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Coaching und Psychotherapie - Die wichtigsten Unterschiede!

Kommentar schreiben Aktualisiert am 09. August 2019

Warum gerate ich immer wieder an die falschen Partner? Wie kommt es, dass ich ständig mit Kollegen und Vorgesetzten in Streit gerate? Irgendwie bin ich nicht glücklich – will ich eigentlich die nächsten 20 Jahre noch genauso weitermachen wie jetzt? Solche und ähnliche Fragen kennen sicherlich die meisten. Wenn sie immer wieder und immer mehr „zwicken“, wenn sie am Ende vielleicht sogar den Alltag, das Wohlbefinden und die körperliche und seelische Gesundheit beeinträchtigen, dann wünschen sich viele guten Rat und Hilfestellung eines Profis. Doch an wen wendet man sich am besten? An einen Coach – oder vielleicht doch besser an einen Psychotherapeuten?

 

Zum Coach oder auf die Couch?

 

Coaching ist in aller Munde – es verheißt schnelle, effiziente Hilfe bei alltäglichen, meist beruflichen Problemen und ist weniger vorurteilsbehaftet als eine Psychotherapie. Doch was ist eigentlich was? Schauen wir doch zunächst einmal ins weltweite Lexikon Wikipedia. Hier wird das Coaching so definiert: „Der Begriff Coaching wird als Sammelbegriff für unterschiedliche Beratungsmethoden (Einzelcoaching, Teamcoaching, Projektcoaching) verwendet. Im Unterschied zur klassischen Beratung werden keine direkten Lösungsvorschläge durch den Coach geliefert, sondern die Entwicklung eigener Lösungen wird begleitet. (...) Die Ziele dieser Gespräche reichen von der Einschätzung und Entwicklung persönlicher Kompetenzen und Perspektiven über Anregungen zur Selbstreflexion bis hin zur Überwindung von Konflikten mit Mitarbeitern, Kollegen oder Vorgesetzten.“1

 

Und was genau ist eine Psychotherapie? Wikipedia dazu: „Psychotherapie bezeichnet allgemein die „gezielte professionelle Behandlung seelischer (psychischer) Störungen oder psychisch bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln. Die dabei angewandten Verfahren, Methoden und Konzepte sind durch verschiedene Psychotherapieschulen geprägt.“2

 

Es kommt darauf an, wie gesund die Seele ist

 

Schaut man sich die beiden Definitionen an, fällt auf: Entscheidend für die Wahl zwischen dem einen und dem anderen ist offenbar der Grad der seelischen Gesundheit. Sprich: Coaching ist vor allem etwas für psychisch gesunde, stabile Menschen. Experten sprechen auch oft von Menschen mit der Fähigkeit zum „Selbstmanagement“ – eine Fähigkeit, die klassischen Psychotherapiepatienten oft abgeht.

 

Allen gängigen Beschreibungen zufolge kommen zum Coaching in der Regel Menschen, die sich eine (Neu-)Orientierung und/oder mehr Erfüllung in ihrem beruflichen, aber auch privaten Leben wünschen, die Konflikte gezielt lösen, an sich arbeiten und ihr persönliches Potenzial erkennen oder gezielter ausschöpfen wollen. Eine Psychotherapie dagegen ist eher angezeigt, wenn man sich durch seine Probleme stark belastet fühlt und nicht (mehr) das Gefühl hat, im Leben noch eigenständig zurechtzukommen und zu „funktionieren“. Typische Störungen und Erkrankungen, die zu einem Psychotherapeuten führen, sind etwa dauerhafte Niedergeschlagenheit, Depressionen und körperlich-seelische Erschöpfung, Ängste und Phobien, Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen usw.

 

Lösungsorientierte Beratung vs. tiefgehende Ursachenforschung

 

Der „Coaching-Report“, ein Online-Portal mit umfassenden Informationen zum Coaching, siedelt diese Form der Beratung vor allem im beruflichen Umfeld an, insbesondere für Personen mit Management-Aufgaben.3 Coaching sei „keine verdeckte Psychotherapie, auch wenn viele Methoden aus psychotherapeutischen Schulen eingesetzt werden (z.B. Gesprächsführung, kognitive Verfahren, Kreativitätsübungen, Rollenspiele usw.)“, heißt es dort. Die Beratung richte sich vor allem an Personen, die sich aktuell mit allen möglichen beruflichen Herausforderungen stellen müssten. In dem Zusammenhang könnten natürlich auch immer wieder rein persönliche Probleme auftauchen, die es dann ebenfalls anzuschauen gelte.

 

Doch gehe man beim Coaching im Allgemeinen weit weniger emotional in die Tiefe als bei einer Psychotherapie. Bei einem rein beruflich motivierten Coaching werden oft auch konkrete wirtschaftliche Ziele gesteckt und systematisch verfolgt, während es bei der Psychotherapie grundsätzlich darum geht, die generelle psychische Gesundheit des Klienten so weit wie möglich wiederherzustellen.

 

Schwierigkeiten wie Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit und diverse psychische Erkrankungen seien ebenso wenig Sache eines Coaches wie „die Betrachtung der gesamten Lebensgeschichte eines Klienten“, also die Bearbeitung tiefgehender (psychischer) Schwierigkeiten unter Berücksichtigung der individuellen Lebensgeschichte, heißt es im „Coaching-Report“. Dies obliege ausschließlich entsprechend ausgebildeten Psychotherapeuten, Ärzten und medizinischen Einrichtungen.

