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Amazon und PillPack: Nicht alles, was neu ist, ist böse – oder doch?

Kommentar schreiben Mittwoch, 15. August 2018

 

Wo lukrative Märkte sind, ist Amazon nicht weit - und allein der deutsche Medikamentenmarkt ist rund 40 Milliarden Euro schwer. In den USA gibt es bereits einen Prototyp für rezeptpflichtigen Versand via Amazon. Wenn die Regulierungen hierzulande nicht so streng wären, wäre Amazon wohl auch im deutschen Medikamentenmarkt präsent - so die Bewertung eines Sprecher des BVDVA. Seit Mai 2017 kooperiert Amazon bereits mit einer Apotheke, die auf der Amazon-Plattform OTC-Arzneimittel und apothekenübliche Kosmetika anbietet. Prime-Now-Mitglieder werden binnen Stunden von der Bienen-Apothekenkette in München beliefert. Und auch Alibaba und JD.com, die Online-Versandriesen aus China, schielen nach Europa – ab diesem Jahr wollen sie besonders in Deutschland aktiv werden. Für inländische Apotheken heißt es nun, sich rasch anzupassen.

 

 

Warum florieren Geschäftsmodelle wie Amazon, JD.com und DocMorris mehr denn je? Die Lösung liegt auf der Hand: der Konsument von heute möchte Zeit, Geld und Nerven sparen. Mit Amazon und ähnlichen E-Commercemodellen ist er nur einen „Klick“ von einem zeitaufwendigen Prozedere befreit und erhält zusätzlich die Sparmentalität bedienende Rabatte. Noch scheitert Amazon beim Rezeptversand am europäischen E-Rezept und gesetzlichen Regularien der EU-Länder. Zur Zeit gilt es, den E-Commerce und den Arzneimittelversand in den deutschen Apothekenmarkt zu integrieren – und gleichzeitig nationalen und europäischen Arzneimittelmarkt durch Gesetzesnovellen noch stärker vor einer Bedrohung durch „Online Pure Player“ wie Amazon zu schützen.

 

Der Arzneimittelmarkt und Amazon in den USA

 

Seit längerem wird über einen möglichen Einstieg von Amazon in den deutschen Arzneimittel-Versand spekuliert. Seit dem Kauf von Pill Pack, einem lizenzierten RX-Arzneimittelversender, verloren US-Apotheken immense Umsätze. Pill Pack spezialisierte sich auf die Verblisterung für Chroniker; ein einträgliches Geschäft, das sich durch hohe Kundenbindung und logistische Einsparungen auszeichnet.

 

Daher rüttelt der Kauf von Pill Pack den Apothekenmarkt sowohl in den USA als auch in Deutschland auf.

Der Chef von Amazon, Jeff Bezos, steht in den USA weniger Marktregularien und Digitalisierungsgrenzen gegenüber als in Deutschland. Das e-Prescribing und die größere Auswahl frei verfügbarer Arzneistoffe erleichtert Versandapotheken in Europa und Onlinehändlern wie Amazon prinzipiell den Einstieg in den E-Commerce mit Arzneimitteln. Beispielsweise wird in den USA ein Großteil der rezeptpflichtigen Arzneimittel per E-Rezept verordnet; in machen Bundesstaaten ist dies sogar Pflicht. Das erleichtert den Schritt Richtung Digitalisierung, da das Rezepte an die Apotheke übermittelt wird. Der Patient spart Weg und Wartezeit in Apotheken und erhält bei Bedarf Medikamente unkompliziert nach Hause geliefert.

 

Gerade für Patienten mit einer Dauermedikation ist dies eine große Zeitersparnis. Auch können US-Bürger ebenso wie Deutsche selbst bestimmen, welche Apotheke sie mit dem rezeptpflichtigen Medikament beliefert. Ein weiterer Marktvorteil für Amazon in den USA stellen gelockerte Arzneimittelgesetze dar. Nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel wie Aspirin, Ibuprofen und Paracetamol dürfen im Land von Jeff Bezos und Bill Gates in Supermärkten und Drogerien verkauft werden.

