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Dienstleistungen als Zukunft der Apotheken?

Kommentar schreiben Dienstag, 22. Oktober 2019

Arzneimittel bestellen, Patienten die Anwendung erklären, Milchpumpen ausleihen – solche Dienstleistungen gehören für Pharmazeuten längst zum Apothekenalltag. Doch bald könnten auch neue Dienstleistungen von Apotheken erbracht werden: Wie das Impfen gegen Grippe, das Bereitstellen von Wochen-Dosiersystemen oder Wechselwirkungschecks bei komplexen Polymedikationen. Denn das Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) will geplantermaßen die Rolle des Apothekers als Mittler zwischen Arzt, Pflegeheim und Krankenhaus stärken. Das Apothekenpersonal soll – zumindest dem Entwurf nach – sozusagen zum Wächter der Arzneimitteltherapiesicherheit und zum Assistenten des Arztes werden.

 

Um welche pharmazeutischen Dienstleistungen geht's?

 

Seit 17. Juli 2019 werden zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen offen diskutiert. An diesem Tag verabschiedete das Kabinett einen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebrachten Gesetzesentwurfs für ein neues Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG). Der Entwurf plant einen Honorartopf von 150 Millionen Euro für zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken.

 

Gemeint sind Aufgaben wie Medikationsanalyse bei Polymedikationen, Medikamentenrückrufe für Patienten oder Bezugsüberprüfungen bei problematischen Lieferketten. Hinzu kommen Aufgaben wie das Management eines Wochen-Dosiersystems für die Patientinnen und Patienten oder die Substitution eines Arzneimittels durch ein geeigneteres Präparat. Solche Aufgaben erfordern nicht selten langwierige und aufwendige Handlungsabläufe in der Apotheke.

Besonders der Medikamentenaustauch bei Rückrufen aus Qualitätsmängeln und die Substitution eines verschriebenen ärztlichen Präparats zeigten sich in den letzten Jahren als dringliches und flächendeckendes Problem – etwa im Falle verunreinigter Blutdruckmedikamente bei Chronikern (Valsartan-Skandal) oder im Zuge globaler Lieferengpässe (z.B. Impfstoffe oder Fiebersenker).

 

Auch für zeitintensive Betäubungsmittel-Dokumentationen räumt der für 2020 geplanten Entwurf 15 Millionen Euro Mehrausgaben für den Bund ein. Neben diesen besser honorierten Dienstleistungen plant der Entwurf neu definierte Dienstleistungen in deutschen Apotheken, etwa die Therapieunterstützung einer Pflegebedürftigkeit oder Intensivbetreuung einer Krebstherapie. Im Apotheken-Stärkungsgesetz regelt zudem Paragraph 132i § im Sozialgesetzbuch V regionale Modellvorhaben, wonach Apothekerinnen und Apotheker Grippeschutzimpfungen bei Personen über 18 Jahren durchführen können sollen.

 

ABDA: „Ein wichtiges Thema“

 

Offen bleibt bislang, ob und in welcher Höhe spezielle Apothekendienstleistungen besser honoriert werden sollen. Auf Rückfrage von apomio erklärte Dr. Ursula Sellerberg, Apothekerin und stellvertretende Pressesprecherin der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: „Die pharmazeutischen Dienstleistungen waren beim Deutschen Apothekertag Ende September 2019 ein wichtiges Thema. Sie werden derzeit innerhalb der Apothekerschaft intern diskutiert“. Auch betonte sie die Bedeutung der grundlegenden Förderung des deutschen Apothekenwesens durch die Politik und andere Akteure: „Pharmazeutische Dienstleistungen sind ein wichtiger Bestandteil des derzeit diskutierten Apothekenreformpaketes, mit dem eine hochwertige flächendeckende Arzneimittelversorgung mittel- und langfristig gesichert wird. Aber das Paket enthält natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen“, erklärte Dr. Sellerberg auf Nachfrage.

 

Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, betonte einer ABDA-Pressemitteilung vom 21. Januar zufolge, dass Medikationsanalysen von Patienten mit Mehrfachmedikation nicht honoriert würden: „Da die zeitlichen Kapazitäten der Apotheker und die finanziellen Ressourcen begrenzt sind, können wir diese Leistung nicht jedem Patienten zu Gute kommen lassen“, sagte Kiefer demnach. Entschieden werden müsse, bei welchen Patienten die Medikationsanalyse abgerechnet werden könne. Als zweites Beispiel nannte Dr. Kiefer den Arzneimittel-Austausch bei Qualitäts-Rückrufen. Im Falle des Blutdrucksenkers Valsartan im Jahr 2018 hätten Rückrufe „zu erheblichem Aufwand bei Patienten, Ärzten und Apothekern geführt“. Auch diese seien nicht honoriert worden.

