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Impfstoffe Update: Weltweite Corona-Impfstoffprojekte

Kommentar schreiben Mittwoch, 23. September 2020

Die Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlichte kürzlich eine Liste weltweiter Impfstoffprojekte gegen das neue Virus SARS-CoV-2. Wie hoffnungsträchtig sind die „Finalisten“ und wann dürften erste Impfchargen an der Bevölkerung eingesetzt werden?

 

Derzeit befinden sich auf einer ständig aktualisierten Liste der WHO bereits 35 Impfkandidaten in der Phase klinischer Prüfungen.1 Neun davon werden bereits in Phase 3 und an mehreren tausend Probanden weltweit getestet (Stand: 9. September).2 Deutschland zählt im internationalen Vergleich zu den Spitzenreitern bei der Impfstoffherstellung gegen Covid-19. So stellen hierzulande die Unternehmen CureVac, BioNTech/Pfizer, Leucocare, Prime Vector Technologies, Artes Biotechnology, baseclick, die Universitätsklinik Tübingen, das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (mit CanVirex) sowie die Universität München, Universität Hamburg, das UKE Hamburg und die Universität Marburg Impfstoffe her.3

 

Inhaltsverzeichnis

 

WHO äußert sich nicht zur Effizienz einzelner Impfstoffe

 

Noch distanziert sich die WHO ausdrücklich von Aussagen über Sicherheit, Qualität und Effizienz weltweit laufender Impfstoffprojekte.4 Mit gutem Grund: Bislang gab es weltweit beispielhaft noch keinerlei m-RNA-Impfstoff, der jemals zum Einsatz beim Menschen zugelassen wurde. Solche Impfstoffe basieren auf ausgewählten Genen des Virus, die in Form einer messenger-RNA im menschlichen Körper die eigene Bildung ungefährlicher Virusproteine hervorrufen sollen.

 

Diese Technik wird von einer größeren Zahl der 35 Firmen angewandt, die sich jetzt in den letzten klinischen Phasen befinden. So entwickeln derzeit unter anderem die Firmen CureVac, BioNTech, Moderna, Inovio, Translate Bio mit Sanofi oder auch das thailändische National Vaccine Institute Impfstoffe auf m-RNA-Basis.5 Sicherheitstechnisch stecken mRNA-Impfstoffe und DNA-basierte Impfstoffe jedoch noch in den Kinderschuhen. Eine zweite dämpfende Nachricht lässt sich aus der WHO-Liste zu Impfstoffen gegen Covid-19 herauslesen: Der Zeitraum dürfte weiträumiger zu fassen sein, bis sich zugelassene Impfstoffe beim Einsatz an der Bevölkerung tatsächlich bewährt haben. 

 

Bundesgesundheitsministerium erwartungsgemäß optimistisch

 

Zwar hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Morning-Briefing des Journalisten Gabor Steingart Anfang August mitgeteilt, dass es in den nächsten 6 Monaten abgeschlossene Studien der „Phase 3“ geben könnte.6 Und tatsächlich gaben die Firmen BioNTech (Deutschland) und Pfizer (USA) vor wenigen Tagen bekannt, die Zulassung ihres Impfstoffs bei erfolgreichen Studien im Oktober 2020 zu veranlassen.7 Zudem möchte die Firma AstraZeneca (Großbritannien) laut Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) ebenfalls ab Oktober 300 Millionen Impfdosen in die USA und 30 Millionen nach Großbritannien liefern.8

 

Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts bleibt vorsichtig

 

Dennoch bleibt etwa Professor Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, noch abwartend in Hinblick auf die weltweite Impstoffentwicklung. In einem Videobeitrag des Paul-Ehrlich-Instituts zur Frage, ob jemals unter ähnlichen Bedingungen geforscht wurde, entgegnete der PEI-Präsident: „Wir haben sehr gute Vorarbeiten hinsichtlich der Arbeiten zu anderen Coronaviren. Sodass wir jetzt bereits das schützende ungefährliche Antigen im Impfstoff genau definiert haben.“9 Zur Frage, wann die Zulassung eines Covid-19-Impfstoffs zu erwarten sei, betonte Cichutek außerdem, dass die Forschung aus der Ebolakrise in Westafrika gelernt habe, Impfstoffprüfungen zu kombinieren und schnellere Entwicklungen zu befördern.

