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Ozempic, Trulicity, Wegovy – mit der Spritze zum Traumgewicht?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 25. Oktober 2023

Die verschreibungspflichtigen Diabetes-Medikamente Ozempic und Trulicity werden derzeit als „Abnehmspritzen“ und Alternative zur Fettabsaugung ohne OP gehypt. In den sozialen Medien sorgen sie für millionenfache Aufrufe und das, obwohl beide Arzneimittel nicht zur Gewichtsreduktion zugelassen sind. Die erhöhte Nachfrage bleibt nicht ohne Folgen für die eigentliche Zielgruppe: inzwischen sind die Wirkstoffe Semaglutid und Dulaglutid für Diabetiker knapp geworden. Entlastung könnte das seit Mitte Juli 2023 in Deutschland zugelassene Präparat Wegovy bringen – sofern der Hersteller den gesteigerten Bedarf bewältigen kann. Darüber hinaus wird die ohnehin prekäre Situation durch die weltweit zunehmende Zahl an Plagiaten erschwert – laut US-Heimatschutzministerium könnte sich dies zum größten Fall von Arzneimittelfälschungen seit der Einführung von Viagra entwickeln.

 

 

 

Was steckt hinter den „Abnehmspritzen“?


Ozempic enthält den Wirkstoff Semaglutid – ein sogenanntes Inkretin-Mimetikum. Es wird normalerweise zur Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt, wenn andere Therapien zur Senkung des Blutzuckerspiegels, wie orale Antidiabetika, nicht ausreichend wirksam waren. Für den europäischen Markt ist es seit Anfang 2018 zugelassen. Aufgrund der langen Halbwertszeit muss Semaglutid nur einmal wöchentlich appliziert werden und kann unabhängig von der Nahrung direkt in das Unterhautfettgewebe von Oberarm, Bauch oder Oberschenkel gespritzt werden.

 

Seit 2022 ist der Wirkstoff Semaglutid in der EU unter dem Handelsnamen Wegovy zur Behandlung von starkem Übergewicht zugelassen. Es wurde ebenfalls vom dänischen Arzneimittelhersteller Novo Nordisk entwickelt und ist doppelt so hoch dosiert wie Ozempic. Wegovy darf bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 30 verordnet werden, oder bei Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck ab einem BMI von 27. In Deutschland ist die Fettwegspritze seit Mitte Juli 2023 erhältlich.

 

Die Abnehmspritze bringt viele Nebenwirkungen mit sich - apomio.de Gesundheitsblog


Das Fertigarzneimittel Trulicity enthält ebenfalls ein Inkretin-Mimetikum. Auch der Wirkstoff Dulaglutid wird zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes eingesetzt und ist seit Februar 2015 auf dem deutschen Markt erhältlich. Die Applikation erfolgt auch hier einmal wöchentlich; das Präparat kann ebenfalls unabhängig von der Nahrung als Injektionslipolyse direkt unter die Haut gespritzt werden.

 

 

Was ist Diabetes?

Bei Diabetes mellitus handelt es sich um eine chronische Erkrankung des Stoffwechsels, die umgangssprachlich auch als „Zuckerkrankheit“ bezeichnet wird. Betroffene leiden an erhöhten Blutzuckerwerten aufgrund eines Mangels an Insulin – dem einzigen Hormon, das eine blutzuckersenkende Wirkung besitzt. Es ist daher von immenser Bedeutung für den Stoffwechsel aller Wirbeltiere. Insulin wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet und leitet den im Blut befindlichen Zucker in die Zellen. Dort wird daraus Energie gewonnen und zum Teil auch gespeichert. Neben dem Zuckertransport reguliert Insulin außerdem den Fett- und Eiweißhaushalt. In Abhängigkeit von der zugeführten Nahrung und dem jeweiligen Zeitpunkt steigt und sinkt der Blutzuckerspiegel über den Tag verteilt – sowohl der Insulin- als auch der Blutzuckerspiegel unterliegen demnach ständigen Schwankungen.

