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Stationsapotheker-Pflicht in niedersächsischen Kliniken

Kommentar schreiben Dienstag, 20. November 2018

 

Warum Stationsapotheker in Niedersachsen?

 

Jahrelang tötete der Krankenpfleger Niels H. in niedersächsischen Krankenhäusern Patienten. Ohne medizinische Indikation spritzte und verabreichte er Medikamente, die er als Pfleger unauffällig entwendete. Wie können solche Tatbestände zukünftig verhindert werden? Der Niedersächsische Landtag hat als Konsequenz im Oktober 2018 ein Gesetz beschlossen, das Stationsapotheker für alle niedersächsischen Kliniken vorschreibt.

apomio berichtet, was das für Kliniken, Patienten und Apotheken bedeuten würde.

 

Die Krankenhausmorde in Niedersachsen

 

Es klingt wie ein Tatort. Niels H. tötet als Krankenpfleger zwischen 2000 und 2005 mindestens 90 Patienten in zwei niedersächsischen Krankenhäusern. Die Dunkelziffer soll laut Sonderkommission „Kardio“ weit höher sein. Damit gilt er als möglicherweise größter Serienmörder in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das Motiv: Er wollte sich als Held während einer anschließend notwendigen Reanimierung zeigen. Hierfür griff Niels H. zu Medikamenten, die zu akuten Herzproblemen bei Patienten führen. Darunter war laut Norddeutschem Rundfunk ein bekanntes Herzarrhythmikum, das zum Herzstillstand führt.

 

Kollektives Versagen in zwei Krankenhäusern

 

Der Fall wird nun als Paradebeispiel für unterlassene Vorkehrungen an Krankenhäusern diskutiert. Erst nach fast fünf Jahren ungehinderten Mordens wird Niels H. im Juni 2005 von Stationskollegen am Klinikum Delmenhorst ertappt, wie er einem Patienten ein Herzmittel spritzte. Anschließend kommt es zu ersten Ermittlungen. Laut Berichten des NDR fielen im Klinikum Oldenburg bereits Jahre zuvor gehäufte Reanimationen und Sterbefälle auf.

 

Im August 2001 findet deswegen sogar eine Besprechung von Ärzten und Pflegern auf Station 211 des Klinikums Oldenburg statt. Der NDR berichtete darüber hinaus, dass der Pfleger Niels H. im Jahr 2002 vom Klinikum Oldenburg freigestellt wurde. Dennoch habe er vom Klinikum ein gutes Zeugnis erhalten, mit dem er sich erfolgreich im Klinikum Delmenhorst bewarb. Hier tötete er viele weitere Patienten.

 

Stationsapotheker: ein Meilenstein oder Personalkiller?

 

Als Konsequenz aus den Ereignissen beschloss der Niedersächsische Landtag im Oktober 2018, künftig mit Hilfe von Stationsapothekern und klinikinternen Arzneimittelkommissionen den Missbrauch von Medikamenten zu verhindern.

 

Diesen Schritt begrüßt Dr. Thomas Vorwerk, Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA), gegenüber apomio ausdrücklich: Ich würde das schon als Meilenstein für die Etablierung von klinischer Pharmazie im Krankenhauswesen bezeichnen“, sagt Vorwerk. Derzeit gebe es noch eine beträchtlich hohe Anzahl an medikamentösen Komplikationen an deutschen Krankenhäusern: Wichtig ist, das Apotheker und Arzt Dinge, die auffallen, offen und rechtzeitig besprechen. Dann können medikationsbezogene Komplikationen in Krankenhäusern – die laut Experten aktuell noch bei rund 30 Prozent der Patienten auftreten – zum Wohle des Patienten vermieden werden“, so Vorwerk.

