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Mit sanftem Druck zur Heilung: Akupressur

Kommentar schreiben Aktualisiert am 30. November 2019

Erinnern Sie sich noch daran, als Sie das letzte Mal Kopfschmerzen oder Nackenverspannungen hatten? Wahrscheinlich haben Sie, ohne groß darüber nachzudenken, sanft Ihre Schläfen mit den Fingerspitzen massiert, oder die schmerzende Stelle im Nackenbereich ein wenig gedrückt. So haben Sie intuitiv eine der ältesten Heilmethoden der Welt angewandt: die Akupressur. Der Begriff „Akupressur“ heißt, wörtlich übersetzt „Drücken mit einer Nadel“ (lateinisch acus = Nadel, premere = drücken). Klar macht schon der Begriff, dass die Akupressur eng mit der Akupunktur verwandt ist: Während die Akupunktur mit Nadeln arbeitet, die an ganz bestimmte Stellen des Körpers gesetzt werden, bearbeitet die Akupressur dieselben Stellen, jedoch ohne Nadeln.

Heilbehandlung aus Fernost

Akupressur ist ein Heilverfahren, das zur Vorbeugung von Erkrankungen und Funktionsstörungen ebenso geeignet ist wie zur (unterstützenden) Behandlung. Dabei übt der Behandelnde mit den Händen, den Ellbogen, dem Knie, Fuß oder auch mittels technischer Hilfsmittel Druck auf genau definierte Stellen am Körper des Patienten aus. Dadurch sollen bestimmte Energiepunkte des Körpers aktiviert und Blockaden gelöst werden, sodass die Energie wieder ungehindert durch die Energiebahnen des Körpers, die sogenannten Meridiane, strömen kann. Die Akupressur ist besonders in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und der japanischen Medizin verbreitet und wird in der fernöstlichen Heilkunst schon seit mehreren tausend Jahren angewendet. Bei uns unterscheidet man im Wesentlichen die drei verschiedenen Akupressur-Richtungen Jin Shin Do (Druckbehandlung), Shiatsu (Massage) und die Akupunkt-Massage nach Penzel (Massage mit Ausstreichen). Eine Akupressur-Behandlung kann bei sehr vielen unterschiedlichen Krankheiten und Beschwerden hilfreich sein – und das nicht nur bei körperlichen, sondern auch bei psychischen Problemen. Die Haupt-Anwendungsgebiete sind leichtere Schmerzen, Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen, zum Beispiel Kopf- und Zahnschmerzen, Nacken- und Schulterschmerzen, Verspannungen, Krämpfe, Erkältungen, Konzentrationsstörungen, Nervosität, Schlafprobleme, innere Unruhe, Stress, leichtere depressive Verstimmungen, Übelkeit, Zyklus- und Verdauungsstörungen. Auch Bluthochdruck-, Asthma- und Arthritispatienten berichten von positiven Erfahrungen mit der Akupressur. Zugleich ist diese Behandlungsmethode auch zur Stärkung des Immunsystems und zur Krankheitsvorbeugung gut geeignet.

Die Philosophie und die Grundlagen der Akupressur

Der ungehinderte Fluss der Lebensenergie Qi (ausgesprochen „Tschi“) ist nach Überzeugung der Traditionellen Chinesischen Medizin die Grundlage für einen gesunden Körper und Geist. „Qi“ kann dabei für Materie wie (Atem-)Luft, Energie, Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Geruch stehen, letztlich ist es ein Begriff für die Lebenskraft an sich, die unseren Körper durch ein System von Energiekanälen, die „Meridiane“ genannt werden, durchströmt. Zugleich ordnet die TCM allen Organen und Körperfunktionen fünf Basisenergien zu, je nachdem, welche energetische Beschaffenheit der Körper des Patienten hat: Wind, Wärme, Feuchtigkeit, Trockenheit und Kälte. Auch diese Basisenergien durchfließen unseren Körper durch die Meridiane. Die TCM kennt 12 Hauptmeridiane, jedem davon ist ein Organ oder eine Organgruppe zugeordnet. So gibt es z.B. den Dickdarm- und den Dünndarmmeridian, den Milzmeridian, den Lungen-, Herz-, Magen- und Blasenmeridian, den Nieren-, Leber- und Gallenblasenmeridian sowie den Perikard-Meridian, der dem vegetativen Nervensystem zugeordnet ist, und den 3-facher-Erwärmer-Meridian, dem man sich vor allem bei Schmerzen zuwendet. Auf jedem dieser Meridiane befinden sich sehr viele Reizpunkte, durch die die Energien in den Körper hinein- und aus ihm herausströmen. Einige wenige dieser Punkte, die besonders wirksam sind, werden gezielt als Akupressur-Punkte genutzt.

