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Apotheken-Stärkungsgesetz ab Januar 2021: Viel Hoffnung und ein bisschen Wehmut

Kommentar schreiben Dienstag, 24. November 2020

Nach monatelangem Hoffen und Bangen hat der Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) beschlossen. Es tritt mit Wirkung zum 01.01.2021 in Kraft. Der Bundesrat muss vorab zwar noch grünes Licht geben, gleichwohl gilt das Gesetz als „abgesegnet“. Das Wichtigste vorab: Das RX-Versandverbot ist mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken endgültig vom Tisch. Dafür verbietet das neue Gesetz RX-Boni in Deutschland für in- und ausländische Kassenrezepte. Der Botendienst erhält 2,50 pro Lieferort und neue pharmazeutische Dienstleistungen dürfen abgerechnet werden. Restlos gestrichen wurde das RX-Versandverbot. In anderen Gesetzen geregelt wurden das eRezept-Makelverbot, die Grippeimpfung in Apotheken und das Wiederholungsrezept.

 

Jens Spahn freute sich mit folgenden Worten mit und für die Apotheken über den Gesetzesbeschluss im Bundestag: „Die Apotheken vor Ort sind eine wichtige Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten. Darum erhalten Apothekerinnen und Apotheker künftig mehr Geld für neue Dienstleistungen. Und wir sorgen für einen fairen Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken.“1

 

Inhaltsverzeichnis

 

Wichtigste VOASG-Änderung: Fixe Preisbindung für RX-Arzneimittel

 

Für Vor-Ort-Apotheken ist dieses Gesetz ein wichtiger Meilenstein zur Stabilisierung ihrer wirtschaftlichen Situation in den kommenden Jahren. Denn das Gesetz transferiert im Wesentlichen die Preisbindung für RX-Arzneimittel ins Sozialgesetzbuch V. Damit sind rezeptgebundene Arzneimittelpreise nicht mehr Sache des europäischen Binnenmarktes, sondern alleinige Hoheit der Sozialgesetze der Bundesrepublik Deutschland. In § 129 Abs. 3 SGB V verpflichtet es Apotheken „zur Einhaltung der in der nach § 78 des Arzneimittelgesetzes erlassenen Rechtsordnung festgesetzten Preisspannen und Preise“ für RX-Arzneimittel.2

 

Keine Zuwendungen, Boni, Rabatte auf RX-Arzneimittel

 

Außerdem hält der Paragraph fest, dass Apotheken Versicherten keine Zuwendungen gewähren dürfen. Verstöße ahndet der Rahmenvertrag zu Arzneimittelpreisen mit 50.000 bis 250.000 Euro Vertragsstrafen.3 Das Gesetz wird durch eine Änderung im Heilmittelwerbegesetz gestützt. Danach verstoßen Zuwendungen entgegen der vorgegebenen Arzneimittelpreise bei Rezepten für gesetzlich Krankenversicherte künftig sowohl gegen das SGB V als auch gegen das Zugabeverbot im Heilmittelwerbegesetz. Das eRezept-Makelverbot, das per Patientendatenschutzgesetz (PDSG) verankert wurde, ahndet Verstöße strafrechtlich und baut so eine wirksame Bremse gegen Rezeptzuweisungen ein.

 

2,50€ Botendienst-Zuschuss und 150 Millionen Euro für pharmazeutische Dienstleistungen

 

Zudem gewährt das Gesetz den Vor-Ort-Apotheken einen Zuschuss von 2,50 Euro je „Lieferort und Tag“ für die Abgabe von RX-Arzneimitteln via Botendienst, zuzüglich der Umsatzsteuer.4 Die Begründung liest sich ironischerweise ähnlich der von Versandapotheken: Der Botendienst sei notwendig, so heißt es im VOASG, „um insbesondere in Regionen mit geringerer Apothekendichte eine Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sicherzustellen“,5 zudem trage der Botendienst zur Minimierung von Apothekenbesuchen einer zunehmend älteren Bevölkerung bei.

 

Eine weitere finanzielle Unterstützung erfahren Apotheken durch das VOASG, indem der Bund jährlich 150 Millionen Euro netto für zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen gewährt.6 Die einzelnen Dienstleistung müssen noch von DAV und GKV-Spitzenverband ausgehandelt werden. Das BMG befürwortet beispielsweise, dass die Intensivbetreuung von Krebspatienten aus dem Fördertopf entlohnt werden.7

 

Kritik der EU-Versender: Arzneimittelpreisbindung für GKV-Patienten ungleich

 

Der Sieg der Einen bedeutet in einem Gemeinwesen zuweilen einen herben Verlust der Anderen.  Die Änderungen greifen ausschließlich für Patienten, die bei einer Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) angemeldet sind. Für Versicherte bei Privaten Krankenversicherungen (PKV) sind die Änderungen nicht relevant, für sie dürfen EU-ausländische Versandapotheken weiterhin Rabatte für Privatrezepte vergeben.

 

Olaf Heinrich, Präsident des Verbands der Europäischen Versandapotheken (EAMSP) und CEO von Doc Morris, hält eine solche Benachteiligung der Gesetzlich Versicherten gegenüber den Privatversicherten für „europarechtswidrig“.8 Das Gesetz verstoße gegen die Warenverkehrsfreiheit in Europa und benachteilige EU-ausländischen Versandapotheken und GKV-Patienten, hieß es in einer Pressemitteilung des EAMSP Ende Oktober.

