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Modellprojekte Grippeimpfung

Kommentar schreiben Mittwoch, 19. August 2020

Seit 1. März dürfen bestimmte Modellapotheken in Deutschland gegen Grippe impfen. Das Ziel: Apothekenimpfungen sollen künftig die Impfquote in der Bevölkerung verbessern. Ob allerdings auch genügend Apotheken an dem bis Herbst vorzubereitenden Modellversuchen teilnehmen, ist laut Apothekenkreisen noch offen.

Dass Apotheker auch impfen können, zeigen internationale Erfahrungen, verwies die ABDA im Juni auf längst geltende Praxis anderer Länder: „Grippeschutzimpfungen durch Apotheker haben sich in etlichen anderen Ländern bewährt, zum Beispiel in Frankreich, im Vereinigten Königreich und in Portugal“.1 Den Anfang für erste Modellprojekte in Deutschland machte der Apothekerverband Nordrhein e.V. (AVNR).

Apothekerverband Nordrhein (AVNR) macht den Anfang

Zum 9. Juli verkündete der AVNR auf seiner Webseite, sich mit der AOK im Raum Rheinland/Hamburg auf ein Modellvorhaben verständigt zu haben. Das Projekt im Raum Nordrhein wird demnach im Herbst 2020 mit der kommenden Grippesaison starten und über drei Jahre dauern. Sowohl Durchführung als auch Auswertung erfolgen dem Verband zufolge nach „anerkannten wissenschaftlichen Standards“.2

„Ziel ist es“, sagt Thomas Preis als Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein e.V., „die Durchimpfungsraten weiter zu steigern.“3 Dabei betrachte die Apothekerschaft das Angebot nur als Ergänzung zum Impfangebot der Ärzteschaft. Dies bestätigt auch Christian Splett, stellvertretender Pressesprecher der ABDA: „Wir wollen der Ärzteschaft keinesfalls Patienten abwerben. Unser erklärtes Anliegen ist es, ein zusätzliches Impfangebot zu bieten, um beispielsweise Kunden, die aus Zeitmangel nicht zum Arzt gehen, zu erreichen.“

Nur 35 Prozent der Bürger über 60 Jahren sind der WHO zufolge bislang gegen Grippe geimpft.4 Damit ist Deutschland noch weit entfernt von den 75 Prozent, welche die Weltgesundheitsorganisation anstrebt.

 

Zweites Modellprojekt in der Oberpfalz geplant

Ebenfalls im Juli berichtete der Bayerische Rundfunk über ein weiteres Modellprojekt, dass bereits kurz vor dem Abschluss stünde.5 Demnach werde ein Projekt in der Bayerischen Region Oberpfalz vorbereitet.6 Über das Projekt ist jedoch seitens der ABDA noch nicht offiziell berichtet worden. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass der Fortschritt dieses Versuchs noch unklar ist. Projektpartner seien der Bayerische Apothekerverband und auch in diesem Fall eine Gebietskrankenkasse der AOK.7

Noch recht wage äußerte sich Josef Kammermeier, Vizepräsident des Bayerischen Apothekenverbands, gegenüber dem BR. Dort sagte er Anfang des Sommers, dass die Apothekenimpfung eine große Chance sei.8 Die Hürde, einen Apothekenbesuch ohne Termin zu absolvieren, sei niedriger. Dass Impfungen durch Apotheker „Gefahren für die Patientensicherheit“ bergen würden – wie es die Ärzteschaft in einer Stellungnahme zum Regierungsvorhaben befürchtete – sieht die Apothekerschaft selbst für schwerwiegende allergische Zwischenfälle anders. Laut Josef Kammermeier gebe es in der Region Oberpfalz gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apotheken, die spezielle Schulungen von Apothekern erleichtern.9 

Impfzukunft vom Ergebnis der Modellprojekte abhängig

Um sich den gewünschten 75 Prozent anzunähern, ist der niedrigschwellige Weg zur Apotheke zunächst ein Probelauf der Regierung. Die Auswertung der Impfquote und der Kosten wird ergeben, ob künftig Gesetze geschaffen werden, die Grippeimpfungen in Apotheken nicht nur im Rahmen von Modellprojekten erlauben. Spannend bleibt neben der Impfquote insbesondere die Kostenfrage: Denn für 7,81 Euro, die von der Ärzteschaft für Apothekenimpfungen vorgeschlagen wurden, werden Apotheken kaum flächendeckend mitziehen können.