Wenn die Lebensenergie ins Stocken gerät

Die TCM geht davon aus, dass sich das Qi bei einem gesunden Menschen im ungestörten Fluss durch den gesamten Körper bewegt, da die Meridiane miteinander vernetzt sind. Eine ungesunde Lebensweise und psychischer Stress können Energiekanäle blockieren und das Qi somit ins Stocken bringen. Das Organ, das mit dem blockierten Meridian verbunden ist, ist damit in seiner Funktion beeinträchtigt, somit können Krankheiten, Schmerzen und Funktionsstörungen entstehen. Um diese zu lindern oder zu beheben, werden bestimmte Reizpunkte mittels Akupressur angeregt, die auf dem betreffenden blockierten Meridian liegen. Durch die gezielte Aktivierung der Energien am Akupressur-Punkt kann sich die Blockade im Meridian lösen und das Qi seinen gesunden Fluss wieder aufnehmen. Damit wird das Energieniveau im Körper ausbalanciert, die Selbstheilungskräfte werden aktiviert und Körper und Geist kommen wieder in Einklang.

Nicht bewiesen, doch seit Jahrtausenden angewandt

Mit naturwissenschaftlichen Methoden konnte bisher weder die Existenz der Meridiane noch die Wirksamkeit der Akupressur eindeutig bewiesen werden. Dem gegenüber steht jedoch das anerkannte, Jahrtausende alte Wissen fernöstlicher Heilkunst, ebenso wie viele Tausend Patienten, die nach einer Akupressur-Behandlung (oder auch einer Therapie mit der eng verwandten Akupunktur) über eine deutliche Verbesserung ihres Gesundheitszustandes berichteten. Trotz dieser fehlenden wissenschaftlichen Belege übernehmen viele private und auch einige gesetzliche Krankenkassen die Kosten für eine Akupressur-Behandlung. Zugleich wird Akupressur häufig als Begleitung zu einer schulmedizinischen Therapie empfohlen. Eine professionelle Behandlung bekommt man bei speziell geschulten Masseuren, Physiotherapeuten, Heilpraktikern und häufig auch bei Ärzten, die zusätzlich oder schwerpunktmäßig in Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) ausgebildet sind. Die Akupressur können auch Laien in Selbstbehandlung gefahrlos anwenden, indem sie schmerzende Punkte auf Muskeln oder Sehnen einige Sekunden lang mit den Fingerkuppen drücken oder leicht massieren. Allerdings sollte man sich zuvor zumindest mit den wesentlichen Hintergründen, Methoden und Regeln dieser Behandlung beschäftigt haben und auch die wirksamsten Akupressur-Punkte am Körper gut genug kennen. Zu beachten ist außerdem, dass die Akupressur in Selbstbehandlung keinesfalls eine fachliche therapeutische Anwendung ersetzen, sondern allenfalls als einfaches Hausmittel nützlich sein kann.

Wie genau läuft eine Akupressur-Behandlung ab?

Nach einem Erstgespräch und einer genauen Diagnostik wird der Behandler für ca. 30 Sekunden bis maximal zwei Minuten Druck auf ausgewählte Akupressur-Punkte ausüben, um die Energieblockade in den Meridianen zu beheben. Eventuell wird die betreffende Stelle auch sanft massiert, beklopft, gerieben, geknetet oder hin und her geschoben. Ein kräftiger Druck wirkt dabei beruhigend, eine sanfte Stimulation hingegen anregend. Die Behandlung sollte keinesfalls unangenehm sein oder Schmerzen verursachen, ein sogenannter „Wohlfühlschmerz“ oder ein intensives Wärmegefühl sind aber durchaus erwünscht und zeigen an, dass die Behandlung anschlägt. Mit Ausnahme der Punkte auf der Symmetrieachse des Körpers werden alle Druckpunkte immer auf beiden Körperseiten massiert. Es können bis zu viermal täglich jeweils drei bis vier Punkte nacheinander behandelt werden.

