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Wie viel Fleisch braucht der Mensch?

Kommentar schreiben Aktualisiert am 15. November 2019

Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Nach einer glücklichen Kindheit mit viel Platz und frischer Luft habe ich es als Teenie genossen, locker mal zwei Koteletts mit Rotkraut und Kartoffelbrei zu verputzen. Fleisch galt als ein Stück Lebenskraft, wie die damalige Marketinggesellschaft für Agrarwirtschaft dem Volk klar machte. Schweinefleisch enthält auch viele B-Vitamine, hieß es. Das war mir ziemlich egal, ich war satt und zufrieden. Den Schweinen ging es bei uns auch bestens: Sie erhielten Müsli aus frisch geschrotetem, hauseigenen Getreide und hatten genügend Platz, um sich frei zu bewegen. Und heute?

 

Heute weiß man mehr: Rotes Fleisch begünstigt Krebs

 

Die Krebsforscher der WHO erklärten 2015 rotes Fleisch, d.h. Muskelfleisch von Rind, Schwein, Schaf, Pferd oder Ziege für wahrscheinlich krebserzeugend und verarbeitetes rotes Fleisch für definitiv krebserregend. Es wird in derselben Kategorie geführt wie das Rauchen. Verarbeitet heißt gesalzen, fermentiert, geräuchert oder gepökelt. Das verwendete Nitritsalz wird durch Magensäure in krebserregende Nitrosamine umgewandelt. Diese entstehen auch bei zu starkem Erhitzen von Fleisch in der Pfanne und auf dem Grill.
 

Fleisch wirkt auf die Darmflora ein: Es entwickeln sich aggressive Bakterien, die Entzündungen und langfristig auch Darmkrebs hervorrufen können. Also Fleisch ist nicht nur ein Stück Lebenskraft. Wenn man es in rauen Mengen und dann noch als Wurst, Schinken oder Hamburger vertilgt, erhöht sich das Risiko für eine Krebserkrankung. Das schlägt mir schon etwas auf den Appetit. Aber wie gesagt: regelmäßig und in größeren Mengen. Nur, wir haben ja auch großen Appetit: Wir essen doppelt so viel Fleisch wie vor hundert Jahren: 60 Kilo Tier haut der Deutsche weg im Jahr. Wozu? Weil wir uns so stark körperlich bewegen? Sicher nicht.

 

Neue Studie entwarnt: Rotes Fleisch ist doch gar nicht so schlimm!?

 

Auch wenn sich der jährliche Fleischkonsum stabil hält, steigt auch der Umsatz von Fleischersatzprodukten. Die Menschen denken um: gegen die Agrarindustrie, für das Tierwohl. Und jetzt auch noch fürs Klima. Das könnte doch sich auf den Absatz von Fleisch und Fleischprodukten niederschlagen. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, wird eine Studie organisiert: Entwarnung. Esst ruhig weiter rotes Fleisch. Bei näherem Hinsehen erkennt man den Hauptautor der Studie Bradley Johnston wieder. Er hat schon 2016 „herausgefunden“, dass Zucker nicht krank macht: Geldgeber der Studie sollen McDonalds und Pepsi gewesen sein. Für die Fleischstudie hat sich die US-Agrar-Lobby stark gemacht und finanziell ins Zeug gelegt. Da überrascht das Ergebnis nicht wirklich.

 

Leberwurst, Schinken & Co.: Schweinefleisch fördert Entzündungen

 

Schweineschmalz, Leberwurst, Schinkenspeck und Schweinefleisch, allerdings auch Geflügelschenkel strotzen nur so an Arachidonsäure. Sie fördert entzündliche Prozesse. Wer sich davor bewahren will, sollte auf Schweinefleischprodukte und Hühnerbein verzichten.

 

Schwein, Rind, Schaf und Ziege bekommen längst kein Müsli aus eigener Herstellung mehr

 

Stattdessen wird bei der Agrarindustrie Soja aus Südamerika eingekauft und dafür der Regenwald platt gemacht. Für den Verbraucher, der das nicht will, gibt es eine einfache Lösung: Kaufen Sie Bio-Fleisch. Schon ist die Herkunft des Futters aus hiesigen Landen gesichert. Auch wenn man es schon mal gehört hat, ist es immer wieder erschreckend: Etwa 50 Prozent der Getreideernte und 90 % der Sojabohnenernte landet im Futtertrog bei uns, statt auf dem Tisch der Menschen, wo es angebaut wird.

 

Was hat es mit dem neuen Tierwohllabel im Supermarkt auf sich?

 

Das Etikett in den großen Supermarktketten unterscheidet vier Haltungsformen: 1 steht für Stallhaltung, das für 90 % des deutschen Frischfleischs zutrifft. Es gelten die gesetzlichen Auflagen von 0,75 m2 Platz für ein 100 Kilo schweres Schwein und 1,8 m2 für ein über 220 Kilo schweres Rind. Die Stufe 2 Stallhaltung Plus kennzeichnet, dass Schweine 10 % mehr Platz haben und organisches Beschäftigungsmaterial bekommen. Die Kälber dürfen in den ersten 6 Wochen nur mit Schmerzmitteln durch einen Landwirt enthornt werden, zu einem späteren Zeitpunkt nur durch einen Tierarzt.