7,81 Euro werden Apotheken kaum ködern

So müssen Apothekeninhaber und Filialleiter mit diversen Kosten rechnen. Allenfalls mit Fortbildungskosten für die spezielle Schulung von Apothekern und zusätzlich mit Verwaltungs-, Sach- und Personalaufwand. Während die Ärzteschaft 7,81 Euro pro Impfung als Leistungshonorar vorschlägt,10 hat sich die AOK Rheinland/Hamburg mit dem Apothekerverband NRW im Modellprojekt auf 12,61 Euro (Netto) je Impfung geeinigt.11 Damit werden die Impfung selbst, die benötigten Materialien exklusive des Impfstoffs und der Evaluierungsaufwand entlohnt. Der Impfstoff selbst soll in den Modellprojekten nach der AMVV vergütet werden, zuzüglich 1 Euro Aufschlag pro Dosis.12

Honorarfrage bislang nur für Modellprojekte geklärt

Wie DAZ.online berichtet, liefert ein Gutachten im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen den weitaus kostendeckenderen Vorschlag, das Honorar für Grippeimpfungen in Apotheken künftig mit 15 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer abzugelten.13 Kalkuliert wurde demnach ein geschätzter Zeitaufwand von 12 Minuten einschließlich der Dokumentation.14 Der Vorschlag sei auch deshalb so großzügig, weil die Vergütung einen echten Anreiz für öffentliche Apotheken schaffen müsse, die freiwillige Impfung umzusetzen.15

Das müssen teilnehmende Apotheken gewährleisten

Apotheken, die an einem Modellprojekten zur Grippeimpfung teilnehmen, müssen zunächst einige Bedingungen erfüllen: Die ärztliche Schulung der Apotheker ist zwingend notwendig, damit Impfkandidaten angemessen aufgeklärt, geimpft und im Allergiefall gerettet werden können. Zudem müssen Räumlichkeiten besonders ausgestattet werden. Die Fortbildungskosten trägt zum jetzigen Stand die teilnehmende Apotheke. Wie die neue Apothekenleistung hierzulande ablaufen und honoriert wird, ist noch nicht gänzlich geklärt, es gibt jedoch bereits eine Leitlinie zur Durchführung der Impfung.16 In dieser ist festgehalten, dass an erster Stelle stets die Verfügbarkeit eines impfenden Apothekers, Impfraums, Impfstoffs und der Arbeitsmittel – wie Einmalhandschuhe, Arbeitskittel und Zellstofftupfer – überprüft wird.17

Welche Prozesse sind außerdem für die Grippeimpfung nötig?

Laut der Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) müssen impfwillige Patienten an erster Stelle ihre Volljährigkeit nachweisen. Sind sie zudem Mitglied einer gesetzlichen Kasse, die am Modellprojekt teilnimmt, können sie geimpft werden.18 Anschließend wird der Zustand des Patienten überprüft. Gegen eine Impfung sprechen die Kontraindikationen akute oder fieberhafte Infekte, Überempfindlichkeiten gegen Impfstoffbestandteile (z. B. Gentamicin, Neomycin, Hühnereiweiß), geplante Operationen in den nächsten 3 Tagen, gerinnungshemmende Medikamente oder eine bestehende Schwangerschaft.19 Im Aufklärungsgespräch wird der Patient vorab über Risiken und Ablauf der Impfung informiert. Nach Unterschrift der Einwilligungserklärung kümmert sich der Apotheker um Schutzkittel, Einmalhandschuhe und Händedesinfektion.20

So läuft die Impfung ab

Geimpft wird je nach Präferenz im Liegen oder Sitzen am gewünschten Oberarm. Vor dem Einstich der Kanüle soll das Desinfektionsmittel vollständig abtrocknen. Die Impfung erfolgt zirka 2 Zentimeter tief intramuskulär in den Deltamuskel am Oberarm.21 Neben der Nachsorge am Patienten ist auf ordentliche Entsorgung und die Impfdokumentation im Impfbuch und Dokubogen der Apotheke zu achten (z.B. Datum, Charge, Impfstoff, Apothekenadresse, Unterschrift).22

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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