Intuition, Konzentration und Ruhe

Gut ausgebildete und erfahrene Akupressur-Therapeuten arbeiten während der Behandlung hochkonzentriert; mit Spürsinn und Fingerspitzengefühl gehen sie ihrer Intuition nach, um die jeweils wirksamsten Druckpunkte auf den entsprechenden Meridianen aufzuspüren. Interessierte Laien können Akupressur durchaus so weit erlernen, dass ihnen eine effektive Selbstbehandlung oder Behandlung anderer möglich ist. Der Behandler selbst kann seinem Patienten viel erklären und zeigen, wie es geht. Auch aus zahlreichen Büchern zum Thema kann man viel Wissen schöpfen; Literatur ersetzt aber natürlich nicht das Erlernen, Üben und die praktische Erfahrung. Wer sich wirklich gut in die Materie einarbeiten will, sollte am besten einen Kurs besuchen. Die therapeutische Akupressur sollte aber letztlich immer den Profis überlassen bleiben. Unter manchen Bedingungen sollte eine Akupressur-Behandlung niemals stattfinden, zum Beispiel wenn der Patient sehr müde oder alkoholisiert ist und wenn er gerade gegessen hat. Behandler und Behandelter sollten gleichermaßen entspannt sein, die Anwendung erfordert Ruhe und eine angenehme, gut gelüftete Umgebung. Bei schwangeren Frauen sowie bei Patienten mit akuten Hauterkrankungen und Infektionen sowie Herz-Kreislauf-Störungen und Krampfadern darf die Akupressur gar nicht angewendet werden.

Zur Vertiefung: Die zwölf Hauptmeridiane und ihre wirkungsvollsten Akupressur-Punkte