 

Grundlegende Unterschiede, manche Gemeinsamkeiten

 

Auch wichtig: Im Coaching ist der Klient ebenso der „Bestimmer“ wie der Coach, vor allem wenn es um Abläufe und Inhalte der Sitzungen geht. Bei einer Psychotherapie ist es dagegen oft der Therapeut, der Verantwortung übernimmt.

 

Nicht zuletzt gibt es auch z.T. erhebliche finanzielle Unterschiede zwischen Coaching und Psychotherapie. Der Klient eines Coaches zahlt aus eigener Tasche, während bei der Psychotherapie, insbesondere bei den gängigen Formen und schwerwiegenderen Befunden, die Kosten in vielen Fällen von den Krankenkassen getragen werden.

 

Neben den grundlegenden Unterschieden gibt es jedoch auch einige Gemeinsamkeiten. So verwenden beide Beratungsformen psychologische und psychotherapeutische Methoden und Verfahren. Auch sehen sich Coaches ebenso wie  Psychotherapeuten als Gesprächspartner auf Augenhöhe, die beraten, aber nicht von oben herab raten wollen. Und natürlich geht es beiden darum, dass es dem Klienten nach Beendigung der Sitzungen deutlich besser geht und die gewünschten Ziele erreicht wurden.

 

In einem Artikel, der in den Online-Ausgaben der „Welt“ und der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht wurde, wird Thomas Fydrich, Professor für Psychotherapie an der Humboldt-Universität Berlin, zitiert.4,5 Er erklärt den Unterschied zwischen den beiden Methoden sehr einleuchtend am Beispiel von Prüfungsangst. „Zu schauen, woher die Angst kommt und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wiederzufinden – das wäre ein Ziel für den Coach. Werde diese Angst aber so schlimm, dass das Hinausschieben von Prüfungen mit der eigenen Lebensplanung in Konflikt gerät, man etwa das Studium von Semester zu Semester verschleppt, dann werde die Prüfungsangst pathologisch – und könne in einer Therapie behandelt werden“, sagt Fydrich.

 

Coaching: besser fürs „Image“

 

Gerade wer im Job nicht mehr „funktioniert“, hat oft große Schwierigkeiten, dazu zu stehen – und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Psychotherapie zu beginnen, schließen viele aus, das wäre ja dann ein Eingeständnis, irgendwie „gestört“, krank oder „schwach“ zu sein. Sich einen Coach zu suchen, das hört sich ja sogar irgendwie „schick“ an – schließlich ist es doch sogar unter Managern durchaus üblich und allgemein anerkannt, diese Art von Beratung in Anspruch zu nehmen.

 

 „Psychisch krank zu sein ist nach wie vor ein Stigma“, sagt der Hamburger Psychiater und Psychotherapeut Michael Stark in einem Online-Artikel der Wochenzeitung „Zeit“.6 Viele Patienten, die zu ihm in seine eigene Klinik kommen, trauten sich nicht einmal, ihren Freunden zu erzählen, dass sie psychisch angeschlagen seien. Auch von Hausärzten ist in dem Artikel die Rede, die oft vergeblich eine Überweisung zum Psychotherapeuten vorschlagen und vor allem von Männern ein „Ich bin doch nicht bekloppt!“ entgegnet bekommen.

 

Coaching als „Einstieg“ in Psychotherapie

 

Dabei ist der Bedarf an psychischer Unterstützung – sei es nun durch den Coach oder den Psychotherapeuten – seit vielen Jahren unverändert hoch. Laut einem Spiegel Online-Bericht verzeichnete das Bundesarbeitsministerium bereits 2010 über 50 Millionen Krankentage wegen Beschwerden und Erkrankungen der Seele.7 Im Jahr 2018 verursachten psychische Erkrankungen rund 15 Prozent aller Fehltage in Deutschland.8  Und: Wenn die Seele leidet, führt dies laut der deutschen Psychotherapeutenkammer zu den längsten Fehlzeiten am Arbeitsplatz: Betroffene sind im Durchschnitt 26,1 Tage arbeitsunfähig und damit um jeweils 8 bis 20 Tage länger als bei körperlichen Erkrankungen.9

 

Somit könnte ein Coaching zumindest eine Art „Einstieg“ sein für Menschen, denen es schwer fällt, über ihre psychischen Schwierigkeiten zu sprechen. Der Anruf bei einem Coach kostet meistens erst mal weniger Überwindung. Und hat man einen wirklichen Profi gefunden, wird dieser auch schnell erkennen, ob der neue Klient besser in einer Psychotherapie aufgehoben wäre – und diese dann auch empfehlen.

 

Der gute Coach kennt seine Grenzen

 

Allerdings: Einen guten Coach zu finden, kann schwierig sein und eine Weile dauern. Denn „Coach“ darf sich jeder nennen, im Gegensatz zu Psychotherapeuten, die diese Berufsbezeichnung nur nach Abschluss einer entsprechend anerkannten Ausbildung tragen dürfen. Einen seriösen Coach mit fundiertem Wissen erkennt man meist daran, dass er keine Heilsversprechen gibt, sich erst einmal in Ruhe mit dem neuen Klienten bekannt macht, viel fragt – und seine Grenzen kennt. Natürlich können auch Menschen ohne einschlägige psychologische Ausbildung sehr gute Coaches sein. Und umgekehrt bieten auch viele ausgebildete Psychologen und Psychotherapeuten Coachings an.

 

Wie auch immer – letztlich entscheidet das eigene Gefühl, ob man sich bei jemandem gut aufgehoben fühlt oder nicht. Bis es zu einem Erstgespräch kommt, können einige der unten angegebenen Adressen eine erste Orientierung bieten.

 

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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