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Der Stoff, aus dem die Windeln sind

Kommentar schreiben Aktualisiert am 18. September 2016

Lange Zeit waren sie in den hintersten Ecken der Wickelkommoden verschwunden, seit einiger Zeit jedoch erfreuen sie sich wieder zunehmender Beliebtheit: Stoffwindeln stellen für viele Eltern eine echte Alternative zu den praktischen Wegwerf-Windeln dar.

Die Auswahl an modernen Stoffwindeln scheint Jahr für Jahr größer zu werden. Meist werden ganze „Systeme“ aus Überhosen mit Einlagen oder All-in-One-Systeme mit dem jeweils passenden Zubehör angeboten. Zahlreiche Hersteller bieten Stoffwindeln an, in verschiedenen Größen und Materialien, fröhlichen Farben und bedruckt mit niedlichen, fantasievollen Mustern. Viele Produkte tragen auch Bio- oder Fair-Zertifikate, weisen sich damit als besonders umwelt- und hautfreundlich aus und versichern, dass sie Nachhaltigkeit und ethische Grundsätze bei Rohstoffen und Produktion beachten. So gut wie alle Materialien sind technisch modern und besonders pflegeleicht. Abgesehen vom Fachhandel bietet vor allem das Internet die größte Auswahl. Hier kann man sich auch sehr gut über die Stoffwindeln, ihre Anwendung und Pflege informieren.

Aus welchen Stoffen sind moderne Mehrweg-Windeln gemacht?

Sämtliche Bestandteile von Stoffwindeln (also Überhosen, Einlagen, Saugkerne usw.) werden aus weichen, atmungsaktiven und Materialien hergestellt, z.B. aus Bio-Baumwolle, hypoallergener Bambusviskose und Mikrofaser. So gut wie alle Produkte sind erklärtermaßen frei von Chemikalien. Häufig stößt man bei Stoffwindeln auf den Begriff „PUL-Stoffe“. „PUL“ ist die Abkürzung für Polyurethan-beschichtet: PolyUrethane Layered. Das bedeutet, dass der Stoff undurchlässig für Flüssigkeit ist, dass also die Windeln gut dichthalten. Eine Polyurethanschicht, die auch atmungsaktiv ist, kann auf verschiedenste Materialien aufgebracht werden, folglich gibt es PUL-Stoffe aus Baumwolle, Polyester und Mischgewebe.

Wickeln mit Stoffwindeln – wie geht das? 

Bei Mehrweg-Windeln gibt es zwei verschiedene Systeme: All-in-one-Windeln und Zwei-Höschen-Windeln.

Die All-in-One-Windeln (kurz AIO) funktionieren im Prinzip wie Wegwerf-Windeln. Man benutzt sie einmal und gibt sie anschließend direkt in die Wäsche. Eine AIO besteht aus einem äußeren Höschen und einer Einlage bzw. einem Saugkern. Geschlossen wird sie mit Druckknöpfen oder einem Klettverschluss. Die Einlage wird entweder einfach in das Höschen hineingelegt oder kann in ein dafür vorgesehenes Fach gegeben werden; zum Waschen wird die Einlage dann einfach herausgenommen. Das äußere Höschen kann unter Umständen mehrfach benutzt werden.

Die andere Variante sind die Zwei-Höschen-Windeln, die aus der Überhose (einer wasserdichten Saugwindelhose) und Saugeinlagen bestehen. Letztere gibt es als spezielle 2-in-1-Einlagen oder so genannte Prefolds (einfache Mullwindeln zum Falten). Die Zwei-Höschen-Systeme gelten als sehr zuverlässig und sind beliebt, weil sie so viele Variationsmöglichkeiten bieten. Man kann z.B. die Materialien Wolle, (Bambus-)Baumwolle, Fleece- oder Kunststoff sowie PUL-Stoffe ganz einfach miteinander kombinieren.

Mehr zu den beiden Varianten in diesem Video:

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Bleibt Baby auch bei Stoffwindeln gut trocken?

Mit einer Polyurethanschicht saugen Stoffwindeln genauso viel Feuchtigkeit auf wie Wegwerf-Windeln, doch im Gegensatz zu Pampers und Co. wandeln Stoffwindeln die Feuchtigkeit nicht chemisch in Gel um. Dadurch kann die aufgenommene Nässe auch wieder auslaufen.