 

Sie können essentielle Aufgaben übernehmen

 

Denkbar sind laut des Vizepräsidenten zahlreiche Aufgaben für Stationsapotheker. Insbesondere könnten sie Fragen der Pharmakovigilanz klären: Werden die Medikamente sachgemäß angewendet? Kommt es zu Wechselwirkungen zwischen verordneten und bisherigen Medikamenten? Ist die Dosis zu hoch oder zu niedrig? Ist der Zeitpunkt der Applikation richtig und die Medikation laut Behandlungsleitlinien vollständig?

 

Die breite Palette an Aufgaben spiegele auch die immense Bedeutung von stationären Apothekern wieder.

 

Weniger überzeugt ist davon die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG). Zwar sei das Gesetz „bundesweit einzigartig“, doch eine flächendeckende Einführung von Stationsapothekern in der geplanten Übergangsphase objektiv nicht umsetzbar. „Zum einen ist das Personal nicht auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen, zum anderen sind die Krankenhäuser mit der Finanzierung der Stationsapotheker vollständig alleine“, erläutert eine Sprecherin der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) die Probleme der beteiligten Krankenhäuser.

 

Breite Kritik der Krankenhausgesellschaften

 

Nach Ansicht der DKG bedeutet die Einführung von Stationsapothekern auch nicht, dass sich die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) automatisch verbessere. „Der Medikationsprozess ist komplex, hier ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten gefragt“, so die Sprecherin des DKG. Auch weiterhin sei die Beobachtung durch Pflegekräfte „wesentlicher Faktor zur Gewährleistung der AMTS“. Zudem sei die AMTS keine alleinige Domäne von Pharmazeuten. Dafür führt die Krankenhausgesellschaft auch die ärztliche Ausbildung an: „Die ärztliche Ausbildung beinhaltet Pharmakologie und Toxikologie gleichermaßen, die Behandlung mit Arzneimitteln ist untrennbarer Teil des ärztlichen Handelns.“

 

Auch Martin Morawitzky gibt stellvertretend für die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) zu bedenken, dass es an anderer Stelle zu Personalabbau kommen könnte: „Die Krankenhäuser müssten die zusätzlichen Stellen selbst finanzieren. Das kann jedoch auch einen Personalabbau an anderer Stelle bedeuten“, erklärt er.

 

Dieses Argument der Krankenhausgesellschaften hält Dr. Vorwerk als Vertreter der Krankenhausapotheker wiederum für Unsinn: „Das Interesse an klinischer Pharmazie ist enorm groß. Wir erhalten bundesweit auf Anzeigen zu Stationsapothekern überdurchschnittlich viele Bewerbungen.“ Das seien zum einen Berufsanfänger, zum anderen Kollegen aus öffentlichen Apotheken, die das Berufsfeld wechseln wollen. Er sähe nicht, dass sein Verband die zirka 150 Stellen in Niedersachsen oder die womöglich bundesweit 1500 Stellen nicht besetzen könnte.

 

Aus Sicht der Patienten: Ein positives Signal

 

Dr. med. Ruth Hecker, stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnis' Patientensicherheit (APS), sieht den Einsatz von Stationsapothekern stellvertretend für das Bündnis dagegen ausgesprochen positiv: „Die Arzneimitteltherapie ist sehr komplex und unübersichtlich geworden. Inzwischen nimmt jeder vierte Versicherte fünf oder mehr Arzneimittel ein. Dies nennt man auch „Polypharmazie“. Im Sinne der Patientensicherheit und Arzneimitteltherapiesicherheit ist der Einsatz von Stationsapothekern längst überfällig.“ Ziel von Stationsapothekern sei es, Medikationsfehler und Wechselwirkungen zu verringern, insbesondere direkt nach der Patientenaufnahme, während des Krankenhausaufenthaltes und bei der Entlassungsmedikation. Hier sollen sie Ärzten und Patienten beratend und edukativ zur Seite zu stehen.

Das Gesetz in Niedersachsen sieht vor, dass Stationsapotheker ab 2019 zum Einsatz kommen sollen.

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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