 

In der Stufe 3 Auslauf wird es humaner: Die Tiere bekommen mehr Auslauf und erhalten Zugang zu Außenbereichen und damit Frischluft. Schweine bekommen Stroh. Schlachtkühe können sich in einem mit einer Gummiauflage oder Einstreu ausgelegten Ruhebereich aufhalten. Puten müssen Zugang zu Picksteinen und Stroh haben. Und: Die Tiere werden ohne Gentechnik gefüttert. Bei der Haltung in der Stufe 4 Premium haben die  Schweine fast doppelt so viel Platz wie in Stufe 1. Milchkühe sind von Mai bis Oktober auf der Weide. Die Hühner haben Auslauf. Das Futter muss zu einem Teil aus dem eigenen Betrieb oder der Region kommen. Die letzte Stufe hört sich doch ganz gut an. Man muss sie nur erst mal in der Kühltheke außerhalb von Bioläden finden.

 

Sind wir eigentlich Fleischesser?

 

Ja, sind wir. Oder besser Allesfresser. Also es ist nicht abartig, Fleisch zu essen. Das tun wir schon immer. Die Frage ist nur, müssen Berge an Überschuss von mit Wasser gestrecktem Billigstfleisch zu grausamen Bedingungen für Tiere produziert werden, um sie im Discounter zu verschenken und in den Fernen Osten zu schaffen? Dazu können wir alle sofort nein sagen. Keiner ist so arm, dass er sich diese Billigware zuführen muss. Es trägt auch nicht zur Gesundheit bei. Lieber mal fleischlos essen, als täglich den Billig-Fleischklops auf dem Teller, mit dem man Medikamente und energetisch die Qual der Tiere mitisst. Das soll jetzt r keine Moralpredigt werden. Aber wie schnell sind diese Hintergründe beim Griff zum Steak wieder vergessen. Wie schnell denken wir doch wieder: Schwamm drüber. Die paar Fleischstücke machen den Bock in Punkto Tierquälerei, Gesundheit und Klima auch nicht mehr fett. Doch machen sie! Denn wir sind viele.

 

Wieviel Fleisch wird denn empfohlen?

 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät, sich auf 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche zu beschränken. Das ist ein hehres Ziel. Frauen liegen mit 600 Gramm in der Woche immerhin an der Obergrenze. Männer schlagen mit fast 1100 Gramm wöchentlich dagegen ganz schön über die Stränge.

 

Ist Fisch auch Fleisch?

 

Irgendwie schon, aber zumindest mal kein rotes. Für mich ist Tier Tier, egal ob aus dem Stall oder dem Wasser. Gesundheitstechnisch enthalten Fische andere Proteine und sehr fetthaltige Fische wie Lachs und Makrele sind reich an Omega-3-Fettsäuren. Sie fördern die Herz-Kreislauf-Gesundheit, hemmen Entzündungen und binden zellschädigende freie Radikale. Auch hier ist die Frage, woher kommt das Tier? Hat es Schadstoffe angereichert? Wurde es medikamentös in Aquakulturen behandelt? Kommt er aus einer nachhaltigen Fischerei?

 

Woran erkennt man nachhaltig gefangenen Fisch?

 

Die internationale, unabhängige Organisation Marine Stewardship Council vergibt das Siegel MSC für nachhaltig gefangenen Wildfisch. Daneben gibt es das EU-Biosiegel und die deutlich strengeren Siegel von Bioland, Naturland Aquakultur und Naturland Wildfisch.

 

Wer sind die typischen Vegetarier?

 

Wer hat am meisten Lust, auf Fleisch zu verzichten? Es sind mehrheitlich Frauen, unter 40 Jahre, leben in Städten, verdienen gut und achten insgesamt sehr auf ihre Gesundheit. Einer repräsentativen Forsa-Umfrage zufolge sind heute  zwei Drittel der Frauen und 38 % der Männer als Teilzeitvegetarier unterwegs. Voll-Vegetarier gibt es in Deutschland etwa 8 Millionen, also 10 % der Bevölkerung.

 

Wo sitzen die neuen Fleischesser?

 

Dort, wo man sich in den letzten 30 Jahren boomartig vom Entwicklungs- zum Industriestaat entwickelt hat. An erster Stelle ist China zu nennen. Aber auch in Indien, dem größtem Vegetarierstaat, Pakistan, Taiwan, Vietnam, Indonesien und Teilen Afrikas passt man sich zunehmend den Ernährungsgewohnheiten der westlichen Welt an. Verständlich, dass man auf diese Art und Weise auch dazu gehören will. Fatal aber für die Gesundheit der Menschen, die Natur, die Tiere, das Klima und die ursprüngliche Vielfalt der Nahrungsmittel vor Ort.

 

Geht es auch ohne?

