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Kinderlos glücklich – geht nicht? Geht doch!

Kommentar schreiben Aktualisiert am 04. September 2019

Eine Frau um die 40 ohne Kinder? Ein Paar ohne Nachwuchs? Fast schon automatisch ernten diese Menschen mitleidige Reaktionen („Die Ärmsten!“), oft auch absolutes Unverständnis, ja sogar Vorwürfe: „Die verpassen doch das Beste im Leben!“ – „Der ist wohl Selbstverwirklichung wichtiger als die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen – wie egoistisch!“ Doch ist es wirklich bedauerlich, eigensüchtig oder verantwortungslos, sich bewusst gegen eigene Kinder zu entscheiden? Immer mehr Frauen und Männer sagen: Nein, ich stehe dazu! In Blogs, Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen ist immer häufiger die Rede von der glücklichen Kinderlosigkeit. Vor allem Frauen wehren sich zunehmend gegen die ihnen traditionell zugedachte Rolle der allumfassend liebenden Mutter.

 

Berichte von kinderlosen Paaren

 

So auch Julia, 36. „Ich habe nie das Bedürfnis verspürt, Mutter zu werden“, sagt Julia in der ARD-Reportage „Kinderlos glücklich“. Auch Julias Partner Thomas genießt das Leben zu zweit. In der Fernsehdokumentation werden mehrere Paare vorgestellt, die aus unterschiedlichen Gründen keine Familien gegründet haben. Sie alle sind keine Egoisten, keine genusssüchtigen Hedonisten, die nur in Saus und Braus leben und von Verantwortung für andere nichts wissen wollen. Und sie finden offenbar Zuspruch – das zeigen schon viele Zuschauerkommentare zur ARD-Dokumentation.1

 

„Ich habe mich schon in jungen Jahren bewusst entschieden, keine Kinder zu bekommen, da ich schon damals glaubte (drohender Atomkrieg), dass Kinder in dieser Welt kein gutes Leben mehr erwartet, was sich zunehmend bestätigt“, schreibt etwa eine 67-Jährige. „Zufriedenheit und Glück ist keine Frage von Kindern, sondern eine Lebenseinstellung!“, behauptet eine weitere Kinderlose. Und selbstbewusst schreibt eine andere: „Sich viele andere Wünsche erfüllen, viel Zeit für die Partnerschaft und die eigene Entwicklung haben, viel reisen ... das ist doch ein schönes Leben!“1

 

Kein Glücksgarant

 

Langsam dringt es wohl auch in das (öffentliche) Bewusstsein vor, dass Nachwuchs nicht automatisch das Leben glücklich macht. Studien bestätigen das. So berichtet die Online-Ausgabe der „Welt am Sonntag“ über eine aktuelle europaweite Studie der beiden Glücksforscher David Blanchflower und Andrew Clark. Demnach sind viele Menschen nach der Geburt ihrer Kinder unglücklicher als sie es zuvor waren – und zwar aus überwiegend materiellen Gründen. 2

 

Für die Studie werteten die Wissenschaftler die Antworten von einer Million Europäer zu Fragen bezüglich ihrer Lebenszufriedenheit über zehn Jahre hinweg aus. Dabei stellte sich heraus, dass diejenigen Eltern, die wegen der Kinder deutliche finanzielle Einbußen hatten, weniger glücklich sind als Mütter und Väter, deren materielle Situation sich nach der Geburt ihrer Kinder nicht verändert hatte. Letztere gaben überwiegend an, dass ihre Kinder ihr Leben bereichert hätten.2

 

Im „Welt am Sonntag“-Artikel kommt auch der Schweizer Glücksökonom Bruno Frey zu Wort. „Materielle Bedingungen sind sehr wichtig für das Glück“, sagt er und betont, dass viele vor der Geburt ihrer Kinder wohl die romantische (und falsche) Vorstellung hätten, es sei kein Problem, weniger zu arbeiten und nur noch die Hälfte zu verdienen. Vielmehr stiegen die Ausgaben, während das Einkommen oft sinke, weil ja meist ein Elternteil oder auch beide weniger oder gar nicht mehr arbeiteten. „Das macht automatisch weniger glücklich“, sagt Frey.2

