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Coronavirus in Deutschland: So reagieren pharmazeutische Hersteller und Lieferanten

Kommentar schreiben Dienstag, 24. März 2020

Die Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten scheint durch die Corona-Pandemie bedroht. Was sagen die Hersteller und Apothekenlieferanten zur aktuellen Realität?

So reagieren die Hersteller und Lieferanten auf die Coronakrise

Gehe, einer der größten Pharmalieferanten in Deutschland, will laut Pressesprecher Dustin Tusch deutschlandweit sofort Maßnahmen umsetzen, um Apothekenlieferungen „im gewohnten Umfang“ durchzuführen. Dazu zählen folgende Maßnahmen: Personalbündelung für Bereitstellungen, weniger Retouren, verspätet angekündigte Lieferungen und gegebenenfalls sogar ausgesetzte Touren. Verbundlieferungen müssen dem süddeutschen Unternehmen zufolge gänzlich ausgesetzt werden. Die telefonische Erreichbarkeit werde ebenfalls eingeschränkt.1

Auch Generikahersteller Sandoz, Mutterkonzern von Hexal und 1APharma, verpflichtet sich laut Kommunikationsleiter Hans Wolfgang Friede dazu, Preise für wichtige Medikamente gegen COVID-19 stabil zu halten - dazu zählen Antibiotika, antivirale Medikamente und essentielle Produkte für die Krankenhausversorgung. Außerdem stellt es eine Reihe von Wirkstoffverbindungen zur Forschung von wirksamen Medikamenten gegen COVID-19 zur Verfügung. Für Mitarbeiter wurden Maßnahmen ergriffen, um weiterhin die Medikamentenversorgung zu gewährleisten: So wurden internationale Reisen und Geschäftsreisen beschränkt und Vorgaben zur Infektionsvermeidung gemacht.2

Aktuell listet die Liste des BfArM noch keine versorgungsrelevanten Engpässe

Beim Blick auf die Liste „versorgungsrelevanter Wirkstoffe ohne Impfstoffe“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zeigen sich essentielle Antibiotika, Blutdrucksenker, Psychopharmaka, Schmerzmittel und Krebstherapeutika aktuell für mehrere Monate nicht lieferfähig.3 Diese Situation ist prekär, löst jedoch bei Kennern der deutschen Pharmabranche wohl kaum mehr als ein Wimpernzucken aus. Und das, obwohl es sich hierbei um individuelle Einzelschicksale von Patienten handelt, wenn deren gewohnte Medikation ausfällt und auf einen anderen Wirkstoff oder eine andere Dosis ausgewichen werden muss. Die Lieferverzögerung bedeuten schließlich, dass ein sehr gutes Arzneimittel beispielsweise gegen gravierende Infektionen der Atemwege bei immungeschwächten Patienten ausfällt. Gleiches gilt zum Beispiel aktuell für die Blutdrucksenker Diltiazem AL 90 und 120mg Retard, Candesartan STADA 4mg oder Indapamid Puren 2,5mg oder für die Psychopharmaka Clozapin Glenmark 25mg, Melleril 30 und 200mg Retard und Pregabalin Glenmark 75mg. Doch halten sich die derzeitigen Lieferengpässe bislang noch immer auf normalem Niveau.

Aktuelle Lieferengpässe noch überschaubar

In den letzten 2 Jahren schwankte die BfArM-Liste häufig zwischen 450 und 250 Arzneimitteln. Aktuell finden sich dort 337 Medikamente (Stand: 23. März).4 Diese Schwankungen liegen hauptsächlich im weltweiten Produktionsdilemma durch politische Fehlentscheidungen begründet. Fast alle Wirkstoffe und Medikamente werden seit einigen Jahren in Fernost hergestellt. Das hat verschiedene Ursachen, unter anderem die Globalisierung und Konzentration auf wenige Hersteller und Produktionsstätten in Indien und China bei einzelnen Wirkstoffen und Arzneimitteln. Folge sind Qualitätsmängel bei der Herstellung, Lieferungsverzögerungen für Medikamente, Produktionseinstellungen und Marktrücknahmen. Die Abhängigkeit von Produktionen aus Asien kann bei genauerer Betrachtung beängstigend wirken. In der Nähe der Stadt Wuhan befinden sich beispielsweise 19 Wirkstoff-Produktionsstätten und in der Gesamtregion Hubei 153 Arzneimittel-Teilproduktionen, 64 mit versorgungsrelevantem Wirkstoff. Doch die Politik sieht dies längst noch nicht so gravierend. Kürzlich sagte Erwin Rüddel, Vorsitzender im Gesundheitsausschuss des Bundestags, dass Lieferengpässe bei Arzneimitteln aus Rabattverträgen momentan nur bei knapp 0,8 Prozent liegen.5

Das will die Politik gegen Lieferengpässe tun

Dennoch hat die Politik offenbar bereits zumindest versucht, Lehren aus der Arzneimittelverknappung der letzten Jahre zu ziehen. Für Apotheken, Krankenhausapotheken, Ärzte und Patienten zwar ein Tropfen auf dem heißen Stein, doch zumindest der Beginn eines Umdenkens. Zum einen wurden die pharmazeutischen Hersteller weltweit verpflichtet, deutsche Krankenhäuser umgehend über drohende Lieferengpässe zu informieren. Hierbei bleibt die Meldung an die Bundesoberbehörde allerdings bislang freiwillig. Des Weiteren wurde in 2019 eine neue Regelung im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes (AMVSG) geschaffen, die dort die Vorratsbestellung von Importarzneimitteln durch Krankenhausapotheken begrenzt, damit die Akutversorgung von Patienten anderer Krankenhäuser gesichert bleibt. Auch international sucht die deutsche Bundesregierung nach Lösungen, damit wieder mehr Arzneimittel in Europa hergestellt werden. Außerdem deutete Erwin Rüttel an, dass er und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einer Meinung seien, dass auf europäischer Ebene endlich das Vergaberecht für Rabattverträge überarbeitet werden müsse: „Bei Rabattverträgen sollte es nicht ausschließlich um den Preis gehen, sondern beispielsweise auch um die Lieferfähigkeit“, sagte Rüttel hierzu in einem WDR-Interview am 19. November.6

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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