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"Wir sind schwanger": Wenn Männer schwanger werden

Kommentar schreiben Aktualisiert am 15. Februar 2016

Morgenübelkeit, Heißhungerattacken und sein eigenes rundes Bäuchlein: der zukünftige Vater entwickelt ähnliche Symptome wie seine schwangere Partnerin. Wissenschaftler sprechen von dem Couvade-Syndrom. Die Ursachen werden unterschiedlich diskutiert. Solidaritätsbekundung sagen die einen, Gebärneid die anderen. Was steckt hinter der Co-Schwangerschaft des Mannes?

Was ist das Couvade Syndrom?

Couvade ist abgeleitet von dem französischen "couver". Es bedeutet ausbrüten (z.B. ein Ei). Unter dem Syndrom versteht man die Anpassung des zukünftigen Vaters an die Symptome seiner schwangeren Frau. Kommt es nur zur leichten Gewichtszunahme, die im Durchschnitt laut einer Studie bei 4 kg liegt, besteht das Syndrom noch nicht. Dazu müssen weitere körperliche und psychische Schwangerschaftssymptome hinzukommen.

Ursachen der Co-Schwangerschaft des Mannes

Die einfachste Erklärung ist eine enge Verbundenheit mit der werdenden Mutter. Der Vater in spe fühlt sich so stark in seine schwangere Frau ein, dass er ähnliche Symptome entwickelt. Auch er steht nachts auf, plündert den Kühlschrank, spürt morgens Übelkeit und schwankt zwischen Glücksgefühlen und Tränen. Wird die Frau schwanger, hat sie eine klare gesellschaftliche Position. Es steht ihr für jeden sichtbar ein glückliches Ereignis ins Haus. In ihrer Situation kommt sie heute auch ganz gut ohne Beteiligung des Mannes zurecht, was ihn verunsichert. Sie organisiert den Nestbau und schließt sich mit anderen Schwangeren zusammen, um mittelfristig die Kinderbetreuung aufzuteilen. Die Rolle des Mannes ist übersichtlich gehalten. Er ist meist als Geldgeber gefragt. Vielleicht fühlt er sich ausgeschlossen und will durch seine Schwangerschaftssymptome auch dazugehören. Andere Stimmen sagen ihm bloßen Neid nach. Er kann auch unbewusst Verlustangst und Rivalitätsgefühle entwickeln. Was bleibt von der Beziehung übrig, wenn die Frau voll in ihrer Mutterschaft aufgeht? Wenn seine eigene mütterliche Versorgung als Kind nicht ausreichend war, kann er unterschwellig Aggressionen entwickeln. Aus psychotherapeutischer Sicht kompensiert er diese unbewussten Gefühle durch eine übermäßig engagierte Haltung, emotionale Anteilnahme und letztendlich Schwangerschaftssymptome.

Hormonelle Veränderungen 

Einer Studie zufolge ändert der Einfluss der Pheromone (Sexuallockstoffe) der schwangeren Frau den Hormonspiegel bei Ihrem Partner. Der Pegel des männlichen Hormons Testosteron sinkt und der des Prolaktins, das für das Wachstum der Brüste und die Milchproduktion beim Stillen zuständig ist, steigt. Diese Hormonverschiebung beim Mann kann mit dazu beitragen, mütterliche Gefühle und Symptome zu entwickeln.

Besteht Handlungsbedarf?

Das Couvade-Syndrom besitzt keinen echten Krankheitswert. Die Symptome gehen von alleine zurück, wenn das Baby da ist. Nur ca. 20 % der betroffenen Männer wenden sich an einen Arzt. Sie sind beruhigt, wenn sie erfahren, dass ihre Symptome lediglich Zeichen ihrer emotionalen Verbundenheit und Anteilnahme mit der werdenden Mutter sind. Dennoch hilft es ihnen sicher, seelisch tiefer vorzudringen und ihre Ängste, Unsicherheiten und Aggressionen zu spüren und auszudrücken. Dafür kann ein Arzt mit offenem Ohr oder eine psychologische Beratung hilfreich sein. Eine Psychotherapie ist nicht notwendig. Ausnahme: es liegen echte psychische Störungen vor, was äußerst selten der Fall ist. Was jedoch nach der Geburt oft bleibt, ist das runde Bäuchlein. Inzwischen soll es aber auch Hebammen geben, die Rückbildungskurse für Männer anbieten. Wenn das Angebot in der Nähe nicht besteht, bleibt noch das klassische Abspeckprogramm.