 

Bis zu 130.000 Euro pro Kind

 

Was die Kosten für ein Kind bis zum 18. Lebensjahr angeht, gibt es verschiedene Modellrechnungen auf jeweils unterschiedlichen Kalkulationsgrundlagen. Beispielhaft wird in einem Online-Artikel von „Familie“ die Rechnung des Statistischen Bundesamts erwähnt, die vor allem auf den laufenden Konsumausgaben basiert. Demnach kommen allein bis zur Volljährigkeit eines Kindes fast 130.000 Euro zusammen.3

 

Doch ist es längst nicht immer nur das Geld, das den „Glücksfaktor Kind“ schmälert. Dass Kinderkriegen aus mehreren Gründen kein Glücksgarant ist, ist sogar mehrfach höchstwissenschaftlich belegt, wie schon die bereits beschriebene neue europäische Studie zeigt. Laut Online-Lexikon Wikipedia entdeckten bereits im Jahr 2003 Forscher bei der Auswertung von 97 Studien zum Thema Elternschaft, dass Eltern bis zu dem Zeitpunkt, da der Nachwuchs (endlich) aus dem Haus sei, durchschnittlich unglücklicher seien als Kinderlose.4

 

Zu einem ähnlichen Schluss kamen Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. In ihrer Studie werteten sie Daten von 200.000 Erwachsenen aus 86 Staaten aus. Ihr Fazit: Nur bei Menschen ab etwa 40 Jahren führten Kinder offenbar zu deutlich mehr Glücksgefühlen. Die Autoren befragten zum selben Thema auch noch über 2000 deutsche Studienteilnehmer. Hier stellten sie fest, dass der überwiegende Teil der Eltern nach der Geburt des ersten Kindes eine Verringerung seiner Lebensqualität empfand.4

 

Kinder als „Liebestöter“

 

Auch bei der französischen Autorin Corinne Maier war dies offenbar so. In ungewohnt drastischer Art, zumindest aber erfrischend ehrlich, formuliert Maier ihre „40 Gründe, keine Kinder zu haben“ – so der Untertitel ihres Buches „No Kid“, eine Abrechnung mit der Mutterschaft. Das Buch hat bei Leserschaft und Kritikern zum Teil hohe Welle geschlagen und ebenso viel Begeisterung wie Entrüstung geerntet. Kinder sind „Liebestöter“, eine „Lärmbelästigung“ und „Monster“, schreibt sie. Beim Babyschwimmen empfindet sie keine Seligkeit, sondern leichten Ekel, weil sie darüber nachdenkt, wie vollgepinkelt das Wasser wohl ist. Wohlgemerkt: Corinne Maier ist Mutter, und nach eigenen Angaben eine liebende dazu. Dennoch lautet ihr Fazit zur Mutterschaft: „Mir wäre es lieber, keine Kinder zu haben.“

 

Das sehen viele andere Frauen auch so – und äußern dies auch. Wer bei einer Suchmaschine die Begriffe „Kinderlos glücklich“ oder „Glücklich ohne Kinder“ eingibt, wird massenhaft fündig. Besonders spannend wird es, wenn eine Frau mit wirklich radikal erscheinenden Thesen an die Öffentlichkeit geht, so wie die Lehrerin und Autorin Verena Brunschweiger, die mit ihrem Buch „Kinderfrei statt Kinderlos: Ein Manifest“ einen wahren Aufschrei in den Medien erzeugte.5

 

Unter anderem veröffentlichte das Online-Frauenmagazin brigitte.de ein ausführliches Porträt mit Interview. Für Brunschweiger ist ein Kind schlichtweg „das schlimmste für die Umwelt“, folglich verzichtet sie, die erklärtermaßen „extrem umweltbewusst“ lebt, gänzlich auf Nachwuchs. Ihre Forderung scheint extrem: Im Sinne des Umweltschutzes solle jede Frau, die der Umwelt zuliebe kein Kind bekommt, mit 50 Jahren mehrere zehntausend Euro bekommen. Mutterstreik-Prämie statt Mutterkreuz, sozusagen.5

 

Lieber vorher überlegen als nachher bedauern

 

Auf Kinder ganz verzichten ist das eine – es im Nachhinein zu bedauern, Kinder bekommen zu haben, das andere. Einzug in die gesellschaftliche Diskussion hielt dieses Phänomen unter dem Begriff „Regretting Motherhood“, also „Bedauern der Mutterschaft“.

