häufig zum Abbau von Bewegung, zum Verlust von Bewegungskontrolle und zu kognitiven Schäden. Umso hoffnungsweckender erscheint die „Personalisierte Medizin“, an deren Schwelle sich die Medizin befindet. Professor Dr. Thomas Gasser sagte auf dem 92. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie über Alzheimer, Parkinson und Demenz: „Mit den Fortschritten der Molekulargenetik und dem Nachweis von Genmutationen rückt eine therapeutische Korrektur der individuellen genetischen Defekte in greifbare Nähe.“

 

Aber auch die Heilbarkeit seltener neurodegenerativer Erkrankungen gerät zunehmend ins Blickfeld: „Erstmals gibt es molekulare Ansätze gegen die Krankheitsursachen der Huntington-Erkrankung, der progressiven supranukleären Blickparese (PSB) und gegen die Multisystematrophie (MSA)“, sagte diesbezüglich Professor Dr. Günther Höglinger von der Neurologischen Klinik der Mediznischen Hochschule Hannover auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Stuttgart im September. 

 

Wo liegen die Krankheitsursachen bei Parkinson, Demenz und Alzheimer?

 

Bei genetisch bedingten Erbkrankheiten wie Parkinson, Demenz, Alzheimer oder der Multisystematrophie kommt es dazu, dass Eiweißmoleküle falsch zusammengebaut werden. Ursächlich dafür sind grundlegende Fehler in der DNA, im Bauplan jeder Körperzelle. Sie führen zur Bildung fehlerhafter Proteine (Eiweiße). Das führt zum Abbau bestimmter Nervenzellen. Zusätzlich zu diesen Genmutationen findet man bei Parkinson und Alzheimer das Phänomen der Verklumpung fehlerhaft zusammengebauter Proteine.¹,² Durch eine Molekül-Fehlfaltung der Proteine lagern sie diese Proteine in Gehirnzellen als Körnchen (Protein-Aggregate) ab. Gemeinsam führen die beiden Fehlentwicklungen bei Morbus Parkinson und Morbus Alzheimer zu den Krankheitssymptomen der Vergesslichkeit, Desorientierung, Zittrigkeit, Gangunsicherheit oder Aggressivität.

 

Parkinson: Molekulargenetisches Arzneimittel zur Entlastung von GBA-Enzymen

 

Speziell für den Morbus Parkinson wurden in den letzten Jahren mittels molekulargenetischer Techniken 15 Parkinsongene entschlüsselt.³ Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass Patienten, die eine Mutation im GBA-Gen zeigen, oft einen früheren, schwereren und schnelleren Parkinsonverlauf zeigen. Auch treten bei ihnen häufiger nicht-motorische Begleitsymptome wie Demenz, Depressionen oder Herzkreislaufbeschwerden auf. Bei Parkinson führt eine Mutation im GBA-Gen dazu, dass das GBA-Enzyms weniger aktiv ist, sodass es zur verstärkten Ablagerung bestimmter Proteine (Alpha-Synukleide) als Körnchen kommt.

 

Eine internationale Phase-2-Studie untersuchte hierfür nun das Arzneimittel „Venglustat“. (GL-1). Das Arzneimittel hemmt die Bildung von GL-1 (die Glucosylceramid-Synthase-1) bei Patienten mit einer GBA-Mutation. Bei 22 Patienten weltweit stellte man nach einer über 32-wöchigen Therapie fest, dass die Konzentration der GL-1 im Blut und im Hirnwasser (Liquor) deutlich sanken.4 Das hilft wahrscheinlich dem gering vorhandenen GBA-Enzym, mehr  Alpha-Synukleide abzubauen, die letztlich zu den Körnchen-Ablagerungen führen.

 

Parkinson: Molekulargenetisches Arzneimittel hemmt überaktives Signalübertragungs-Protein

 

Außerdem fand man heraus, dass bei Parkinson das sogenannte LRRK2-Gen defekt ist und offenbar dazu führt, dass die LRRK2-Kinase (ein Signalübertragungs-Protein innerhalb der Zellen) überaktiv wird. Eine Studie mit einem LRRK2-Hemmungsmedikament mit dem Namen „DNL151“ prüft nun seit Anfang September, ob sich das überaktive Signalübertragungsprotein LRRK2 sozusagen blockieren lässt.5 Das Medikament wird aktuell an Patienten mit leichtem bis mittelschwerem Parkinsongrad erprobt.

 

Parkinson: Molekulargenetisches Arzneimittel verhindert Ablesung mutierter Gene

 

Eine dritte neuartige Therapieform stellt die Behandlung mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden (ASO's) dar. Über ASO's wurde herausgefunden, dass sie bei mehreren chronischen Erkrankungen eine Rolle spielen. ASO's können als „eingeschleuste DNA-Bausteine“ Ableseprozesse von mutierten Genen in den betroffenen Gehirnzellen stören. Dadurch wird die Bildung eines falsch gebauten Proteins bereits vor der Fehlbildung verhindert. Leider können ASO's nicht vom Blut in das Gehirn übertreten. Daher muss diese Medikamentenform direkt in das Hirnwasser (Liquor) gespritzt werden.

