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Bitter? Ja bitte! Was Bitterstoffe alles können

Kommentar schreiben Aktualisiert am 08. Mai 2018

Bittere Tränen können wir weinen, Bitterkeit empfinden oder mit einer bitteren Erfahrung hadern. Alles nichts Schönes! Also scheint es nur folgerichtig, dass die meisten Menschen beim Gedanken an Bitteres in der Nahrung auch erst einmal abwehrend den Kopf schütteln. Dabei können bittere – und damit weniger wohlschmeckende – Stoffe in Nahrungsmitteln sehr viel Gutes für unseren Körper bewirken. Man denke nur an die uralten Sprichwörter „Medizin muss bitter schmecken, sonst nützt sie nichts!“ und „Was bitter im Mund, ist dem Magen gesund“. Dass das stimmt, davon sind nicht nur Ernährungswissenschaftler und Naturheilkundler, sondern auch immer mehr Schulmediziner überzeugt. Tatsächlich sind wir in unserer modernen Welt ganz einfach nicht mehr an den Geschmack von Bitterstoffen gewöhnt. In früheren Zeiten, als man noch naturbelassene Lebensmittel aß, gehörte „bitter“ einfach zur Geschmackspalette dazu. Inzwischen verkauft uns jedoch die Industrie seit vielen Jahrzehnten vor allem stark gezuckerte oder „angenehm“ aromatisierte Nahrungsmittel mit künstlichen Geschmacksstoffen wie z.B. Glutamat. Der natürliche Geschmack ist in solchen „Lebensmitteln“ längst nicht mehr erkennbar. Außerdem wurden vielen alten Gemüse- und Obstsorten die ursprünglich vorhandenen Bitterstoffe systematisch „herausgezüchtet“, wie es beispielsweise bei Radicchio, Chicorée und Endiviensalat der Fall ist. Unsere Geschmacksknospen haben sich dem angepasst und bevorzugen demnach süße, salzige, vielleicht noch süßsaure Aromen. Die Folge: Die meisten Menschen leiden heute unter einem Mangel an Bitterstoffen im Körper – mit vielfältigen gesundheitlichen Folgen, darunter so verbreitete „Volkskrankheiten“ wie Übergewicht, Verdauungsstörungen und Stoffwechselkrankheiten.

Bitterstoffe – was ist das eigentlich?

Unter die Kategorie Bitterstoffe fallen alle chemischen Verbindungen, die einen bitteren Geschmack haben. Das heißt, dass Bitterstoffe auch in allem stecken, das bitter schmeckt. Sehr viele Kräuter und Heilkräuter, Pflanzen und Heilpflanzen sowie einige Obst- und Gemüsesorten enthalten diese Stoffe, die zu den sekundären Pflanzenstoffen gehören und viele Namen haben. So kommen z.B. Lactucopikrin und Lactucin in allen Lattichen und in Eisbergsalat vor, Cynarin ist der Bitterstoff aus der Artischocke, Salicin stammt aus der Weide, Naringin ist in Grapefruits drin. Weitere Namen sind u.a. Glucosinolat, Prämarrubiin und Marrubiin. Man unterscheidet bitterstoffhaltige Gewächse nach der Art ihrer „Bitterkeit“: So gibt es etwa die Amara aromatica (u.a. Löwenzahn, Schafgarbe, Beifuß- und Wermutkraut): Sie enthalten neben Bitterstoffen vor allem ätherische Öle, die die positive Wirkung der Bitterstoffe durch entzündungshemmende, krampflösende und antibakterielle Effekte ergänzen. Dagegen enthalten Gewürzpflanzen der Gruppe der Amara acria, zu denen u.a. Ingwer und Senf gehören, auch scharfe Inhaltsstoffe. Bei den Amara adstringentia (u.a. Chinarinde) stehen Gerbstoffe mit zusammenziehenden, wundheilenden Eigenschaften im Vordergrund, die Amara mucilaginosa enthalten sogenannte Schleimstoffe; zu ihnen gehört u.a. Isländisch Moos. Darüber hinaus gibt es Bitterstoffe, die sich nicht zum Verzehr eignen, darunter das Denatoniumbenzoat, ein synthetischer Abkömmling des Betäubungsstoffs Lidocain. Es wird unter anderem in Lösungs- und Reinigungsmitteln und Shampoos verwendet. Durch den extrem bitteren Geschmack soll vor allem verhindert werden, dass kleine Kinder die Substanzen versehentlich verschlucken.

Bitter macht gesund!