Was den Nässeschutz angeht, sind Zwei-Höschen-Systeme den AIO-Windeln überlegen. Die Zwei-Höschen-Windeln halten genauso gut dicht wie eine Wegwerf-Windel. Bei den AIO-Windeln, die etwas praktischer und einfacher in der Anwendung sind als Zwei-Höschen-Windeln, kann man besonders bei längeren Wickelintervallen nicht ganz so sicher sein, dass sie immer dichthalten. Viele Eltern gehen auch den Kompromiss ein, tagsüber Stoffwindeln und nachts Wegwerf-Windeln zu benutzen. Wie man sich entscheidet, ist letztlich immer eine Sache der individuellen Erfahrungen und Einschätzungen.

Welche Vorteile bieten Stoffwindeln?

Die meisten Eltern, die sich für Stoffwindeln entscheiden, tun dies aus ökologischen Gründen. Sie möchten unnötigen Abfall vermeiden und die Umwelt schonen.

Mit Wegwerf-Windeln entsteht pro Baby vom ersten Wickeln bis zum Trockenwerden etwa eine Tonne unverrottbarer Müll aus rund 6000 Windeln. Unverrottbar bedeutet, dass der Abfall auch nach 500 Jahren noch nicht abgebaut ist! Wegwerf-Windeln machen etwa zehn Prozent unseres gesamten Restmüllaufkommens aus. Zwar werden sie aufgrund moderner Herstellungstechniken immer dünner und leichter, doch stellt dies noch lange keine echte Lösung des Müllproblems dar. Erschwerend kommt hinzu, dass Wegwerf-Windeln zum großen Teil mit verbrannt werden, zunächst aber nicht brennbar sind. Daher muss man zu ihrer Verbrennung extrem viel Energie in Form von Brennstoff zusetzen.

Das Etikett „kompostierbar“ bei manchen Wegwerf-Produkten ist bisher nicht viel mehr als Augenwischerei: Diese angeblich umweltfreundlicheren Windeln werden ebenfalls im Restmüll entsorgt und damit in der Regel verbrannt oder deponiert. Der Vorteil ist lediglich, dass sie auf Deponien schneller abgebaut werden als konventionelle Wegwerf-Windeln.

Argument, dass Stoffwindeln gewaschen werden müssen.

Oft wird eingewendet, dass auch Stoffwindeln keine wesentlich bessere Ökobilanz aufweisen als Wegwerf-Produkte, da sie gewaschen werden und dadurch mehr Wasser und Energie verbraucht würde. Grundsätzlich stimmt das. Doch einige Studien, die belegt haben wollen, dass Stoffwindeln denselben CO2-Ausstoß wie Wegwerf-Windeln haben, haben angenommen, dass die Windeln immer bei 95°C gewaschen werden und nach der Wäsche grundsätzlich ein Wäschetrockner benutzt wird. Wäscht man jedoch die Stoffwindeln bei maximal 60°C (was in der Regel vollkommen ausreicht!) und hängt sie anschließend zum Trocknen an der Luft auf, sieht die Ökobilanz schon deutlich besser aus!

Unbestritten ist natürlich, dass das Waschen von Stoffwindeln das Abwasser belastet. Nutzt man einen Windeldienst, der die Windeln zum Waschen abholt und sauber wieder bringt, muss man zusätzlich die Energie mit einberechnen, die für den Transport aufgewendet wird. Doch ebenso liegt es auch auf der Hand, dass jeder einzelne Verbraucher seine individuelle Ökobilanz durch umweltbewusstes Verhalten verbessern kann.

Richtiges Waschen: macht Windeln gut sauber und schont die Umwelt!

Umweltbewusst kann man sich vor allem beim richtigen Waschen der Stoffwindeln verhalten: Besonders wichtig sind möglichst niedrige Waschtemperaturen (maximal 60 Grad) und, wann immer möglich, die Vermeidung von Vorwäsche. Es ist in der Regel auch kein hygienisches Problem, die Windeln nicht extra, sondern zusammen mit anderer Wäsche zu waschen. Bei stark verschmutzten Stoffwindeln kann man diese vor der Maschinenwäsche einweichen oder sie im kalten Vorspülgang der Waschmaschine durchwaschen. Wer einen solchen Gang nicht hat, kann vielleicht auf ein Kurzprogramm mit Kaltwasser oder 30 Grad ausweichen.

