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HIV positiv: Was es mit Aids heute auf sich hat

Kommentar schreiben Aktualisiert am 01. Dezember 2014

Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Zu diesem Anlass hat sich das apomio-Team mit Manfred Schmidt, Politologe und Leiter der Aidshilfe Nürnberg, getroffen und geklärt, was es in der heutigen Zeit bedeutet HIV-positiv zu sein, wie das Virus übertragen wird und wie man sich schützen kann.

 

Apomio.de: Herr Schmidt, können Sie mir sagen, wie viele Menschen in Nürnberg HIV positiv sind?

 

Manfred Schmidt: Man kann nur ungefähre Aussagen treffen, exakte Zahlen gibt es dazu nicht, weil es in Deutschland keine namentliche Meldepflicht gibt. Alle positiven Testergebnisse werden dem Robert Koch Institut gemeldet, daher kommen die Zahlen. In Bayern sind es rund 11.000, in der Metropolregion Nürnberg gehen wir etwa von 2.000 Menschen mit HIV aus.

 

Wie viele Menschen mit HIV leben in ganz Deutschland?

 

Schmidt: In Deutschland gibt es um die 80.000 Menschen mit HIV. Natürlich gibt es Menschen, die nichts von ihrer Infektion wissen, diese Dunkelziffer ist allerdings nicht so groß, als dass sie alle Vorstellungen sprengt. Die Zahlen sind recht zuverlässig.

 

 

 

Wie ist die Zahl im Vergleich zu anderen Großstädten einzuordnen?

 

Schmidt: Man muss schon sagen, dass sich HIV in größeren Städten konzentriert. Das liegt vor allem auch an der Verteilung auf die Bevölkerungsgruppen. Es gibt Schwerpunkte bei schwulen Männern und Drogennehmenden. Das sind eben Gruppen, die es in die Städte zieht, aufgrund der besseren Lebenssituation. Trotzdem gibt es auch Menschen mit HIV, die in Dörfern oder Kleinstädten leben.

 

Glauben Sie, dass Aids heute immer noch ein Tabu-Thema ist?

 

Schmidt: Tabu würde ich jetzt nicht unbedingt sagen. Ich denke, Aids wird gesellschaftlich schon thematisiert. Es gibt Kampagnen zur Aufklärung mit Plakaten, die auf das Thema hinweisen. Es hat allerdings immer noch den Charakter einer besonderen Erkrankung, der medizinisch gar nicht gerechtfertigt ist. Es gibt wesentlich schlimmere Diagnosen. Was das besondere ausmacht ist, dass es leider immer noch Diskriminierung gibt. Manche Leute werden anders behandelt, wenn die Infektion bekannt wird. Die Infektion wird immer noch in Zusammenhang mit Sexualität, Prostitution, Rausch und Drogengebrauch gebracht und hat daher etwas Anrüchiges. Manche Leute verinnerlichen das leider auch und schämen sich für die Infektion.

 

Wer ist am häufigsten von der Krankheit betroffen?

 

Schmidt: In Deutschland gibt es eine ungleiche Verteilung, denn etwa 80 Prozent der Infizierten sind Männer und nur 20 Prozent Frauen. Grund für die Ungleichheit ist, dass etwa zwei Drittel der Betroffenen in den Bereich Männer, die mit Männern Sex haben fallen.

 

Warum ist diese Bevölkerungsgruppe am häufigsten betroffen?

 

Schmidt: Es liegt sicherlich auch daran, dass Analverkehr ohne Kondom das höchste Infektionsrisiko birgt. Der Hauptgrund, warum sich das in Deutschland so konzentriert ist, dass als Aids aufkam zuerst schwule Männer infiziert waren. Als man noch gar nicht wusste, wie man sich schützen kann waren dann schon viele schwule Männer betroffen.

 

Was bewirkt das Virus im Körper?