 

Bei frühkindlichen schweren Spinalen Muskelathrophien und bei der erblichen Huntington-Erkrankung führte die ASO-Behandlung bereits zu unglaublichen Behandlungsergebnissen. Hier zeigten sich motorische Muskelfunktionen bei betroffenen Säuglingen deutlich verbessert.6

 

MSA: Molekulargenetisches Arzneimittel verhindert Protein-Aggregation

 

MSA beziehungsweise die Multisystematrophie ist eine parkinsonartige Bewegungsstörung. Sie zeichnet sich neben parkinsonartigen Störungen zusätzlich durch Ohnmachtsanfälle, Harnverhalt, Inkontinenz, Blutniedrigdruck und Schluck- wie Atmungsprobleme aus. Die im August veröffentlichte Promesa-Studie untersuchte die Wirkung von sogenannten „Protein-Aggregationshemmern“, die das typische Verklumpen des Proteins Alpha-Synuclein bei Parkinson und der Multisystematrophie verhindern. Eins dieser Protein-Aggregationshemmer, das Epigallocatechingallat (EGCG) aus Grüntee, wurde auf seine Wirksamkeit bei MSA-Patienten getestet. Es verhinderte in Zellkulturen das Verklumpen von Alpha-Synuclein. MRT-Bilder zeigten bei denjenigen Patienten, die ein Jahr lang die Grüntee-Substanz EGCG einnahmen, tatsächlich einen deutlich geringeren Gewebeschwund in relevanten Hirnbereichen.7

 

PSB: Molekulargenetisches Arzneimittel verhindert Ausbreitung von Protein-Aggregaten

 

Bei einer progressiven supranukleären Blickparese (PSB) kommen zu parkinsonähnlichen Bewegungsstörungen zusätzlich Augenmuskel- und Blicklähmungen hinzu. Dies führt bei Betroffenen häufig zum Sehen von „Doppelbildern“. Eine im Juni untersuchte Studie von Boxer et al. untersuchte, ob Anti-Tau-Antikörper des Typs BIIB092 eine Ausbreitung der Protein-Verklumpung bei PSB-Patienten verhindern. Die Konzentrationen der Tau-Proteine im Nervenwasser sank messbar, woraus Prof. Höglinger das Fazit schloss: „Die Ergebnisse zeigen, dass der Antikörper seine therapeutische Zielstruktur im Gehirn offensichtlich erreicht.“ Nun müsse eine weitere Studie nur noch untersuchen, ob es Hinweise darauf gibt, dass der Antikörper auch die Symptome des Patienten zum positiven verbessert.8

 

Chorea Huntington-Erkrankung: Molekulargenetisches Arzneimittel stört Bildung defekter Proteine

 

Bei der Chorea-Huntington-Erkrankung leiden die Patienten an sehr schweren Bewegungsstörungen, die zunehmend fortschreiten. Hinzu treten Verhaltens- und Denkdefizite. Nach Symptombeginn sterben die Betroffenen im Durchschnitt nach 15 Jahren. Eine im Juni veröffentlichte Studie untersuchte, dass auch bei der Huntington-Erkrankung das Ablesen falscher DNA-Bausteine durch sogenannte ASO's gestört werden kann. Da das defekte Huntington-Gen durch den ASO-Störmechanismus seltener abgelesen wird, bilden sich weniger fehlerhafte Huntington-Proteine. Die ASO-Therapie mit der Substanz HTTRx zeigte sich so erfolgreich, dass die missgebildeten Huntington-Proteine bei den behandelten Patienten um bis zu 42 Prozent sank, während sie bei unbehandelten Patienten sogar um 10 Prozent stieg.9

 

Weiteres aus der Alzheimer-Forschung

 

In Deutschland leben aktuell über 1 Million Demenzerkrankte, deren Gesundheitskosten sich auf insgesamt über 5,6 Milliarden Euro belaufen - ohne dass die Therapie bis jetzt gravierende Krankheitsverbesserungen zeigt. Bei einer Demenz handelt es sich um eine chronische Störung des Denkvermögens und Verhaltens, begleitet wird sie von neuropsychiatrischen Symptomen. Ein Großteil der Demenzpatienten leidet an der Alzheimer-Erkrankung. Bei dieser treten spezielle Hirnveränderungen auf, deren eiweißartige Ablagerungen (Proteinaggregate) im Gehirn erst gänzlich in einer Autopsie nachweisbar sind. Diese Proteinaggregate bestehen aus Beta-Amyloid-Proteinen und Tau-Proteinen (Neurofibrillen).

 

Das schwierige an der Diagnose: Nicht bei allen Autopsien ergeben die typischen Amyloid- und Tau-Proteinablagerungen. Zudem gibt es atypische Subtypen, deren Beginn sich durch Impulsivität oder Stimmungsschwankungen statt durch klassische Gedächtnisstörungen bemerkbar macht. Während primäre Demenzformen wie Alzheimer schwer behandelbar sind, zeigten sich sekundäre Demenzformen – die durch Mangelerscheinungen, Alkoholmissbrauch oder Stoffwechselstörungen entstanden sind – als gut behandelbar. Deswegen setzt die Demenztherapie zusehends auf frühe, umfassende Diagnosestellung von Patienten, auch solchen mit untypischem Beginn wie Stimmungsschwankungen. Eine aktuelle Studie konnte zudem herausstreichen, dass der Geschmacksverstärker Glutamat in vielen Fertigprodukten die Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung fördern könne.10 Glutamat ist nicht nur in Fertigprodukten, sondern auch in reifem Käse, Tomaten und Getreidesorten enthalten. Jedoch sollen natürliche Lebensmittel die demenzfördernde Substanz in weit geringeren Mengen beinhalten.

 

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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