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Rezept-Versandverbot: Eine Gegenüberstellung

Kommentar schreiben Mittwoch, 15. August 2018

Das Bangen und Hoffen um ein RX-Versandverbot ist seit dem EuGH-Urteil im Oktober 2016 nach wie vor ein heißes Eisen für Befürworter und Gegner. In den Worten von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird hier immer noch mit „gleich langen Spießen“ gefochten. Zwei Jahre später, zum Apothekertag Mitte Oktober 2018, will Gesundheitsminister Spahn nun ein Gesamtpaket zu dem Thema vorlegen. Letztlich geht es um immense Einbußen, die deutschen Versandapotheken durch ein RX-Versandverbot die Umsätze massiv beeinträchtigen können.

 

RX-Versanderlaubnis: Eine Bestandsaufnahme

 

Am 19. Oktober 2016 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass ausländische Versandhändler Rabatte auf verschreibungspflichtige und rezeptfreie Medikamente geben dürfen. Dies betrifft derzeit Versender aus vier Ländern, deren Sicherheitsstandards sie zum Versand von rezeptpflichtigen Arzneimitteln nach Deutschland berechtigen: Die Niederlande, Schweden, Großbritannien und Island. Inländischen Versandapotheken und Apotheken ist genau das verboten: Für RX-Arzneimittel gilt eine strikte Preisbindung an festgelegte Zuschläge für Großhändler und Apotheken. Holländische Versender wie DocMorris oder die Europa Apotheke können weitere Rabatte auf Rezepte (RX-Boni) anbieten, die mit der Zuzahlung verrechnet werden. „Dagegen müssen deutsche Apotheker extrem aufpassen, wenn Sie Stempel auf Bonushefte verteilen – für rezeptpflichtige Arzneimittel ist dies verboten“, beschreibt PTA Christina Bauer (Name v. d. Redaktion geändert) den aus ihrer Sicht unfairen Preiswettbewerb.

 

Doch nicht nur hier sind deutsche Apotheken inklusive der Versandapotheken im Vergleich zu den ausländischen Versandapotheken „inländerdiskriminiert“. In der EU gelten in Bezug auf rezeptierte Arzneimittel ungleiche Wettbewerbsregeln. Während deutsche Apotheken für RX-Arzneimittel keine Herstellerrabatte erhalten dürfen, außer Skonto und Direktbezugsrabatt von 3 bis 5 Prozent, dürfen ausländische Versender dies schon – und streichen damit Vorteile von bis zu 20 Prozent ein. Auch die Mehrwertsteuer ist im europäischen Vergleich in Deutschland viel höher als in Wettbewerbsländern. Während die Kunden in Deutschland mit 19 Prozent für verschreibungspflichtige Arzneimittel tiefer in die Tasche greifen müssen, sparen sie in den Niederlanden mit nur 6 Prozent Mehrwertsteuer deutlich und in Schweden und dem Vereinigten Königreich mit 0 Prozent sogar erheblich. Auch dürfen inländische Versand- und Präsenzapotheken nicht in gleicher Weise für ihre Arzneimittel werben wie die ausländischen Versender.

 

Auf der anderen Seite besitzen deutsche Präsenzapotheken gegenüber in- und ausländischen Versendern den Vorteil der Eins-zu-Eins-Beratung und der schnelleren Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Dieses Kundenbindungspotential ist als Wettbewerbsvorteil von nicht zu unterschätzendem Wert.

 

Umsatzverschiebungen auf dem Apothekenmarkt

 

Die Anzahl der Apotheken nahm in den letzten Jahren kontinuierlich ab – und zwar gemäß eines IW-Kurzberichts von Dr. Jasmina Kurzhoff und Dr. Christian Rusche bereits in einer Ära, bevor ausländische Versender Rabatte gewähren durften: Waren es 2010 noch 21.441 Apotheken, existierten 2017 auf dem deutschen Apothekenmarkt nur noch 19.748. Die beiden Experten erklären in ihrem IW-Bericht, dass Präsenzapotheken überwiegend in Städten angesiedelt sind, in denen keine Versorgungsknappheit besteht und aus dem Grund jede zweite Apotheke auf wirtschaftlich wackeligen Beinen steht.