 

Definitiv ja! Ohne Fleisch, aber mit Eiern und Milchprodukten, ist die Versorgung zu 100 % gewährleistet. Fallen Eier und Milchprodukte weg, muss mindestens Vitamin B12 substituiert werden. Wer auf eine Ernährung ohne Fleisch, Eier und Milchprodukte umsteigen, also fast vegan leben möchte, sollte sich über den Bedarf, den man an Nährstoffen hat, und die Inhaltsstoffe in den pflanzlichen Nahrungsmitteln genau informieren. Bei Erkrankungen würde ich den Wechsel mit einem Arzt absprechen.

 

Was ist gesünder, mit oder ohne?

 

Studien zeigen, dass Vegetarier niedrigere Blutdruckwerte, einen niedrigeren Cholesterinspiegel und  damit ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere Herzinfarkt und Schlaganfall haben. Auch schon ein halber Vegetarier zu sein, fördert die Herz-Gesundheit. Jetzt muss man natürlich bedenken, dass die gesamte Lebensweise bei fleischlosem Essen bewusster ist. Das heißt weniger Alkohol, weniger, Nikotin, mehr Bewegung. Auch das fließt sicher in die Forschungsergebnisse ein.

 

Ist ohne Fleisch alles gut?

 

Pudding-Vegetarismus, d.h. Fleisch und Wurst wegzulassen und sich bevorzugt von ungesunden Produkten zu ernähren, führt natürlich zu Mangelerscheinungen. Das ist mit Vegetarismus aber auch nicht gemeint. Fertigprodukte sind immer nicht gesundheitsfördernd, egal ob mit oder ohne Tier. Auch dicke Plastikverpackungen sind nicht zielführend, unabhängig davon, was drin ist. Konventionell angebaute Sojaprodukte aus Monokulturen sind genauso schädlich für Natur und Klima wie die Monokulturen, die im Trog im Stall landen.
 

Es gibt Menschen, die sich sehr gesund ernähren, bewusst leben und sich fleischmäßig auf den Sonntagsbraten beschränken. Warum auch nicht? Und es gibt im Moment sicher viele, die einen auf Veggie machen, weil es gerade in ist, ohne das Thema besonders tief durchdrungen zu haben. Mit oder ohne Fleisch stellt keine Wertung dar. Ich finde es nur immer wieder wichtig, sich daran zu erinnern, dass Regenwälder, Ackerflächen und Tiere lebendige Wesen sind und es eben NICHT egal ist, ob ich das von der Agrarindustrie hergestellte Wasser-Putensteak esse oder nicht, auch wenn es nur ab und zu ist. Mit jedem Kauf unterstütze ich Leid, das auf uns, auf mich zurückfallen wird. Mit jedem Kauf sage ich ja zur Abtötung von Jahrmillionen alten Wäldern und allem, was darin kreucht und fleucht, zu einer qualvollen Existenz von Tieren und zu einer Schädigung des Klimas, das erbarmungslos zurückschlägt.

 

Will ich das?

 

Aus Bequemlichkeit, um nicht zum Bio-Metzger laufen zu müssen? Um 2 Euro zu sparen? Weil ich den Fleischgeschmack gewöhnt bin? Weil ich noch nicht genug leckere fleischlose Gerichte kenne, die ich kochen kann? Will ich das? Will ich nicht. Ich habe schon verschiedene Ernährungsweisen ausprobiert, z.B. vegetarisch, vegan, ayurvedisch. Ich muss sagen, dass die Art des Essens nicht nur meinen Nährstoffbedarf deckt. Sie beeinflusst auch Geist und Gefühle. Ohne Fleisch und Wurst heißt bei mir mehr innere Ruhe, Konzentrationskraft und Leichtigkeit. Das tut mir gut. Auch deshalb, neben den Tierwohl- und Klima-Aspekten und meiner Gesundheit, streiche ich Tiere von meinem Speiseplan.

 

Nicht extrem werden!

 

Ich möchte aber nicht extrem werden: Sonntags gibt es ein Frühstücksei. Ab und zu habe ich Lust auf Lachs. Wenn ich auf einer Grillfete bin, lasse ich mir ein saftiges Schweinenackensteak schmecken und bringe sicher nicht meinen Öko-Spieß mit. Im Winter esse ich mindestens einmal Grünkohl mit all dem Fleisch und den Würsten, die hier im Norden dazu gehören (und das sind so einige). Und jetzt vor Weihnachten wird auf jeden Fall eine Gänsekeule mit Rotkohl fällig. Vielleicht greife ich auch bei einem Familienfest zu dem einen oder anderen Fleischhäppchen (meine Mutter kocht bio!). Aber sonst bin ich mit meiner zunehmend tierfreien Ernährung ganz zufrieden. Schön ruhig, entspannt und leicht. Und dann noch ein gutes Gewissen.:-)

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Beate Helm
Autor: Beate Helm

Beate Helm, Heilpraktikerin, freie Redakteurin und Autorin für Gesundheitsthemen und Persönlichkeitsentwicklung. Selfpublisherin. Weiterbildungen in Ernährungswissenschaft, Homöopathie, Pflanzenheilkunde, Ayurveda, psychologischer Beratung und systemischer Therapie. Langjährige Erfahrung in Yoga und Meditation. Bei apomio seit 04/2015.

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