 

Namensgebend ist eine 2015 veröffentlichte Studie der israelischen Soziologin Orna Donath. Sie hat für ihre Untersuchung eine repräsentative Auswahl von Frauen mit unterschiedlichen sozialen und religiösen Hintergründen in Israel befragt. Kern war die Frage der Forscherin: „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, mit Ihrem heutigen Wissen und Ihrer Erfahrung, würden Sie dann nochmal Mutter werden?“ Die zahlreichen Frauen, die diese Frage verneinten, einte vor allem das Grundgefühl, in ihrer Mutterrolle „gefangen“ zu sein – sie liebten zwar ihre Kinder, hassten es aber gleichzeitig, Mutter zu sein.6

 

Die teils heftigen Reaktionen auf diese Studie – und auf viele andere Bücher und veröffentlichte Meinungen zum Thema – zeigen vor allem eines auf: Nach wie vor wird von Frauen nicht nur die Mutterschaft erwartet, sondern vielmehr auch, dass diese sie rundum glücklich macht. Bis heute wird Weiblichkeit mit Mütterlichkeit gleichgesetzt.7

 

Das erklärt die Münchner Soziologin Paula-Irene Villa in einem Interview mit dem Blog jetzt.de unter anderem damit, dass sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Idee durchgesetzt habe, Weiblichkeit verwirkliche sich vor allem in der Mutterschaft. Frauen, die ein anderes Lebensmodell wählten, lebten demnach „widernatürlich“. Daher rühre auch die ständige Belehrung kinderloser Frauen, sie würden es eines Tages bereuen, keine Kinder zu haben.7

 

Rückgabe ausgeschlossen

 

Eine ziemlich vernichtende, aber auch sehr reflektierte Kritik an „Regretting Motherhood“ und den öffentlichen Diskurs über dieses Phänomen übt das Wochenmagazin „Zeit“. Die Autorin rechnet mit all den Buch- und Magazinautorinnen ab, die sich dank der durch Donaths Studie gewonnenen neuen Freiheiten endlich einmal richtig über das „Elend“ der Mutterschaft auslassen.8

 

Am Ende des Artikels steht eine kluge Überlegung. „Wer hätte eigentlich ernsthaft gedacht, dass Muttersein zwangsläufig glücklich macht? Was tut eigentlich der Begriff Glück in dieser Debatte, Jahrzehnte nachdem die ‚Mutterliebe‘ als ein sozial konstruiertes Empfinden dekonstruiert wurde?“, schreibt die Autorin, und weiter: „Im Aufschrei der Empörung versteckt sich ein Lebensgefühl von Konsumbetrug. Wo doch alles im Leben auf sein Optimum getrimmt wird, nur der schärfste Sex (...) oder abends der sunset an der Eisbar auf dem Gletscher, dazu fünf Outfits (...) bestellt. Bei Nichtgefallen gehen die aber alle zurück! Und dann stellt man fest, man hat sich ein Kind ‚angeschafft‘, (...) und es hat, ähnlich wie das neue Smartphone, diese blöden Macken, und im Kleingedruckten ist die Rückgabe ausgeschlossen.“8

 

Besonders geeignet für ein Fazit zum Thema sind jedoch sicherlich die einfachen Worte einer Autorin aus dem Blog jetzt.de. „Verkneift euch doch einfach die beurteilenden Bemerkungen!“, schreibt sie. „Gewöhnt euch an den Gedanken, dass es nicht wenige Frauen gibt, die keine Kinder wollen. Auch ohne Nachwuchs oder Kinderwunsch möchte ich als vollwertige Frau wahrgenommen werden.“7

 

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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