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Deutsche Studie: Ist TLE-Epilepsie bald heilbar?

Kommentar schreiben Dienstag, 17. Dezember 2019

Epilepsie ist trotz moderner medizinischer Standards eine potenziell tödliche Erkrankung. So verstarb vor kurzer Zeit beispielsweise eine junge Frau an Epilepsie, die während eines Grand-Mal-Krampfanfalls auf einen harten Gegenstand stürzte. Doch es gibt Hoffnung: Bei einer schweren Epilepsieform, der Temporallappen-Epilepsie (TLE), hat womöglich ein spezielles Genverfahren1 die Fähigkeit, Krampfanfälle mit einem eingeschleusten Gen im Vorfeld zu verhindern. Dies wäre der erste Schritt zur Heilung der Epilepsie.

 

In Deutschland leben derzeit schätzungsweise 500.000 Menschen2, die an Epilepsie leiden. Bei einer Epilepsie kommt es zu wiederholten epileptischen Anfällen, bei denen die Kommunikation der Nervenzellen untereinander durch eine synchrone Entladung von Nervenverbünden an der Hirnoberfläche gestört ist. Während eines Anfalls sind Motorik, Sprache und Bewusstsein betroffen, Langzeitschäden treten zudem am Lern- und Gedächtnissystem auf.3 Bei einer Temporallappen-Epilepsie ist die chirurgische Entfernung der Schläfenlappen-Region oft die einzige Alternative.  Zudem bewirken Medikamente schwere Nebenwirkungen und die Erkrankung selbst wirkt sich deutlich auf Arbeit, Sport und Fahrtüchtigkeit aus.

 

Neuer Ansatz bei Temporallappen-Epilepsie

 

Einer Forschungsgruppe der Charité Berlin und der Universitätsmedizin Innsbruck gelang nun ein neuartiger Ansatz bei Temporallappen-Epilepsie.4 Eine gezielte Gentherapie schleuste selektiv ein schützendes Gen gezielt am Entstehungsort ein und bewahrte das Gehirn bei Bedarf vor übermäßiger Erregung.

 

Das Gen stellt die Bauanleitung für Dynorphin dar, welches natürlich im Körper vorkommt und übermäßige Erregungszustände von Nervenzellen mildert. Der Epilepsie- und Neurologieexperte Prof. Dr. Christoph Schwarzer beschreibt die Methode einer Stellungnahme der Charité zufolge mit den Worten: „Bei hochfrequenter Stimulation der Nervenzellen, wie zu Beginn eines Anfalls, wird Dynorphin ausgeschüttet. Es bewirkt eine Dämpfung der Reizweiterleitung und der epileptische Anfall bleibt aus“4.

 

Experten sprechen bei diesem Wirkmechanismus von einer „drug on demand“-Gentherapie. Dies bedeutet, dass der Wirkstoff des neuen Medikaments die beginnenden Krampfanfälle nur im Bedarfsfall unterdrückt, sobald die Erregung der Neuronen ein gewisses Maß übersteigt – ebenfalls wirkt es dem Forscherteam zufolge nur regional beschränkt im betroffenen Hirnareal.

 

Begrenzt sind die Ergebnisse bislang noch auf Tiermodelle an Ratten, deren epileptische Anfälle damit über Monate hinweg erfolgreich unterdrückt wurden. Das Besondere an diesem möglichen medizinischen Durchbruch: Nicht nur die Anzahl, auch die Stärke „synchroner Neuronen-Aktivität im Gewebeverbund“ wurden minimiert. Das Forscherteam zeigte sich optimistisch, dass die Ergebnisse der Studie offenbar auf Erfolg der Therapiemethode beim Menschen hindeuten. Als Transportmittel für das Dynorphin-Gen wurden Adeno-assoziierte Viren genutzt. Sie würden als sicher gelten und seien bereits für die Anwendung am Menschen zugelassen.

 

Nächster Schritt: Optimierung für den Menschen

 

„Wir arbeiten derzeit daran, die virale Gen-Fähre für die Anwendung bei Menschen zu optimieren. Unser Ziel ist, das Gentherapeutikum in wenigen Jahren als Arzneimittel erstmals in der klinischen Testphase einsetzen zu können“4, erklärte Prof. Dr. Regine Heilbronn, Direktorin des Instituts für Virologie am Charité Campus Benjamin Franklin.

 

Sie hob zudem die gute Verträglichkeit des Medikaments insgesamt hervor. Nebenwirkungen zeigten sich bisher nicht; erklärt wird dies mit der zeitlich und räumlich begrenzten Wirksamkeit der Gentherapie. Auch blieben während der Therapie durch die Unterdrückung der Anfälle „negative Effekte auf Lernen und Gedächtnis aus“4, erläutert eine diesbezügliche Pressemitteilung der Charité. Im Idealfall kann das Medikament in einigen Jahren erfolgreich bei Betroffenen mit einer TLE-Diagnose, die nicht auf Medikamente ansprechen, als Einmaltherapie eingesetzt werden. Die minimalinvasive Methode würde so zu einer wertvollen Therapie-Alternative.

 

Gefördert wurde die Studie mit größeren Fördersummen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).5 Bereits 2012 hatten Forscher des University College London erklärt, dass Epilepsieanfälle an Ratten über mehrere Wochen mithilfe eines Gen-Medikaments gestoppt wurde.

Auch diese Therapie, die eine Kopie des Gens für Kalium-Kanäle gezielt in die Epilepsieherde der Ratten einbrachte, unterdrückte die Anfälle prophylaktisch. Dabei wirkte das Gen-Medikament von 2012 jedoch nicht als schützender Regulator wie der natürliche Regulator Dynorphin zur Dämpfung der Nervenerregung, sondern verhinderte an den Kalium-Kanälen, dass erregende Botenstoffe durch die Nervenzelle freigesetzt wurden.6

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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