Bitterstoffen werden zahlreiche gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Vor allem sind sie in der Lage, die Verdauungsprozesse im Körper zu fördern, indem sie den gesamten Magen-Darm-Trakt kräftigen. Sie unterstützen Magen, Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse und Darm in ihren natürlichen Funktionen und vermehren die Verdauungssäfte. Das lässt sich sehr anschaulich in einem Beispiel erklären: Wenn man zu einer Portion fettreicher Pasta einen bitterstoffreichen Salat (z.B. Portulak) isst, stimulieren die im Grünzeug enthaltenen Bitterstoffe schon beim Kauen die zwischen den Geschmacksknospen liegenden Nervenzellen im Mund. Das vegetative Nervensystem steigert daraufhin die Produktion von Speichel und Magensaft. Dadurch können die im Speichel enthaltenen Enzyme die aufgenommene Nahrung besser aufspalten, sodass diese bereits vorab aufbereitet im Magen ankommt. Hier wiederum sorgen die aufgenommenen Bitterstoffe dafür, dass verstärkt Magensaft gebildet und die Magenschleimhaut besser durchblutet wird. Das heißt: die schweren Nudeln können durch die gleichzeitige Zufuhr von Bitterstoffen vom Körper besser verarbeitet und verdaut werden. Vor allem naturheilkundlich orientierte Mediziner verschreiben häufig bitterstoffhaltige Arzneien, wenn Patienten über Symptome wie Aufstoßen, Blähungen, Verstopfung, Krämpfe, Magenübersäuerung, schwache Verdauung oder Appetitlosigkeit klagen oder unter Funktionsschwächen von Leber, Gallenblase und Bauchspeicheldrüse leiden. Allerdings nützt es nichts, einfach nur Bitterstoffe einzunehmen, wenn ansonsten vor allem industriell verarbeitete Lebensmittel ohne guten Nährwert verzehrt werden. So ist eine Therapie mit Bitterstoffen vor allem in Verbindung mit einer ballaststoffreichen, naturbelassenen und säurearmen – also basisch orientierten – Ernährung sinnvoll. Damit sind aber noch längst nicht alle positiven Effekte der Bitterstoffe aufgezählt. Schon in der jahrtausendealten Naturmedizin wussten die Heilkundigen, dass der ganze Organismus durch diese wunderbaren Substanzen angeregt und gekräftigt werden kann. Chronische Müdigkeit, Hautprobleme, Störungen des Fettstoffwechsels, Herz-Kreislauf-Beschwerden und sogar depressive Verstimmungen lassen sich sehr gut mit verschiedenen Bitterstoffen behandeln. Denn die bitteren Arzneien aus der Natur fördern die Aufnahme von Nähr- und Vitalstoffen aus dem Darm in das Blut und beseitigen durch ihre gesundheitsfördernde Wirkung auf den Darm mitunter auch Hauterkrankungen und andere Beschwerden quasi „nebenbei“, da bekanntlich die Gesundheit von Darm und anderen Körperbereichen wie z.B. der Haut eng zusammenhängt.

Zum Abnehmen und als "Anti-aging-Wunder"

Außerdem wird vermutet, dass Bitterstoffe die gesamte Immunabwehr steigern und sogar Alterungsprozesse im Körper aufhalten können. Schon im Mittelalter reichten Klostermediziner älteren und geschwächten Patienten ein „Elixier ad longam vitam“, also eine lebensverlängernde Arznei mit Enzian- und Angelikawurzel. Heute empfehlen viele Naturmediziner Patienten, die älter als 50 Jahre sind, sogar eine Bitterstoff-Kur, um den alternden Körper in seinen natürlichen Funktionen zu unterstützen. Nicht zuletzt schätzt man Bitterstoffe auch wegen ihres gewichtsreduzierenden Effektes, da sie den Appetit dämpfen. Genauer gesagt, mindert paradoxerweise das Bittere den Heißhunger auf Süßes – was sich schon die alten chinesischen Heiler zunutze machten, denn in der Traditionellen Chinesischen Medizin mit ihrer polaren Sicht gelten die Bitterstoffe schon immer als „Gegenpole“ des Süßen. Auch die moderne westliche Ernährungswissenschaft hält den Bitterstoffen zugute, dass sie zu einem schnelleren Sättigungsgefühl beitragen und durch ihren intensiven Geschmack für einen beschleunigten Fluss der Verdauungssäfte sorgen, was somit auch den Sättigungsreiz schneller herbeiführt. Wer also abnehmen will, sollte viel Gemüse und Kräuter mit einem hohen Anteil an Bitterstoffen essen.

Wo bekomme ich ausreichend Bitterstoffe her?