 

Die Gefahr durch Amazon, Alibaba & Co

Die Macht Amazons auf den deutschen E-Commerce-Markt ist erdrückend: im E-Commerce beträge der Gesamtumsatz Amazons rund 40 Prozent und davon seien die Hälfte schätzungsweise Marktplatz-Umsätze. Das verheißt keine guten Aussichten, falls Amazon einmal die Lizenz zum Arzneimittelverkauf erhielte.

 

Doch der deutsche Markt ist glücklicherweise strenger reguliert als in den USA. Aktuell regelt das Fremdbesitzverbot im Apothekengesetz (ApoG), dass nur approbierte Pharmazeuten als Kapitalgeber in Apotheken und Versandapotheken investieren dürfen. Dies schließt Dritthändler vom Verkauf apothekenpflichtiger und rezeptpflichtiger Ware aus: Drogerien, Einzelhändler, Amazon oder Kapitalgesellschaften besitzen keine Approbation zum Apotheker und sind somit als Händler ausgeschlossen. Ziel des Fremdbesitzverbots ist der generelle Verbraucherschutz für Inländer – so auch ein Urteil des EuGH im Jahr 2009.

 

Bisher bietet Amazon in Deutschland lediglich seinen Marktplatz für den Arzneimittelversand an – hinter dem Marktshop „Apohealth – Gesundheit aus der Apotheke“ steht beispielsweise der Inhaber der Bienen-Apotheke in München, Michael Grintz. Er verkauft über den Kanal OTC-Arzneimittel und apothekenübliche Kosmetik. Laut Marketplacerating.com gehört der Anbieter bei Amazon Deutschland inzwischen zu den erfolgreichsten 10.000: „Letzten Monat zeigten Datenanalysen, dass apohealth - Gesundheit aus der Apotheke an Stelle 5.894 steht.“ Doch auch andere Präsenzapotheken wie die Bodfeld Apotheke in Elbingerode vertreiben ihre Ware über Amazon. Daneben verfügen auch zahlreiche Versandapotheken über einen Marktplatz beim E-Commerce-Giganten, etwa die Versender Aponeo, Apo-Rot oder Apotalis.

 

Hier können sich die Apotheken des engmaschigen Logistiknetzes des Versandgiganten bedienen. Prime-Mitglieder werden teilweise binnen 1 Stunde mit dem gewünschten Medikament beliefert.

 

Inzwischen steht der Verkauf per Amazon allerdings auf wackeligen Beinen. Die Form des Verkaufs als „Marktplatz“ war bis zur Verschärfung der europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) noch legal. Nach Inkrafttreten der EU-DSGVO Ende Mai 2018 ist jedoch die Rechtsgrundlage für einen Arzneimittelvertrieb wie den der Bienen-Apotheke über einen Amazon-Marktplatz zu klären.

 

Erster Angriff Amazons auf deutsche Apotheken

 

Amazon und ausländische Versandapotheken scheinen stark daran interessiert, in den deutschen Apothekermarkt zu investieren. Die Online-Umsätze zeigen sich hier steigend. Ein Blick in die Statistik macht deutlich, dass der OTC-Versandhandel im Jahr 2017 mit über 17 Prozent (842 Millionen Euro Umsatz) am OTC-Gesamtumsatz in Deutschland fest etabliert ist. Der Anteil der Online-Käufe stieg mit 8 Prozent im Versandhandel rasant (IQVIA Marktbericht, 2017). 31 Millionen Kunden, das sind 55 Prozent aller Internetnutzer, bestellten 2016 ihre Arzneimittel in Versandapotheken.