 

Schmidt: Das kann man umgangssprachlich ziemlich einfach erklären: Wenn jemand mit HIV infiziert ist, wird das Immunsystem über kurz oder lang angegriffen und geschwächt. Wenn man nichts von seiner Infektion weiß, kann die Immunschwäche fortschreiten. Je länger dieser Zustand andauert, umso anfälliger wird der Körper für verschiedene Viren, Bakterien oder Pilze. Ein gesundes Immunsystem würde damit locker fertig werden. Aids ist praktisch der Zustand, in dem das Immunsystem mit den Erregern nicht mehr fertig wird, sodass sie im Körper Schaden anrichten können.

 

Wie wird HIV übertragen?

 

Schmidt: Der überwiegende Infektionsweg ist der sexuelle: Ungeschützter Verkehr ist ein HIV Übertragungsweg. Orale Kontakte führen nur in seltenen Fällen zur Übertragung des Virus.

 

Wie sieht es mit der Blutübertragung aus?

 

Schmidt: Das wird allgemein viel zu sehr überschätzt. Im Alltag spielt HIV überhaupt keine Rolle. Man hat festgestellt, dass es bei Blutkontakt nur selten zur Übertragung kommt. Ein anderes Thema sind Spritzen. Wenn Menschen Spritzen zum Drogenkonsum teilen, besteht ein Risiko. Doch die Zahlen gehen in Deutschland zurück, auch dank präventiven Maßnahmen. Auch im Umgang mit positiven Patienten kommt es nur ganz selten vor, dass eine HIV-Übertragung stattfindet. Man hat sehr gute Möglichkeiten, mit den HIV-Medikamenten auch nach dem Kontakt mit einer Spritze oder ähnlichem eine Infektion zu vermeiden.

 

Steckt man sich automatisch an, wenn man ungeschützten Verkehr mit einer positiven Person hat?

 

Schmidt: Das ist eine wichtige Frage. Viele denken, dass man sich sofort ansteckt, wenn man einmal mit einer infizierten Person ungeschützt Sex hatte. Das kann passieren, wäre allerdings sehr großes Pech. Man weiß heute, dass es vor allem von der Virenkonzentration abhängt. Je höher die Viruslast, umso wahrscheinlicher ist die Übertragung. Das Tückische: Kurz nach der Ansteckung, wenn die Leute noch gar nicht wissen, dass sie HIV haben, sind sie am ansteckendsten. Auch wenn die Leute keine Medikamente nehmen, geht die Virusmenge nach einigen Wochen zurück, weil der Körper es schon schafft die Vermehrung des Virus zu hemmen. Eine vollständige Unterdrückung ist allerdings nicht möglich. Ein Kondom ist ein sehr wirksamer Schutz, egal in welcher Phase.

 

Wie lange dauert es, bis man die Krankheit feststellen kann?

 

Schmidt: Das geht relativ schnell. Ein schlechtes Testergebnis bekommt man bereits nach 2 bis 6 Wochen. Wenn man sicher gehen will, dass man sich nicht angesteckt hat, muss man bis zu 12 Wochen warten. Die Tests werden allerdings immer besser, die Wartezeit verkürzt sich also.

 

Wie verhält es sich bei schwangeren Frauen – ist das Kind automatisch auch positiv?

 

Schmidt: Nein, das ist in den seltensten Fällen so. Wenn man medizinisch nichts tun würde, läge die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind auch HIV-positiv ist bei etwa 25 Prozent. Bei jeder Schwangerschaftsvorsorge wird der Mutter ein HIV-Test angeboten. Wenn eine Infektion bekannt werden würde, könnte man das ungeborene Kind mittels Therapie schützen. Die Virusmenge kann vermindert werden, sodass das Infektionsrisiko bei der Geburt sinkt. Im Mutterleib kommt es nicht zur Infektion, da der Embryo einen eigenen Blutkreislauf hat und die Plazenta vor einem Blutaustausch schützt. Wenn es zu einer Infektion kommt, dann bei der Geburt. Die Rate der Babys, die sich durch die Mutter infizieren, liegt in den Industrieländern bei unter einem Prozent.