Man unterscheidet zwei verschiedene Diabetes-Formen: Bei Typ-1-Diabetes, der meist im Kindes- und Jugendalter auftritt, liegt ein absoluter Insulinmangel vor. Grund ist der Untergang Insulin-produzierender Zellen. Bei Typ-2-Diabetes, oder auch „Erwachsenendiabetes“, liegt größtenteils ein relativer Insulinmangel vor: Einem erhöhten Insulinbedarf steht eine sinkende Ausschüttung durch Insulin-produzierende Zellen gegenüber.

 

Wie wirken Inkretin-Mimetika?

Inkretin-Mimetika zielen darauf ab, den Blutzuckerspiegel zu senken. Sie imitieren die Wirkung eines Darmhormons – des „Glukagon-like peptide-1“ (kurz GLP-1). Das Inkretin-Hormon wird im Dünndarm gebildet, sobald kohlenhydrathaltige Nahrung verzehrt wird. Die Wirkstoffe Semaglutid  und Dulaglutid führen daher zu einer erhöhten Insulinausschüttung aus den Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Des Weiteren hemmen sie die Glukagonausschüttung – Glukagon ist ein Hormon, das den Blutzuckerspiegel erhöht, indem es die Freisetzung von Glukose aus der Leber stimuliert.

 

Zusätzlich verlangsamen Inkretin-Mimetika die Entleerung des Mageninhalts in den Darm. Dadurch wird die Aufnahme von Glukose in den Blutkreislauf nach den Mahlzeiten verzögert und die Kontrolle des Blutzuckerspiegels verbessert. Des Weiteren führt die längere Verweildauer im Magen zu einem anhaltenden Sättigungsgefühl. Im August wurden zusätzlich erste Ergebnisse der SELECT-Studie von Novo Nordisk veröffentlicht. Sie sollen belegen, dass die „Fett-weg-Spritze“ mehr kann, als ihr Name vermuten lässt: bei der Anwendung von einmal wöchentlich 2,4 mg Semaglutid konnte die Zahl schwerwiegender Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall um 20 Prozent verringert werden.

 

Zum Erhalt der positiven Effekte ist allerdings eine dauerhafte Gabe erforderlich. Die Verlängerung der sogenannten „STEP-1-Studie“ zeigt, dass der Heißhunger nach Absetzen der Mittel wieder einsetzt und ein Jo-Jo-Effekt droht. Teilnehmer nahmen innerhalb eines Jahres wieder bis zu zwei Drittel ihres verlorenen Gewichts zu. Und auch die erreichten Verbesserungen in puncto Blutzucker und Blutdruck wurden zunichte gemacht.

 

Lieferengpässe erschweren die Versorgung

Viele Prominente, darunter Elon Musk und Kim Kardashian, sprachen in der Vergangenheit offen darüber, dass sie Ozempic zum Abnehmen verwenden. Bei der Oscarverleihung im März spielte Moderator Jimmy Kimmel in seiner Eröffnungsrede darauf an, dass bei den Hollywoodstars die Fettwegspritze kursiere: “Alle sehen hier großartig aus. Wenn ich mich umsehe, frage ich mich: Ist Ozempic das Richtige für mich?".

 

Bei Diabetes 2-Patienten führt der Trend der Fettwegspritze zu Versorgungsengpässen - apomio.de Gesundheitsblog

 

Aufgrund der hohen Nachfrage kommen der Hersteller mit der Produktion nicht hinterher. Für Diabetes-Erkrankte wird es jedoch problematisch, wenn Medikamente aufgrund von Lieferengpässen nicht verfügbar und plötzlich abgesetzt werden. Inkretin-Mimetika gelten zwar nicht als lebenswichtig, sind aber dennoch schwer zu ersetzen. In den meisten Apotheken gibt es inzwischen Wartelisten für Kunden mit einem Rezept. Je nach Lieferfähigkeit beträgt die Wartezeit wenige Tage bis mehrere Wochen.

