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Verschreibungsfähige Apps: Der neue Weg, per App gesünder zu werden

Kommentar schreiben Mittwoch, 28. Oktober 2020

Bis jetzt wurden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) fünf Gesundheitsapps für verschreibungsfähig befunden und in ein Appregister aufgenommen: die Tinnitus-App „kalmeda“, die Adipositas-App „zanadio“, die Platzangst-App „velibra“, die Schlafapp „somnio“ und die Arthrose-App „vividra“. Seit Einführung des Digitalen-Versorgung-Gesetzes (DVG) vom 19.12.2019 können Gesundheitsapps von Ärzten und Psychotherapeuten verordnet werden. Krankenkassen erstatten die Kosten für eine bestimmte Zeit der Anwendung, in der Regel sogar für den gesamten Nutzungszeitraum.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Folgende Eigenschaften besitzen die bisherigen RX-Apps

 

Allen verschreibungsfähigen Apps ist bislang gemein, dass sie vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte als „gesundheitsförderlich“ und „ausreichend datenschützend“ eingestuft wurden.1 Sie werden von Ärzten und Psychotherapeuten verschrieben, damit Patienten eine Erkrankung besser erkennen oder behandeln können.2

 

Verschreibungsfähige Gesundheitsapps oder auch „DiGA“ – wie sie seit kürzerer Zeit von Gesundheitsinstitutionen bezeichnet werden – konnten das BfArM davon überzeugen, einen eindeutigen Mehrwert für die Gesundheit des Patienten zu bieten. Zudem müssen Apps bestimmte Mindestanforderungen an den Datenschutz zu erfüllen. Alle Apps, die das Bewertungsverfahren für CE-Medizinprodukte durchlaufen haben, wurden außerdem ausreichend auf Risiken, Nebenwirkungen, Gebrauchsinformation, Verträglichkeit oder beispielsweise auf ihre elektronisch-magnetische Sicherheit getestet.3

 

Die Nutzungskosten für die fünf bisherigen Gesundheitsapps werden von der Krankenkasse für die halbe oder sogar die gesamte empfohlene Therapiezeit übernommen. Sie sind zudem zuzahlungsfrei. In der Regel benötigt der Anwender keine Zusatzgeräte, sondern kann die verschreibungsfähigen Apps auf jedem Smartphone – Android oder Apple – downloaden und aktivieren.

 

Die Apps und der Datenschutz

 

Zur Angststörungs-App „velibra“ wurden bereits mögliche Sicherheitsmängel bekannt, die sofort geprüft wurden. Der Hersteller GAIA Ag versicherte daraufhin dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dass die Mängel umgehend behoben worden seien. Bei Antragsstellung prüft das BfArm üblicherweise, dass die Apps den Datenschutz laut Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und Digitaler Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) erfüllt. Die Entscheidung des BfArM, die Apps in die DiGA-Liste aufzunehmen, bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Hersteller von ihrer Gewährleistungspflicht für den Datenschutz enthoben werden. Zeigen sich unwahre Datenschutzangaben der Firmen, erwägt die BfArM eine Streichung aus der Liste sowie Zwangsgelder.11

 

Ein exemplarischer Blick in die Apps

 

Um einen kurzen Überblick über die bisherigen Apps zu verschaffen, die es bis zur Verschreibungsfähigkeit geschafft haben, geht apomio kurz auf die Funktionen und Wirkweisen der Apps ein. Sämtliche Apps, die bisher ins DiGA-Verzeichnis des BfArM aufgenommen wurden, richten sich an Patienten, die unter einer stressassoziierten oder verschleißbedingten Erkrankung wie Insomnie, Tinnitus, Angststörung oder Adipositas leiden.4 Eine fünfte App wurde am 28.10.2020 in die Liste aufgenommen: Die App „Vivira“ soll das Fortschreiten von Schmerzen des Bewegungsapparats verhindern beziehungsweise verlangsamen.5

 

Eine Tinnitus-App

 

Die DiGA „kalmeda“ begleitet PatientInnen, die älter als 18 Jahre sind, bei einer chronischen Tinnitusbelastung. Das mehrmonatige Programm verfährt mit seinen 5 Leveln à 9 Schritten wie eine kognitive Verhaltenstherapie. Diese Methode gilt als wissenschaftlich fundiert bei der Behandlung eines chronischen Tinnitus. Die Kalmeda-App wurde laut BfArM von Psychologen und HNO-Ärzte entwickelt.6 Während der verhaltenstherapeutischen Anleitungen erfährt der Patient Schritt für Schritt, wie er selbstbestimmt mit dem Tinnitus umgehen kann. Damit werden seine Belastungen reduziert. Ergänzt wird die App durch Entspannungsverfahren, angenehme Hintergrundgeräusche und eine Wissensschulung.