 

Wie lange dauert es von der Infektion bis zum Ausbruch der Krankheit?

 

Schmidt: Früher, als es noch keine guten Medikamente gab, gab es Durchschnittswerte von 7 Jahren. So lange haben die Menschen mit HIV gelebt, dann wurde es kritisch. Nach 10 Jahren sind die Patienten in der Regel verstorben. Heutzutage sollte man nicht abwarten, aber auch wenn man das Thema einige Jahre lang verdrängt hat, kann es sein, dass man infiziert ist. Für eine Therapie ist es nie zu spät. Auch wenn das Immunsystem schon sehr stark geschwächt ist, kann man wieder auf die Beine kommen.

 

Wie hoch ist die Lebenserwartung mit dem Virus?

 

Schmidt: Die Fachärzte sagen den Leuten in der Regel, sie müssen ihr Leben nicht umplanen und können damit rechnen, dass sie auch die Rente erreichen. HIV ist momentan zwar gut behandelbar, aber immer noch nicht heilbar. Wir haben schon einen guten medizinischen Erfolg errungen, sodass wir hoffen, dass es vielleicht in weiteren 30 Jahren den absoluten Durchbruch gibt und man das Virus vollständig aus dem Körper heraus kriegt.

 

Was genau leistet die Aidshilfe und wer kann sich an sie wenden?

 

Schmidt: Grundsätzlich kann sich jeder an uns wenden. Wir haben einen Bereich zur Information, Aufklärung und Beratung. Sowohl telefonisch anonym, als auch online und natürlich persönlich. Man kann alle Fragen stellen, die einem auf den Nägeln brennen. Wir informieren über die Krankheit, den Schutz vor der Krankheit und vermitteln gerne an Stellen, die einen Aidstest durchführen. Jeden Montagabend bieten wir selbst für 20 Euro den HIV-Schnelltest an. Außerdem beraten wir viele Leute telefonisch, die den Verdacht haben sich angesteckt haben zu können. Oft können wir die Menschen beruhigen, weil sie das Risiko überschätzen. Wir haben auch ein Beratungsangebot für Menschen, die bereits infiziert sind. Wir sind auch präventiv tätig und gehen aktiv auf die Leute in den Risikogruppen zu.

 

Was können Bürger tun, um die Arbeit der Aidshilfe zu unterstützen?

 

Schmidt: Man kann sich natürlich ehrenamtlich engagieren. Es gibt Gruppen, die die Sozialarbeiter bei der Betreuung unterstützen. Gerade an den Wochenenden, wenn die Hauptamtlichen frei haben sind wir auf Ehrenamtliche angewiesen. Auch in der Präventionsarbeit spielen ehrenamtliche Arbeiter eine Rolle. Momentan suchen wir auch Leute, die in der Öffentlichkeitsarbeit tätig sind und sich in diesem Bereich engagieren möchten. Ansonsten kann man natürlich unsere Arbeit mit Spenden unterstützen. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, kriegen zwar öffentliche Mittel von der Stadt, sind aber auch auf Spenden angewiesen. Ohne Spenden könnten wir viele Angebote nicht aufrechterhalten.

Mehr Informationen zum Thema HIV und zum Angebot der Aidshilfe bekommen Sie unter www.aidshilfe.de, unter www.aidshilfe-nuernberg.de oder unter www.welt-aids-tag.de

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Lisa Vogel
Autor: Lisa Vogel

Von Juli 2014 bis März 2018 arbeitete Lisa Vogel als Werkstudentin in der Redaktion bei apomio.de und unterstützt das Team nun als freie Autorin. Sie hat ein Studium im Fach Ressortjournalismus mit dem Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin an der Hochschule Ansbach mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen. Hier erlangte sie sowohl journalistische als auch medizinische Kenntnisse. Derzeit vertieft sie ihre medialen Kenntnisse im Master Studium Multimediale Information und Kommunikation.

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