 

Dass Abnehmwillige den Diabetikern die Arzneimittel streitig machen, ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Aufgrund der Nebenwirkungen sind Inkretin-Mimetika auch bei Diabetikern sehr beliebt. Schon lange ist bekannt, dass zwischen der Stoffwechselerkrankung und Übergewicht ein direkter Zusammenhang besteht – neben ungesunder Ernährung und mangelnder Bewegung sind überschüssige Pfunde Hauptrisikofaktor für Diabetes.

 

 

Was tun, wenn eine Injektion aufgrund der Lieferverzögerungen verpasst wurde?

Haben Diabetiker eine Ozempic-Injektion aufgrund der Lieferverzögerungen verpasst, kann diese entsprechend der Gebrauchs- und Fachinformation schnellstmöglich innerhalb von fünf Tagen nach dem eigentlichen Injektionszeitpunkt nachgeholt werden. Sind bereits mehr als fünf Tage vergangen, wird die Dosis ausgelassen/übersprungen und turnusmäßig am nächsten üblichen Tag verabreicht.

Gleiches gilt für Trulicity: Hier verweist die Fachinformation darauf, die Gabe so schnell wie möglich nachzuholen – vorausgesetzt die nächste reguläre Gabe ist nicht weniger als 3 Tage (72 Stunden) später vorgesehen. In diesem Fall sollte die versäumte Dosis ebenfalls ausgelassen werden und die nächste Applikation zum nächsten vorgesehenen Termin erfolgen.

 

Einsatz nicht ohne Risiken

Die Arzneimittel Ozempic und Trulicity sind lediglich zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes zugelassen. Die Verordnung zum Abnehmen erfolgt off-Label, also außerhalb der offiziellen Zulassung. Dabei handelt es sich bei Semaglutid und Dulaglutid mitnichten um harmlose Appetitzügler. Beide Wirkstoffe können erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Neben Magen-Darm-Beschwerden wie dauerhafter Übelkeit und Völlegefühl, Erbrechen, Verstopfungen, Kopfschmerzen und Durchfall kann es in seltenen Fällen auch zu einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse kommen.

 

Wie verbreitet der off-label-use zur Gewichtsreduktion ist, lässt sich schwer beziffern, da dieser über Privatverordnungen läuft. In einer Empfehlung weist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) darauf hin, beide Präparate ausschließlich zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes zu verordnen und die entsprechenden Empfehlungen zu beachten. Eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen ist zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen grundsätzlich nicht zulässig. Werden die Arzneimittel auf einem Privatrezept verordnet, muss eine zugelassene Indikation angegeben sein. Fehlt diese Angabe, soll die Apotheke mit dem verordnenden Arzt Rücksprache halten, um sich die Indikation bestätigen zu lassen. Des Weiteren darf die verordnete Menge den Bedarf für drei Monate nicht übersteigen.

 

Der Hersteller von Ozempic selbst informierte im März 2023 in einem Schreiben für Ärztinnen und Ärzte: „Jedes andere Anwendungsgebiet, inklusive Gewichtsregulierung, stellt eine off-label Anwendung dar und kann aktuell die Verfügbarkeit von Ozempic für Menschen mit Typ-2-Diabetes gefährden.“ 

 

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Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) sieht den off-label-use von Ozempic ebenfalls kritisch. Sie warnte deshalb bereits im November letzten Jahres vor der Anwendung des Wirkstoffes außerhalb der zugelassenen Indikationen. Risiken für die Gesundheit und unerwünschte Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen seien nicht auszuschließen. Auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase könnten die Folge sein. Tierversuche hätten zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten ergeben.

 

Die Medikamente müssen daher unbedingt unter ärztlicher Betreuung angewendet werden. Meist zeigen sich die Beschwerden zu Beginn der Therapie und lassen bei vielen Betroffenen nach einigen Monaten nach. Indem die Dosierung anfangs niedrig angesetzt und langsam gesteigert wird, lassen sich die Symptome größtenteils abschwächen. Dennoch können in manchen Fällen die Nebenwirkungen so stark sein, dass die Behandlung abgebrochen wird.