 

„Das Gesetz treibt die Arzneimittelausgaben der gesetzlich versicherten Patienten direkt in die Höhe“, sagte Olaf Heinrich dort. EU-Versandapotheken würden seit Jahren trotz der Boni nur 1 Prozent Marktanteil für sich beanspruchen. Auch können „aufgrund des geringeren Wettbewerbs die Preise für apothekenpflichtige Medikamente wie beispielsweise Aspirin um bis zu 26% steigen“, führte Olaf Heinrich weiter aus. Die europäischen Versandapotheken wollen sich weiterhin für RX-Boni einsetzen, notfalls auch auf dem Rechtsweg.9

 

EAMSP sieht sich beim Botendienst-Zuschlag benachteiligt

 

Auch die Botendienstvergütung im VOASG stieß auf wenig Freude bei EU-Versendern. Es müsse eine Grenze zum Versandhandel gezogen werden und zwar dort, wo der Botendienst zu einem Versandhandel ohne Erlaubnis würde und strenge Auflagen des Arzneimittelversands umginge.10 Ein zweites Argument ist die finanzielle Benachteiligung der Patienten von Versandhandelsapotheken: „Es ist aus Sicht des Patienten nicht nachvollziehbar, warum er für die Zustellung per Botendienst selbst bei kleinen Bestellungen nichts bezahlen muss, für eine Lieferung des Versandhandels hingegen schon.“11

 

Der EAMSP will sich daher künftig für einen Zuschlag zu den Arzneimittellieferkosten der Versandapotheken einsetzen. Außerdem wehrt sich der Versandhandel gegen die Formulierung im VOASG, dass Versandapotheken künftig eine Temperaturkontrolle laut § 21 ApoG und §17 ApBetrO mitführen müssen.12 Diese Bestimmung gelte bereits heute und wurde in den im EAMSP organisierten Versandapotheken seit Jahren bereits umgesetzt.13

 

ABDA: „Es ist schade, dass die Arzneimittelverordnung nicht wieder hundertprozentig in Kraft tritt“

 

Prinzipiell begrüßt die ABDA das vom Parlament verabschiedete Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz. Es bietet eine optimistischere Perspektive in die Zukunft. Im Gespräch mit apomio verdeutlichte Christian Splett, stellvertretender Pressesprecher der ABDA, warum das Gesetz dennoch etwas bitter schmecke: „Aus unserer Sicht ist es schade, dass sich die Arzneimittelpreisverordnung nicht wieder hundertprozentig in Kraft setzen lässt. Da die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel künftig über das Sozialgesetzbuch V nur für gesetzlich nicht für privat Versicherte durchgesetzt wird, könnten ausländische Versandhändler den rund zehn Prozent Privatpatienten weiterhin Rabatte gewähren“, erklärte Splett zu den nach wie vor legalen RX-Boni für Privatrezepte.14 Die ABDA habe allerdings zur Kenntnis genommen, dass sich auch die privaten Krankenversicherungen für die Gleichpreisigkeit ausgesprochen haben. „Wir respektieren natürlich den durch das Gesetz ausgedrückten Willen des Bundestages“, sagte Splett im apomio-Interview.15

 

Stellvertretender ABDA-Pressesprecher Christian Splett wundert sich über Argumente der Versender

 

Das Argument der europäischen Versandapotheken, das RX-Boniverbot im Apotheken-Stärkungsgesetz würde die Arzneimittelausgaben der gesetzlich versicherten Patienten direkt in die Höhe treiben, entwaffnet der stellvertretende Pressesprecher der ABDA mit den Worten: „Nach dem Sachleistungsprinzip in Deutschland bezahlen grundsätzlich die gesetzlichen Krankenversicherungen die Rechnung ihrer Patienten. Dass einzelne Patienten mit der eingesparten Zuzahlung dann solche Rezept-Rabatte für freiverkäufliche Medikamente einsetzen, ist prinzipiell schon paradox“, verdeutlichte Christian Splett die Sicht der ABDA auf RX-Boni.16

 

Das System in Deutschland begünstige schließlich bereits ärmere, chronisch Erkrankte in Form einer Zuzahlungsbefreiung. „Hinsichtlich der Privatpatienten könnte der Wechsel von einem teuren Arzneimittel zu einem günstigeren Generikum schon eine bedeutende Ersparnis bringen, anstelle der fragwürdigen Verrechnung von Rezept-Boni“, gibt Christian Splett zu bedenken.17

 

Kommt das VOASG als europarechtswidrig vor den EU-GH?

 

Momentan ist diese Option eher zweifelhaft. Dafür hat sich die wirtschaftliche Situation durch die baldige Einführung des E-Rezepts zu sehr verändert. Doc Morris hat bereits im Februar 2020 in einem Handelsblatt-Interview angekündigt, gänzlich auf Boni für E-Rezepte zu verzichten, wenn sich deutsche Vor-Ort-Apotheken mit Doc Morris auf eine gemeinsame Plattform einlassen.18 Auch wenn es nun mit RX-Boni auf Kassenrezepte per Definitionem vorbei ist, zeigt sich am Wunsch des großen Players Doc Morris nach einer gemeinsamen Apothekenplattform eins: Versandapotheken würden wahrscheinlich von der lokalen Infrastruktur und Kundenbindung lokaler Apotheken immens profitieren.

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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