Reichlich Bitterstoffe finden sich u.a. in Artischockenblättern, Lattich, Chicorée und anderen Salaten, sowie in Enzian, Tausendgüldenkraut, Engelwurz, Löwenzahn und Schafgarbe, in Ingwer und in der Wermutpflanze, in Hopfen und Oliven, in Grapefruit und Pomelos. Kennt man sich ein wenig aus oder folgt einem erfahrenen Kräuterkenner, kann man viele dieser Pflanzen (ausgenommen Enzian, da dieser unter Naturschutz steht und nicht gepflückt werden darf) einfach draußen in der Natur sammeln oder sie im eigenen Garten anpflanzen. Alternativ gibt es zahlreiche bitterstoffreiche Nahrungsmittel auf Märkten zu kaufen; gerade die Bauern kennen sich oft hervorragend mit ihren Produkten aus und können Fragen beantworten und viele wertvolle Tipps geben. Wer sich mediterran ernährt, nimmt automatisch viele Bitterstoffe auf, da in der Mittelmeerküche Olivenöl, Artischocken und viele bittere Küchenkräuter alltäglich auf dem Speiseplan stehen. Viele schätzen auch einen hochwertigen Kräuterbitter, der bitterstoffreiche Kräuter und Pflanzen in konzentrierter, kombinierter Form enthält. Gute Kräuterbitter werden bis heute nach alten Klosterrezepturen hergestellt und bestehen aus ebenso wirksamen wie aromatisch-wohlschmeckenden Kombinationen, etwa aus Engelwurz, Enzian, Lavendel, Majoran, Schafgarbe, Löwenzahn, Kalmus, Wermut, Koriander, Fenchel, Kardamom, Kümmel, Gewürznelken, Zimt, Pomeranze und Ingwer.

Arzneien und Co. mit Bitterstoffen – bedenkenlos einzunehmen?

Wer eine Bitterstoff-Kur beginnen oder regelmäßig Bitterstoffe in Form von Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln einnehmen will, sollte damit keinesfalls auf eigene Faust beginnen. Zum einen kann die Einnahme bei bestimmten Erkrankungen – allen voran Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüre – schaden. Zum anderen sollte immer der behandelnde Arzt vorher zu Rate gezogen werden. Er kann einschätzen, ob etwas gegen die regelmäßige Bitterstoff-Zufuhr spricht und ob es bestimmte Regeln einzuhalten gilt. Zudem kennt er, wenn er auf diesem Gebiet versiert ist, das für den jeweiligen Patienten optimale, auf sein Alter, den Gesundheitszustand und weitere Bedürfnisse abgestimmte Bittermittel. Sind alle Eventualitäten geklärt, hat man die reiche Auswahl: Hochwertige Tinkturen und Tees, Extrakte, Säfte oder Fertigarznei gibt es z.B. in der Apotheke. Übrigens: Welcher Bitterstoff gegen welche Beschwerden wirkt, welches spezifische Wirkprofil eine Bitterstoffpflanze hat und welche Dosierung und Art der Anwendung empfohlen werden, all das und mehr wissen naturheilkundlich ausgerichtete Ärzte, Kräuterheilkundige, Heilpraktiker und auch viele Apotheker. Darüber hinaus gibt es in speziellen Ratgeberbüchern und auch im Internet viele Informationen zum Thema Bitterstoffe.

Bitter, nein danke: Was, wenn bitter gar nicht geht?

Was tun aber, wenn die Abneigung gegen bitteren Geschmack so groß ist, dass man Bitterstoffe am liebsten gar nicht verzehren möchte? Geschmacksneutrale Kapseln sind, wie schon erwähnt, eine nicht wirklich zufriedenstellende Form, um Bitterstoffe in geeignetem Maß aufzunehmen. Naturheilpraktiker und andere Experten wissen jedoch: Man kann die Toleranz gegenüber dem bitteren Geschmack ebenso trainieren, wie uns z.B. die Vorliebe für die „salzig-würzige“ Geschmacksrichtung antrainiert wurde. Und was die Fachleute ebenso wissen: Je größer die Abneigung gegenüber Bitterem ist, desto deutlicher ist das ein Zeichen dafür, dass der Körper dringend nach Bitterstoffen verlangt! Wer also eine neue Freundschaft mit Bitterstoffen eingehen will, sollte langsam beginnen und sich mit kleinen, aber regelmäßigen Dosen Bitterstoffen an den ungewohnten Geschmack herantasten. Am Ende gewöhnt man sich garantiert daran. Wie es heißt, lernen selbst Menschen, die sich bei Bitterstoffe zunächst nur schütteln konnten, diesen Geschmack regelrecht zu lieben. Selbst wenn man so weit nun nicht kommt – wer die gesundheitlichen Veränderungen spürt, die der regelmäßige Verzehr von Bitterstoffen mit sich bringen kann, der wird sicher immer öfter „Bitter? Ja bitte!“ sagen

Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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