 

Kriminelle Machenschaften gefährden die Gesundheit

Noch gefährlicher ist es, sich die Spritzen im Internet ohne ärztliche Verordnung zu besorgen.

 

Kriminelle Anbieter werben vor allem über Spam-Mails für ihre vermeintlich seriösen Onlineshops, die eine „schnelle und einfache Online-Bestellung ohne Rezept“ anbieten. Geliefert werden in vielen Fällen Arzneimittel mit gravierenden Qualitätsmängeln, ohne Umverpackung oder Packungsbeilage. Warnhinweise zu Nebenwirkungen und Vorsichtsmaßnahmen sowie Informationen zur korrekten Dosierung fehlen gänzlich. Zudem sind diese Arzneimittelfälschungen häufig über- oder unterdosiert; in manchen Fällen enthalten sie sogar falsche, nicht deklarierte oder keinerlei Wirkstoffe.

 

Das Regierungspräsidium Freiburg informierte am 5. Oktober in Absprache mit dem Sozialministerium Baden-Württemberg zu identifizierten Fälschungen von Ozempic Pens in deutscher Aufmachung. Es sei nicht auszuschließen, dass sich mehrere gefälschte Packungen in Deutschland im Vertrieb befinden, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren ausgehen. Die Behörde wies Apotheken darauf hin, alle Ozempic-Packungen mit größter Sorgfalt zu prüfen. Während die Umverpackung dem Original des dänischen Herstellers Novo Nordisk täuschend ähnlich sieht, weicht die eigentliche Spritze deutlich erkennbar vom Original ab. Laut BfArM liegen bisher keine Erkenntnisse vor, dass Fälschungen in Deutschland Patientinnen oder Patienten erreicht haben.

 

Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Freiburg gegen einen Pharmagroßhändler im Südwesten Baden-Württembergs. Das Unternehmen habe 199 Packungen des mutmaßlich gefälschten Medikaments zunächst von einem österreichischen Großhändler bezogen. Anfang September lieferte er sie dann an einen weiteren Pharmahändler in Großbritannien, wo sie als Fälschungen identifiziert wurden.

 

Unklar ist noch, welches Ausmaß der Fall tatsächlich hat. In Österreich führte die Anwendung von mutmaßlich gefälschtem Ozempic bereits zu einem Krankenhausaufenthalt. Die berichtete schwerwiegende Nebenwirkung mit Unterzuckerung und Krampfanfall ist laut österreichischem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) ein Indiz, dass in dem Produkt fälschlicherweise Insulin anstelle des Wirkstoffs Semaglutid enthalten war.

 

Entspannung der Lage durch Wegovy?

Die Einführung von Wegovy vor knapp drei Monaten brachte bisher kaum Entspannung auf dem deutschen Markt. Erhältlich ist es in den Apotheken ebenso wenig, wie das wirkstoffgleiche Ozempic – die enorme Nachfrage kann der Hersteller auch hier kaum bewältigen. Ärzte bittet der in Dänemark ansässige Pharmakonzern deshalb, das Mittel „verantwortungsvoll“ zu verschreiben.

 

In den USA wurde aufgrund der hohen Nachfrage bereits im Mai der Zugang für neue Patienten beschränkt, indem das Angebot der niedrigeren Wegovy-Dosisstärken begrenzt wurde. Dies sollte die Versorgungssicherheit bereits bestehender Patienten gewährleisten.

 

Des Weiteren ist Wegovy fast doppelt so teuer im Vergleich zu Ozempic. Trotz Zulassung ist eine Verordnung auf Kassenrezept nicht möglich, da es als Lifestyle-Medikament nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zählt. Und dennoch kommen Patienten in Deutschland noch glimpflich davon: in den USA hat Wegovy in der höchsten Wirkstärke aktuell einen Listenpreis von 1350 Dollar im Monat.

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Linda Künzig
Autor: Linda Künzig

Linda Künzig, Apothekerin mit Weiterbildungen im Bereich Homöopathie und Naturheilverfahren. Neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke unterstützt sie seit Mai 2019 die Apomio-Redaktion als freie Autorin.

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