 

Professor Cichutek ergänzte in Hinblick auf die Ebola-Epidemie in den Jahren 2014 bis 2016: „Selbst hier dauerte es zwar noch über 4 Jahre bis zur Impfstoffzulassung. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir bei dem Impfstoff gegen das neue Coronavirus 2 deutlich schneller sein werden.“10

 

Stichwort: Effektivität von Impfstoffen

 

Verschiedene Spritzen und Medikamente unter dem Schriftzug "Covid-19"Auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) teilt auf seiner Homepage mit, dass Impfstoffe zum Schutz vor Corona nicht nur sicher, sondern auch effektiv sein müssten. „Ein idealer Corona-Impfstoff würde bei jedem, der damit geimpft wird, bei nur wenigen und milden Nebenwirkungen einen vollständigen und lebenslangen Schutz vor Ansteckung mit SARS-CoV-2 erzielen. Kein Impfstoff wird jedoch dieses Idealziel vollumfänglich erfüllen können“, heißt es dort pragmatisch.11

 

Des Weiteren weist der VFA darauf hin, dass die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA, die häufig ähnliche Einschätzungen wie die europäische Zulassungsbehörde EMA trifft, in erster Linie darauf bestünde, dass „COVID-19-Impstoffe sicher sind“.12 Zur Effektivität der zuzulassenden Impfstoffe habe die FDA angekündigt, „eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent zu verlangen“ – hingegen habe sich die EMA noch nicht auf eine Mindestwirksamkeit festgelegt.13

 

Szenario: Die Impfstoffe auf dem Markt bringen eine Effektivität von 50 Prozent

 

Bleiben wir bei der von der FDA verlangten Effektivität von 50 Prozent, würden sich in der Bevölkerung mit größeren Impfzahlen höchstens noch halb so viele mit der Krankheit anstecken wie in einer größeren Vergleichsgruppe mit Ungeimpften. Das Prinzip der Herdenimmunität geht davon aus, dass die Coronakrise überwunden wäre, wenn mindestens 60 Prozent immun gegen das Coronavirus sind – sei es durch ihre DNA, ihr Immunsystem oder eine Impfung.14a Daher dürfte ein verlangter Effektivitätswert von 50 bis 60 Prozent für einen Coronaimpfstoff vollkommen ausreichen. Die Weitergabe des Virus würde so massiv verlangsamt, dass die Pandemie so gut wie überwunden wäre.14b 

 

Einschätzung der derzeitigen 35 Impfstoff-Finalisten

 

Bei den neun Impfstoffen, die sich derzeit bereits in einer abschließenden Phase-3-Prüfung befinden, handelt es sich zunächst durchweg um moderne Impfstoffe. Darunter befinden sich Vektorimpfstoffe, drei Inaktivierte und zwei RNA-Impfstoffe. Zu ihrer Herstellung werden gereinigte, inaktivierte Viruspartikel (Ganzvirus-Impfstoff) oder Virusteile (Split-/Subunit-Impfstoffe/gentechnisch hergestellte Antigen-Impfstoffe Subunit-Impfstoffe/Peptid-Impfstoffe) verwendet.15

Alle derzeitigen Phase-3-Studien zu den neun Impfstoffen sind zwar gut designt – sie sollen an einer größeren Kohorte von meist über 25.000 bis 40.000 Probanden placebokontrolliert getestet werden – doch das Paul-Ehrlich-Institut positioniert sich auf seiner Homepage noch sehr verhalten bezüglich ihres Laufs in die Zielgerade.

 

So heißt es dort (Stand: 22.09.2020): „Eine besondere Bedeutung kommt den auf ungefährlicher Erbinformation beruhenden Impfstoffen zu, die die genetische Information mit dem Bauplan des oder der Antigene auf wenige Körperzellen übertragen. Traditionell sind dies die abgeschwächten Virus-Lebendimpfstoffe.“16

 

Aufgrund des hier genannten PEI-Zitats wird ersichtlich, dass den „ersten Neun“ eher nicht das Prädikat „sicher“ zukommt. Sich vermehrende sowie vermehrungsunfähige Vector-Impfstoffe, DNA- und RNA-Impfstoffe basieren letztlich darauf, dass Erbinformation auf Körperzellen übertragen wird. Demgegenüber werde bei abgeschwächten Lebendimpfstoffen, so die PEI-Bewertung, der „auf ungefährlicher Erbinformation beruhende“Antigen-Bauplan nur „auf wenige Körperzellen übertragen.“17a 

 

Warum abgeschwächte Lebendimpfstoffen möglicherweise die bessere Wahl sind

 

Außerdem kommt Lebendimpfstoffen womöglich ein weiterer Vorteil zu: Kürzlich ließen Studien Hinweise erkennen, dass Lebendimpfstoffe womöglich gleich vor mehreren Erregern schützen.17b Ganz konkret prüft das Paul-Ehrlich-Institut deshalb zwei klinische Studien, die untersuchen, ob der Tuberkulose-Impfstoff BCG auch einen Schutz gegen virale Infektionen aufbaut.18

 