 

Auch der Blick auf die Marktanteile seit dem EuGH-Urteil belegt zur Zeit keine akute Bedrohung  inländischer Apotheken durch Versandapotheken. Für das Segment der rezeptpflichtigen Arzneimittel in Deutschland wurden im Jahr 2017 rund 305 Millionen Euro Umsatz durch Versandapotheken erwirtschaftet. Das entspricht einem Marktanteil von unter 1 Prozent für den Gesamtumsatz von über 46.000 Millionen Euro Umsatz aller Apotheken (QuintilesIMS, 2017). Auch verbuchte der Versandhandel im Vergleich zum inländischen Apothekenhandel ein Umsatzplus von moderaten 4,2 Prozent bei RX-Arzneimitteln, während der Umsatz auf dem gesamten Apothekenmarkt um 4,8 Prozent stieg. Auch hier sprechen die Zahlen nicht dafür, dass ein Versandverbot die Präsenzapotheken immens stärken würde.

 

Aus Sicht der Versandapotheken ist allerdings  die Verschiebung von RX-Arzneimitteln und besonders auch von OTC-Arzneimitteln ins Ausland bedrohlich. Gegenüber Apotheke Adhoc äußerte sich der BVDVA mit der grundsätzlichen Bewertung (Bundesverband Deutscher Versandapotheken): „Das Geschäft hat sich deutlich hin in die Niederlande verlagert.“

 

RX-Boni-Angebote bis zu 30 Euro pro Rezept führten laut Apotheke Adhoc seit dem EuGH-Urteil dazu, dass der holländische Versandriese DocMorris in der ersten Jahrhälfte 2017 im verschreibungspflichtigen Segment ein Umsatzplus von 13,5 Prozent erlebte. Im nicht-verschreibungspflichtigen Sektor verloren die inländischen Versender jedoch deutlich stärker an Umsatz durch DocMorris & Co. Hier steigerte der Niederländer laut dem Pharmaberichterstatter seinen Umsatz um knappe 41 Prozent. Diese Statistik bestätigt eine OTC-Verschiebung ins Ausland, die primär für die Versandapotheken von Bedeutung ist.

 

Dabei ist die Situation aber nicht für alle Versender gleich. „Primär trifft das EuGH-Urteil auf den OTC-Markt spezialisierte Inlandversender“, äußert sich ein Mitarbeiter aus der BVDVA-Geschäftsstelle dazu. Größere Versandapotheken wie Sanicare und apotal konnten sich einem BVDVA-Mitarbeiter gemäß stabil halten. Ein RX-Versandverbot beträfe ihmzufolge primär Versandapotheken, die sich auf denRX-Versand spezialisiert haben.

 

Gefährdet ein Versandverbot die Nahversorgung?

 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gilt als Anhänger moderner Marktmodelle und patiententenorientierter Lösungen. Deswegen ist eins seiner zentralen Themen, wie die Nahversorgung von Patienten in Deutschland zukünftig flächendeckend sichergestellt werden kann.

 

Auch hier setzten Befürworter eines RX-Versandverbots an – indem sie betonen, dass ein Versand von Arzneimitteln die Nahversorgung gefährde. Ähnlich hatte der Bundesrat 2016 eine Änderung der Einzelfall-Botendienstregelung mit einer Gefahr für Vor-Ort-Apotheken begründet: „Die damit uneingeschränkte Zulassung des Botendienstes könnte zu einer weiteren Regelversorgungsform und einer Schwächung der Präsenzapotheke führen.“

 

Auf der anderen Seite betont Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V. (bevh), die Un-Logik einer Politik, die eine Versorgung der Bevölkerung in dünn besiedelten Gebieten trotz des minimalen RX-Versandhandels im gesamten Apothekenmarkt befürchtet: „Die Politik würde also hier einer Un-Logik folgen, nach der künftig beliebige weitere Distanzhandelskonzepte, die den Sektor der Nahversorgung tangieren, wie z.B. der Lebensmittel-Onlinehandel oder das Online-Banking, verboten werden könnten.“

 