 

Apothekendienstleistungen in Deutschland: Ein Rechenbeispiel

 

Hierzulande werden deutschen Apotheken noch keine Vergütungspauschalen für spezielle pharmazeutische Leistungen gewährt, sondern in Form eines Festzuschlags von 3 Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis zuzüglich 8,35 Euro abzüglich eines Apothekenabschlags von derzeit 1,77 Euro pro verschreibungspflichtigem Medikament gewährt.

 

Ein kurzes Rechenbeispiel: Bei einem abgegebenen Arzneimittel von 15 Euro Apothekeneinkaufspreis dürfen somit 45 Cent im Sinne eines Abschlags von 3 Prozent zuzüglich einer Pauschale von 8,35 Euro pro verschreibungspflichtiger Packung von deutschen Apotheken berechnet werden. Das wären in Falle des 15 Euro kostenden Arzneimittels (EK) zunächst 8,80 Euro, von denen der an Krankenkasse gewährte Apothekenabschlag von 1,77 Euro abgezogen werden muss. In der Folge kann die Apotheke für die Anwendungsberatung des klein- bis mittelpreisigen Arzneimittels und dessen Wechselwirkungscheck samt weiterer Informationen gerade einmal 7,03 Euro Einnahmen veranschlagen. Der Umsatz in deutschen Apotheken errechnet sich zu 80 Prozent aus rezeptpflichtigen Arzneimitteln.

 

Festzuschlag in Deutschland misst kurz auf knapp

 

Die ABDA weist in einem Faktenblatt mit Stand Juli 2019 darauf hin, dass deutsche Apotheken aus dem Festzuschlag Gemeinwohlpflichten (wie die erweiterten Öffnungszeiten von Apotheken) und andere Leistungen gegenfinanzieren müssen. Neben obligatorischer, kostspieliger Gemeinwohlpflichten von Apotheken fehle es der Spitzenorganisation deutscher Apotheker zufolge außerdem an einer gesetzlich regulierten Prüfmethodik, ob der Festzuschlag finanziell noch angemessen sei.

 

So schreibt die ABDA über die Angemessenheit des Festzuschlags angesichts der Inflationsrate der vergangenen 15 Jahre: „Vergleicht man wirtschaftliche Rechengrößen des Jahres 2004 (100 %) bei 8,10 € Festzuschlag mit denen von 2019 (vorläufig) bei 8,35 € Festzuschlag und 0,16 € Notdienstzuschlag, ergibt sich folgendes Bild: GKV-Einnahmen: 173,5 %; Bruttoinlandsprodukt: 153,7 %; Tariflöhne in Apotheken 132,7 %; Inflationsrate 124,1 %; aber Apothekenvergütung nur 115,3 %.“ Nicht zuletzt lassen sich Apothekenleistungen schlecht mit einer packungsmäßigen Nenngröße ablichten und vergüten, erklärt die ABDA im publizierten Faktenblatt: „Neue Leistungen, z.B. für systematisches Medikationsmanagement, lassen sich allein mit dem packungsbezogenen Honorar nicht abbilden“, so die Begründung.

 

Konkrete Vergütungspauschalen: Nach Schweizer Maß längst überfällig

 

Aktuell sieht die Honorierung von Apothekenleistungen in Deutschland prekärer aus, als es im Vergleich zu anderen Ländern Europas sein müsste. In einem kürzlichen Gastbeitrag der Schweizer Bloggerin und Apothekerin „Pharmama“ in der DAZ.online sprach diese über Zusatzhonorierung von Apothekenleistungen in der Schweiz. Die bekannte Bloggerin sagte dort über die Situation der Apotheken in der Schweiz „Es wird zunehmend schwerer bis unmöglich nur von der Abgabe der Medikamente auf Rezept zu leben.“ Deswegen sei ihr zufolge in der Schweiz im Jahr 2004 ein System zur Vergütung eingerichtet worden, dass pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken wie das Erstellen eines Medikations-Checks mit 4,32 CHF oder eines Wochen-Dosiersystems mit 21,60 CHF verrechnen lässt.

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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