Hinter dem vermuteten Mehrfacheffekt der Lebendimpfstoffe gegen andere Erreger vermuten die Experten Professor Melanie Brinkmann, Dr. Eva Kaufmann und Professor Thomas Mertens eine umfassende Immunstimulierung. Diese Impfstoffe fördern womöglich „langanhaltende Veränderungen in Immunzellen oder deren Vorläuferzellen, die zu einer erhöhten Funktionsbereitschaft der Körperabwehr führen“, betonte Immunspezialistin Dr. Kaufmann gemäß Angaben des DAV.19

 

Reservierte Reaktion des PEI-Präsidenten auf Impfstoffzulassung in Russland

 

Viele Bürger fragen sich derzeit auch, wie der Impfstoff zu bewerten ist, den Russland vor knapp einem Monat zugelassen hatte. Der Impstoff mit der Bezeichnung „Sputnik V“ kam unter anderem in die Kritik, weil die Studiendaten Wissenschaftlern zufolge „seltsame Muster“ enthalten würden.20 Professor Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, sagte dazu am 11. August in einer Tonaufnahme: „Hinsichtlich der Zulassung eines Covid-19-Impfstoffs in Russland sind geringe Transparenz – und nach bisherigen Informationen fehlende Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten aus klinischen Prüfungen an mehreren tausend Probenden zu bemängeln.“21

 

Neue Kenntnisse zu Corona – was dies für die Impfstoffe bedeutet

 

Interessant ist und bleibt letztlich hinsichtlich eines neuen Impfstoffs gerade die Frage nach der Immunisierung des Menschen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2. Auch heute noch, knapp 10 Monate seit Beginn der Corona-Pandemie, fehlen viele wissenschaftlichen Kenntnisse zur Immunantwort des Menschen. Einige Studien deuteten im Juni an, dass bald nach der Infektion keine Antikörper mehr nachweisbar seien.22 Das weckte in erster Linie Zweifel und Ängste: Wird eine baldige flächendeckende Immunität gegen das Virus auf sich warten lassen? Und ist eine größere Bevölkerungsgruppe selbst nach einer durchgestandenen Infektion oder nach einer vorbeugenden Impfung nicht immun? Hierzu die wichtigsten 3 Erkenntnisse über die Immunisierung gegen SARS-CoV-2 im Überblick:

 

Erkenntnis 1: Menschen reagieren sehr divers auf SARS-CoV-2

 

Offenbar fällt die Immunantwort des Menschen auf das Virus nicht bei jedem gleich aus. Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen scheinen eine richtige Immunantwort auszubilden, sodass sich IgA und IgG ausbilden. Andere mit milden oder gänzlich asymptomatischen Verläufen reagieren offenbar untypisch. Statt der IgA- und IgG-Antikörper bildet sich bei ihnen vermutlich eine T- und B-Zellreaktion aus. Diese bezeichnet man auch als zelluläre Immunantwort.23

 

Erkenntnis 2: Auch die zelluläre Immunantwort wirkt protektiv

 

Auch dieser B- und T-Zellschutz könnte über längere Zeit bestehen bleiben und vor SARS-CoV-2 schützen. Wie lange genau, dies wird von Forschern derzeit näher untersucht. Denn die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) zählen zur zellulären Immunantwort im Blut und bilden als Untergruppen Lymphozyten (T-Zellen, B-Zellen und Killerzellen) aus.24 Die weißen Blutkörperchen zählen zur gezielten Erregerabwehr in den Lymphknoten, in Milz, Thymus und Knochenmark. T-Helferzellen „beauftragen“ beispielsweise die B-Zellen damit, Antikörper zu produzieren.25 Die Antikörper bekämpfen Coronaviren dann gezielt. Sind längere Zeit T-Zellen nach einer COVID-19-Erkrankung nachweisbar, kann das Immunsystem womöglich schneller auf das neue Coronavirus reagieren.

 

Erkenntnis 3: Menschen nach einer Infektion mit Erkältungs-Coronaviren scheinen immun

 

Eine weitere Immunantwort fanden Forscher bereits heraus: T- und B-Zellen von Menschenblutproben, die nie mit Coronavirus 2 konfrontiert wurden, bilden bereits im Reagenzglas B- und T-Zellen gegen SARS-CoV-2 aus.26 Man spricht von Kreuzreaktivität: übliche Erkältungs-Coronaviren, die bereits seit den 70er Jahren kursierten, könnten bestimmte Menschen auf das neuartige Coronavirus „vorbereitet“ haben. Wahrscheinlich, weil sich einzelne Proteine aller Coronavirenklassen stark ähneln. Die von Erkältungs-Coronaviren damals gebildeten B- und T-Zellen scheinen über sehr lange Zeiträume das Oberflächenprotein des SARS-CoV-2 und andere innere Virusteile „wiederzuerkennen“.27

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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