 

Eine Schlaf-App

 

Um Menschen mit nicht-organischen Schlafproblemen zu helfen, wurde eine App dauerhaft für die ärztliche Verordnung zugelassen. Sie kommt bei Insomnie (Ein- und Durchschlafstörungen) zum Einsatz. Die DiGA „somnio“ leitet Patienten zwischen 18 und 65 Jahren an. Die Betroffenen lernen, ihre Zubettgeh-Zeiten zu verbessern, schlafstörende Gedanken zu umschiffen, Entspannungsübungen anzuwenden und dem eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus individuell zu folgen. Die App sollte mindestens 3 Monate durchgängig angewendet werden, um positive Effekte zu erzielen. Sie kann gerne auch länger zum Einsatz kommen, wenn sie positiv wirkt. Optional können Schlaftracker der Firma Fitbit die App ergänzen, sind jedoch mit 50 bis 150 Euro selbst zu bezahlen. Zur Wirksamkeit der App weist das BfArM auf eine veröffentlichte randomisierte, kontrollierte Studie mit einer „deutlichen Reduktion der Insomnie-Symptome“ hin. Bei Epilepsie oder Bipolarer affektiver Störung ist die App kontraindiziert.7

 

Eine App gegen Angststörungen

 

Die App „velibra“ richtet sich an Betroffene mit Panikstörungen mit oder ohne Agoraphobie (Platzangst) sowie an Patienten mit generalisierter oder sozialer Angststörung. Die Methode der App basiert auf der gut erforschten Kognitiven Verhaltenstherapie. Behandelte müssen mindestens 18 Jahre alt sein und motiviert, die App für 180 Tage anzuwenden.7b Allerdings verordnet der Arzt oder Psychotherapeut die App „velibra“ bislang nur für 90 Tage. Offenbar lohnt es sich jedoch, bei passender Indikation diese webbasierte Anwendung auszuprobieren. Im Rahmen einer angesehenen klinischen Studie zeigten 139 Patienten, die zusätzlich zur hausärztlichen Therapie die App anwandten, im Schnitt weniger Ängste und depressive Symptome.8

 

Eine App gegen Adipositas

 

Die App „zanadio“ der Firma aidhere GmbH wurde vorläufig in die DiGA-Liste des BfArM aufgenommen. Sie soll helfen, Gewohnheiten wie Ernährung, Bewegung und andere adipositas-assoziierte Routinen zu verändern, um langfristig Gewicht abzubauen. Sie verfährt nach dem erforschten Prinzip der „multimodalen, konservativen Adipositastherapie“.9 Kontraindiziert ist die Anwendung bei sonstiger Schilddrüsen-Unterfunktion, Cushing-Syndrom, Hypophysen-Störung und Adipositas Grad III durch zu hohe Kalorienzufuhr.10

 

Eine App gegen Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen

 

Die App „Vivira“ der Firma Vivira Health Lab GmbH soll bei nicht-spezifischen Schmerzen in Rücken, Knien und Hüfte helfen, die durch Kreuzschmerzen und verschiedene Arthoseformen verursacht wurden. Die Vielzahl an exakten Indikationen dieser App können Interessierte im DiGA-Verzeichnis erfahren. Täglich kann der Anwender vier Bewegungstherapien mithilfe der App absolvieren. Die täglichen Übungen setzen die Leitlinie und die Heilmittelrichtlinie für nicht-spezifischen Kreuzschmerz sowie Knie- und Hüftarthrose um. Eine retrospektive-kontrollierte Studie zeigte bei Patienten eine deutliche Reduktion der Schmerzen. Bis die weiteren Studien dazu 2021 veröffentlicht werden, bleibt die App vorläufig aufgenommen.10b

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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