 

Auch das EU-Ausland schläft nicht

Gemäß ABDA-Informationen versuchen derzeit große ausländische Versender ihren Marktanteil durch Marketing-Aktivitäten, Zukäufe von Mitbewerbern und Dienstleistern in Deutschland zu erhöhen und sich durch Börsenkapital zu stärken. Etwa DocMorris machte im Apothekenmarkt durch Marketing-Aktivitäten wie einer TV-Kampagne Ende 2016 von sich reden. Es folgten massive Rabattaktionen für verschreibungspflichtige Arzneimittel seitens Doc Morris und der Europa Apotheek. Neukundenbonus, Newsletterdankeschön und entlohnte Freundschaftswerbung dienen als Lockmittel für die Kunden. Gegenüber der DAZ.online äußerte sich DocMorris zu seinen Empfehlungskonzepten: „Wir haben klinisch relevante Informationen von mehr als einer Million chronisch Kranker erfasst und können diese datenbankgestützt intelligent abrufen. So ist es uns möglich für jeden Patienten ganz individuelle Empfehlungen abzuleiten.“

 

Strategien zur Marktverteidigung

Norbert Paland vom BMG (Bundesministerium für Gesundheit) geht davon aus, dass das e-Rezept in Deutschland ab 2019 sukzessive eingeführt wird. Damit würde auch Deutschland den Anschluss an die fortschreitende Digitalisierung und den wachsenden E-Commerce nicht verlieren. Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) sieht durch ein E-Rezept große Chancen für den deutschen Arzneimittelmarkt: „Das E-Rezept wird Bewegung in den Markt bringen, weil es die Bestellung bei einer Versandapotheke deutlich vereinfacht. Der Patient kann sich so direkt beim Arzt entscheiden, ob er das Rezept direkt ausgehändigt haben möchte oder ob es an die Apotheke seiner Wahl übermittelt wird – rein stationär oder online.“

 

Dabei sieht der Verband eine Einführung des E-Rezept als Vorteil gegenüber Wettbewerbern wie Amazon: „Es ist höchste Zeit, dass wir eine zukunftsfähige und nachhaltige Lösung für den deutschen Arzneimittelmarkt bekommen. Eine weitere EUGH-Entscheidung könnte dazu führen, dass internationale Player direkten Zugang bekommen und dann wird das System, wie wir es bisher kennen, nicht mehr existieren.“

 

Dass ein E-Rezept besonders der Versorgung von schwach besiedelten Gebieten in Deutschland dienen könnte, belegen akutelle E-Umsatzzahlen. Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V. (bevh) betonte Anfang des Jahres ebenfalls die Bedeutung des E-Handels für kleine Kommunen:Fast 60 Prozent des E-Commerce-Umsatzes resultiert aus Bestellungen in Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern. Dort ist der Umsatz im Jahr 2017 überproportional um 17,1 Prozent gewachsen.“ Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des bevh, folgert daraus: „Das Internet ist für die Bevölkerung in strukturschwachen Räumen der Garant dafür geworden, überall gleichwertige Lebensverhältnisse realisieren zu können.“

 

Auch dämpfen die jüngsten Zahlen des bevh die Gefahr durch Online-Pureplayer wie Amazon und Alibaba. So fokussiert der Bericht: „Besonders erfolgreich waren die Multichannel-Händler. 2017 legten Unternehmen, die über mehrere Vertriebskanäle verfügen, im Online- und Versandhandel um 21 Prozent auf 20,1 Mrd. Euro zu und setzten so fast 3,5 Mrd. Euro mehr um als im Jahr 2016. Daran hatten Anbieter mit Herkunft aus dem stationären Einzelhandel den größten Anteil.“ Entsprechend kommt es für die Zukunft der Apotheken darauf an, zu „Multichannel-Händlern“ zu werden und das wachsende Potential gemeinsam gegen Amazon & Co auszuschöpfen.

 