In ländlichen Regionen wird derzeit die Nahversorgung, wenn keine Präsenzapotheke erreichbar ist, durch organisierte Botendienste von Apotheken oder durch den Versand mittels Versandapotheken gesichert. Präsenzapotheken müssen allerdings gewährleisten, dass eine pharmazeutische Beratung stattgefunden hat. Zudem darf ein Botendienst laut §17 ApBetrO nur „im Einzelfall“ erfolgen. Im Gegensatz dazu darf eine Versandapotheke Medikamente regelmäßig verschicken – liegt die Genehmigung zum Versandhandel vor, sogar durch reine Logistikunternehmen wie DHL oder Hermes. Erleichtert wird der problemlose Versand insbesondere, weil Versandapotheken die Beratung nur telefonisch anbieten müssen.

 

Auch ein Gutachten des EU-Rechtsexperten Dr. Heinz-Uwe Dettling, das bei Govi erschien, zielt in die Richtung, dass die Nahversorgung durch den RX-Versandhandel gefährdet werde. Er argumentiert, dass man die Versorgung trotz RX-Versandverbot von schwach besiedelten Gebieten durch ein „flexibles Versandverbot“ regeln könne, das allerdings eine Einzelfallausnahme bliebe. Und laut einem ABDA-Sprecher belegen 250.000 tägliche Botendienste seitens Apotheken, wie gut die Nahversorgung auch ohne den Versand von Arzneimitteln funktioniert. So erklärt ein ABDA-Sprecher: „Oft bringt der Apothekenmitarbeiter das Arzneimittel persönlich noch am selben Tag vorbei, während man auf den Postboten mit dem Versandhandelspäckchen zwei oder drei Tage warten muss.“

 

Fraglich bleibt hierbei die Einzelfall-Logik: „Wer gehbehindert ist oder im Einzelfall ein Problem hat, dem wird das Arzneimittel per Botendienst nach Hause ans Krankenbett gebracht“, so der Sprecher.

 

Dagegen zeigt der Vorschlag des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) sinnvolle Kompromissbereitschaft. Statt über ein RX-Versandverbot zu verhandeln, solle man laut  Bundesverband eher an einer Stärkung umsatzschwacher Apotheken feilen. Durch einen Strukturfonds sollen Gelder von den umsatzstarken zu den umsatzschwachen Apotheken geleitet werden– sodass Apotheken auf dem Land für einen Nacht- und Notdienst von 10 Stunden künftig statt nur 280€ mit 560€ vergütet würden.

 

E-Commerce im Arzneimittelsektor: Kampf gegen Windmühlen?

 

Seit des Amazon-Deals mit PillPack beunruhigt der zunehmende E-Commerce die deutsche Apothekerschaft. Amazon versendet in den USA inzwischen mittels des Partners PillPack individuell verblisterte Arzneimittel. Doch auch die Online-Versandriesen aus China, Alibaba und JD.com, wollen sich ab diesem Jahr Europa und speziell Deutschland erschließen. Das berichtete das Handelsblatt.de unter Berufung auf Aussagen der Konzerne vor 3 Tagen. Damit erhalten Amazon, Zalando und Otto hierzulande zwar Konkurrenz - doch zeigen Tendenzen bei Patienten und Politikern, dass die Nachfrage nach elektronischem Versand auch vor dem Gesundheitssektor nicht Halt macht. Für inländische Apotheken heißt es nun, sich anzupassen. Die Gefahr durch Amazon ist durch die Apothekenkooperation mit der Bienen-Apotheke im OTC-Bereich bereits deutlich sichtbar. Deutschen Apotheken bleibt der Kampf gegen die Giganten durch diverse Strategien: etwa durch digitale Vorbestellmodelle und Online-Verfügbarkeitsauskünfte, das Fremdbesitzverbot für Apotheken, angepasste Liefervorschriften und vereinfachte Warenwirtschaftssysteme. Ein RX-Versandverbot erneut in die deutsche Gesetzgebung aufzunehmen würde den E-Commerce im Arzneimittelsektor empfindlich treffen. Doch zeigen vergangene Bestrebungen Amazons, dass der E-Commerce in Europa nur durch flächendeckende europäische Arzneimittelgesetze aufzuhalten wäre.

 

 

 

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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