Was kann die Frau tun?

Auch wenn es für die zukünftige Mutter selbstverständlich ist, ihrem Nestbautrieb zu folgen und die Vorbereitungen zeitnah abzuschließen, tut sie dem Vater in spe und der Beziehung etwas Gutes, ihn mehr mit einzubeziehen. Natürlich hat sie schnell den Überblick, was an Baby-Ausstattung benötigt und wo es am besten besorgt wird. Aber der werdende Papa kann sich schnell ausgeschlossen fühlen. Also werden gemeinsam die Kataloge für den Kinderwagen, die Baby-Schale im Auto, das Beistell-Bettchen, den Wickeltisch und die vielen anderen Kleinigkeiten gewälzt bzw. die Online-Angebote auf Preis und Nutzen hin verglichen. Es dauert dann vielleicht länger und es ist etwas umständlicher - mit Sicherheit - aber das Paar wird durch die Schwangerschaft, die sich nur bei der Frau ausdrückt, nicht auseinander dividiert, nach dem Motto: „Papa muss draußen bleiben“, sondern wächst in gemeinsamer Vorfreude und Vorbereitung noch mehr zusammen. Auch der Blick auf das zukünftige gemeinsame Kind im Ultraschall, das Fühlen der Bewegungen im Bauch der Mutter und der Besuch des Geburtsvorbereitungskurses macht aus dem für den Mann abstrakten Geschehen ein zunehmend greifbares Ereignis.

Couvade-Rituale

Bei Naturvölkern in Südamerika und Südostasien werden sie noch heute praktiziert. In der vorindustriellen Gesellschaft und bis Anfang des letzten Jahrhunderts im Mittelmeerraum gab es sie auch bei uns: Rituale, die den Mann auf seine neue Rolle als Vater vorbereiten. Dabei ahmt er die emotionalen und körperlichen Veränderungen der Schwangeren bis hin zu Wehen und Geburtsschmerz nach. Er trägt auch ihre Kleider zur Verstärkung des Gefühls. Der zukünftige Vater unterzieht sich den magischen Ritualen nicht nur für sich selbst, sondern auch zum Wohl des Kindes. Er vertreibt die bösen Geister, die dem Kleinen schaden könnten. In manchen Naturvölkern ziehen sich die Männer in Gebärhütten zurück und begeben sich so tief in das Geschehen der Geburt, dass sie über mehrere Tage in den Wehen liegen. Sinn soll eine spirituelle Einsicht in das zukünftige Vater-Dasein sein. Während er sich in der Gebärhütte geistig weiterentwickelt, besorgt die Schwangere die Feldarbeit.

Couvade in der Tierwelt

Die Gewichtszunahme des zukünftigen Vaters wurde inzwischen auch in der Tierwelt entdeckt. Die Bäuche der männlichen Weißbüschelaffen schwellen schon an, wenn man beim Weibchen noch gar nichts sieht. Da sich die zukünftigen Väter intensiv um die Affenbabys kümmern, geht man hier nicht von einem Akt der Solidarität oder der Notwendigkeit aus, sich optimal auf die Vaterrolle einzustimmen. Stattdessen kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass der Stoffwechsel des Affen-Vaters sich in der Weise ändert, dass er an Gewicht zunimmt, um Energie-Vorräte für die anstrengende Zeit der Aufzucht zur Verfügung zu haben.

Fazit

Was früher ein bewusstes Ritual war, um in die neue Rolle des Vaters hineinzuwachsen, zeigt sich heute als unbewusst hervorgerufene Symptomatik, mit der man nichts mehr anfangen kann. Die Schwangerschaft stellt sowohl für die Mutter als auch für den werdenden Vater eine besondere und spannende Zeit dar, die beide genießen sollten.

Beate Helm
Autor: Beate Helm

Beate Helm, Heilpraktikerin, freie Redakteurin und Autorin für Gesundheitsthemen und Persönlichkeitsentwicklung. Selfpublisherin. Weiterbildungen in Ernährungswissenschaft, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Ayurveda, psychologischer Beratung und systemischer Therapie. Langjährige Erfahrung in Yoga und Meditation. Bei apomio seit 04/2015.

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