Der Kampf wird virtuell: Versandapotheken versus Präsenzapotheken

Dieses Modell greifen einige Apotheker bereits auf. So gründete der Apotheker Ralf König vor knapp 1 Jahr die unabhängige Onlineplattform „Curacado“. Zusammen können sich Apotheken ihmzufolge gegen Amazon, DocMorris & Co behaupten:  „Gemeinsam schnappen wir jetzt zu!“, lautet entsprechend der Slogan. Der Dienst verknüpft einen bundesweiten Onlineshop mit regionalen Botendiensten – der Kunde hat die Möglichkeit sich regionale Ware nach Hause, ins Büro oder in die Apotheke seiner Wahl zu liefern. Für knapp 290€ Anschlussgebühr und dann 149€ monatlich erhält die Apotheke einen virtuellen Shop-in-Shop, der an das Amazon-Shoptemplate erinnert und mit Kundenbindung abrundet. Das Ziel dahinter: regionale Apotheken sollen durch den Online-Servicegedanken einen Teil der 55 Prozent Kunden zurückgewinnen, die über Internet bestellen. Auch würde dies vor gegenseitigem Preisdumping schützen. Das Modell dahinter heißt: „Multichannel-Marketing“ - eben das Geschäftsmodell, dass sich laut bevh 2017 äußerst erfolgreich zeigte.

Ebenfalls auf dieses Zugpferd springt die Onlineplattformen Aponow.de auf. Sie ist unter Präsenzapotheken allerdings umstritten. Das Prinzip funktioniert über unverbindliche Kaufanfragen des Kunden an eine lokale Apotheke, die binnen 2 Stunden verfällt. Das Unternehmen bietet einen eigenen Botendienst an, sodass teilnehmende Apotheken diesen nicht selbst stellen müssen. Auch diese kooperiert mit den stationären Präsenzapotheken, welche den Botendienst für ihre Kunden anbieten. Hier findet sich ein Click-und-Collect-Warenkorb und ebenfalls eine an Amazon erinnernde Lieferoption – für 8,99€ wird innerhalb 1 Stunde oder wahlweise für 4,99€ innerhalb von 4 Stunden geliefert. Ohne Aufpreis soll der Kunde die Arzneimittel noch „same day“ oder auf Wunsch auch „next day“ erhalten. Die Plattform kooperiert mit dem Partner Vitabook, der auch die Bestellung von Folgerezepten übernimmt. Die Onlineplattformen Ordermed.net und Vitabook.de gehen für RX-Arzneimittel sogar einen Schritt weiter: sie organisieren den Arzneimittel-Logistikprozess für den Patienten. Während Vitabook.de die Termin- und Rezeptanforderung beim Arzt übernimmt, geht Ordermed.net noch einen Logistikschritt weiter. Die Plattform übernimmt den gesamten Prozess: Von der Folgerezept-Bestellung über die Rezeptabholung durch Boten bis zur Arzneilieferung nach Hause.

Auch die Linda AG bietet ihren rund 1.100 bundesweiten Präsenzapotheken über eine App die Möglichkeit, an einer Art Click & Collect-System teilzunehmen. Auch diese Apothekenkunden können Produkte über eine App ordern und erhalten sie durch den Botendienst der teilnehmenden Apotheken innerhalb eines Tages geliefert.

Manche dieser virtuellen Präsenzapothekenshops beschenken den Kunden je Lieferung zusätzlich mit der Apotheken-Umschau oder andere Goodies wie Taschentüchern. Einige Portale wie etwa Ordermed.net sichern den teilnehmenden Apotheken einen regionalen Gebietsschutz zu – womit jedoch der „Gemeinsam sind wir stark“-Gedanke wegfällt.

Präsenzapotheken können hier prinzipiell Synergien finden: mit der sofortigen Verfügbarkeit von Medikamenten und der Beratung vor Ort punkten sie gegen die großen Online-Pure-Player. Internetapotheken holen den Kunden hingegen mit „ihren“ Wettbewerbsvorteilen erfolgreich ab: Vereinheitlichte Shop-Templates, Vorbestellfunktionen und Verfügbarkeitsauskünfte sind nur einige davon.

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Maria Köpf
Autor: Maria Köpf

Frau Maria Köpf ist seit 2018 als freie Autorin für apomio tätig. Sie ist ausgebildete Pharmazeutisch-technische Assistentin und absolvierte ein Germanistik- und Judaistik-Studium an der FU Berlin. Inzwischen arbeitet Maria Köpf seit mehreren Jahren als freie Journalistin in den Bereichen Gesundheit, Medizin, Naturheilkunde und Ernährung. Mehr von ihr zu lesen: www.mariakoepf.com.

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