Umweltschonend ist es auch, den Wasserhärtegrad zu beachten und damit eventuelle Überdosierungen des Waschmittels zu vermeiden. Auch sollte immer das richtige Waschmittel für das jeweilige Windelmaterial gewählt werden, um die Stoffe zu schonen und damit länger zu erhalten. Für viele Produkte eignen sich spezielle Windel-Waschmittel.

Sind Stoffwindeln netter zu Babys Haut?

Was die Gesundheit von Babys Haut angeht, bieten Stoffwindeln einige Vorteile. Wegwerf-Windeln verwandeln mittels chemischer Bindemittel den Urin in Gel und sind meist mit Paraffin beschichtet. Beides vertragen viele Babys nicht. Die Stoffwindel sorgt darüber hinaus für ein besseres Windelklima, da sie atmungsaktiver ist und es auch dadurch zu weniger Hautirritationen kommt.

Neben der Windel an sich ist auch das gewählte Windel-Waschmittel für die Gesundheit der zarten Babyhaut von Bedeutung. Das Waschmittel sollte keine Duftstoffe und optische Aufheller enthalten und möglichst auch frei von dem Enzym Lipase sein. Duftstoffe können evtl. Hautreizungen, Windelausschlag und Allergien auslösen. Lipase lagert sich an den Windeln ab. Beim Tragen wird dieses Enzym im feuchten Windelmilieu wieder aktiv und kann Hautreizungen verursachen. Lipase greift u.U. auch das körpereigene Hautfett an, sodass die Haut durchlässig wird für evtl. allergieauslösende Stoffe. Optische Aufheller lagern sich auch auf der Haut an. Sie können bei empfindlicher Haut Reizungen und Kontaktallergien auslösen und stehen zumindest im Verdacht, das Hormonsystem des Körpers zu schädigen und Krebs auszulösen.

Wie sieht es mit den Kosten aus?

Mehrere, recht glaubwürdige Berechnungen haben bisher ergeben, dass Eltern mit Stoffwindeln – hochgerechnet auf eine gesamte Wickelperiode und die Kosten für das Waschen der Windeln einbezogen –  etwa bis zu 1000 Euro einsparen können.

Einen genaueren, dabei wirklich seriösen Rechenvergleich zu finden, ist schwierig, da immer das individuelle Verhalten sowie unterschiedliche energetische und umweltbezogene Faktoren miteinbezogen werden müssen. Festzuhalten ist, dass Stoffwindeln in der Anschaffung zunächst recht teuer sind – je nach Material kostet ein Stoffwindel-Paket etwa 300 – 400 Euro – , jedoch danach sicherlich weniger Folgekosten nach sich ziehen. Nicht von der Hand zu weisen ist auch die deutlich größere Nachhaltigkeit von Stoffwindeln, da man sie schließlich auch noch beim zweiten Kind verwenden, z.B. bei Tauschbörsen weitergeben oder auch weiterverkaufen kann.

Stoffwindeln vs. Wegwerf-Windeln – ein Resümee

Stoffwindeln können gewaschen und beliebig oft wiederverwendet werden – ein großes Plus für ökologisch Orientierte, auch wenn die vielen Waschgänge ebenfalls viel Energie kosten und der Aufwand fürs häufigere Wickeln, Waschen und Trocknen ebenfalls nicht unbeträchtlich ist. Zweifellos trägt die Stoffwindel dazu bei, die immensen Müllberge nicht noch weiter anwachsen zu lassen.

Auch aus gesundheitlicher Sicht spricht einiges für die Stoffwindeln: Sie reizen die empfindliche Babyhaut weniger, da sie in der Regel keine chemischen Stoffe enthalten. Auch der Tragekomfort ist gegenüber einer Wegwerfwindel besser, da die Stoffe sehr weich, atmungsaktiv und anschmiegsam sind. Außerdem sind Babys in Stoffwindeln breiter gewickelt, was Kinderärzten zufolge die gesunde Hüftentwicklung fördert.

Was schließlich den finanziellen Aspekt angeht, kann man davon ausgehen, mit Stoffwindeln zumindest einige hundert Euro pro Wickelkind einsparen zu können.

Aus diesen Gründen sind Stoffwindeln also sicherlich den Wegwerf-Windeln vorzuziehen. Eltern haben die Wahl – und stets ihre individuellen Ansprüche und Bedürfnisse. Wem es vor allem um die praktische Anwendung und mehr Bequemlichkeit geht, wird sicherlich auf die Wegwerf-Windeln nicht verzichten wollen.

Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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