Lungen-Meridian/Akupressur-Punkt LU-7 Der Lungen-Meridian hat elf Akupressur-Punkte und verläuft von der Innenseite des Arms bis zum Daumen. Der siebte Punkt befindet sich auf der Daumenseite, etwa im Bereich des herausstehenden Knochens am Handgelenk. Dieser Punkt kann Asthma und Atemnot sowie  Nacken-, Hals- und Kopfschmerzen, Migräne und Erkältungsbeschwerden lindern. Dickdarm-Meridian/Akupressur-Punkt LI-4 Der Dickdarm-Meridian mit 20 Akupressur-Punkten reicht vom Zeigefinger über die Armaußenseite bis zum Nasenflügel. Der vierte Punkt befindet sich genau dort, wo sich in der Vertiefung der Hand die Daumen- und Zeigefingerknochen treffen. Er gilt als sehr wirkungsvoller Anti-Schmerz-Punkt und wird auch bei Entzündungen und Verdauungsstörungen aktiviert. Magen-Meridian/Akupressur-Punkt ST-36 Dieser Meridian beginnt unter dem Auge, von dort führt ein Zweig zur Wange, ein weiterer Zweig verläuft über Hals, Brust und Bauch bis in die zweite Zehe. Von den 45 Akupressur-Punkten ist der 36. Punkt bedeutend; er befindet sich etwa vier Fingerbreit unter der Kniescheibe. Er kann Verdauungsprobleme beheben und die Behandlung von Diabetes  und Arthritis unterstützen sowie allgemein zu mehr Vitalität und Kraft verhelfen. Milz-Meridian/Akupressur-Punkt SP-6 Die 21 Akupressurpunkte auf dem Milz-Meridian sitzen zwischen dem großen Zeh und der Brust. Der sechste Punkt befindet sich am inneren Unterschenkel über dem Knöchel. Wird er aktiviert, kann er bei Verdauungsproblemen, Stress, Erschöpfung und Angst helfen. Herz-Meridian/Akupressur-Punkt HT-7 Der Herz-Meridian hat neun Akupressur-Punkte und läuft von der Achselhöhe entlang der Arminnenseite bis zum kleinen Finger. Der siebte Punkt liegt in der Handgelenksfalte, genau auf dem Knochen zwischen dem Daumen und dem kleinen Finger. Man aktiviert ihn bei Herzproblemen sowie bei depressiven Verstimmungen, innerer Unruhe und Schlafstörungen. Dünndarm-Meridian/Akupressur-Punkt SI-19 Dieser Meridian besitzt 19 Akupressurpunkte und reicht vom kleinen Finger über die Armaußenseite bis zum Ohr. Der 19. Punkt befindet sich in der Vertiefung vor dem Ohr, die man beim Öffnen des Mundes spürt. Er kommt bei allen Ohrbeschwerden zum Einsatz. Blasen-Meridian/Akupressur-Punkt BL-40 Der Blasen-Meridian läuft vom Kopf aus über den Nacken, die Wirbelsäule und die Hinterseite des Schenkels bis zum kleinen Zeh. Er hat 67 Akupressur-Punkte, der 40ste befindet sich in der Kniekehle zwischen zwei Sehnen. Man stimuliert ihn bei Schmerzen in den Knien, im Rücken und in der Hüfte sowie bei Haut- und Magen-Darm-Problemen. Nieren-Meridian/Akupressur-Punkt KI-3 Insgesamt 27 Akupressur-Punkte liegen auf dem Nieren-Meridian, der sich von der Fußsohle über Schenkelinnenseite und Bauch bis zur Brust zieht. Der dritte Punkt befindet sich an der Fußinnenseite zwischen Achillessehne und Knöchel. Er kann verschiedene Schmerzen lindern sowie bei Tinnitus, Asthma, Schlafproblemen und Menstruationsbeschwerden helfen. Perikard-Meridian/Akupressur-Punkt PC-7 Mit seinen neun Akupressur-Punkten verläuft dieser Meridian von der Achselhöhle über die Arminnenseite bis zum Mittelfinger. Den siebten Punkt findet man in der Mitte des Handgelenks zwischen den beiden Sehnen. Er wird kreisförmig entgegen des Uhrzeigersinns massiert und kann dadurch Brustschmerzen, Hitzewallungen und Herzrasen sowie Gastritis therapieren. 3-facher-Erwärmer-Meridian/Akupressur-Punkt SJ-5 23 Akupressur-Punkte sitzen auf diesem Meridian. Er verläuft vom Ringfinger über Außenarm, Schulter und Ohr bis zum äußeren Ende der Augenbraue. Der fünfte Punkt ist auf dem äußeren Unterarm in Richtung Ellbogen, in der Vertiefung zwischen Sehnen und Knochen, positioniert. Er kann bei verschiedenen Schmerzen helfen. Gallenblasen-Meridian/Akupressur-Punkt GB-20 Der Gallenblasen-Meridian mit seinen 44 Akupressur-Punkten läuft von der Außenseite des Auges hinter dem Ohr an der Kopfaußenseite und den Rippen, der Lende und der Schenkelaußenseite entlang bis hinunter zum zweitkleinsten Zeh. Der 20. Punkt befindet sich in der Vertiefung zwischen Nacken und Ohr und wird bei Fieber und Erkältung sowie bei Kopf- und Nackenschmerzen, Bluthochdruck und Augenbeschwerden stimuliert. Leber- Meridian/Akupressur-Punkt LR-3 Auf dem Leber-Meridian befinden sich 14 Akupressur-Punkte. Der Meridian läuft vom großen Zeh über die Schenkelinnenseite und den Bauch bis zur Brust. Der dritte Punkt hat seinen Platz auf dem Fuß, in der Vertiefung zwischen dem großen und dem zweitgrößten Zeh. Er wird kreisförmig gegen den Uhrzeigersinn massiert und gegen Kopf- und Menstruationsschmerzen sowie Stress und Nervosität eingesetzt.

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Helga Boschitz
Autor: Helga Boschitz

Helga Boschitz, Jahrgang 1966, ist freie Journalistin und Texterin, lebt in Nürnberg und gehört seit Januar 2016 zum apomio.de-Team. Nach Studium und Ausbildung arbeitete sie seit Anfang der 1990er-Jahre als Magazinredakteurin und Moderatorin in Hörfunk- und Fernsehredaktionen u.a. beim Südwestrundfunk, Hessischen Rundfunk und Westdeutschen Rundfunk. Medizin- und Verbraucherthemen sind ihr aus ihrer Arbeit für das Magazin „Schrot und Korn“ sowie aus verschiedenen Tätigkeiten als Texterin vertraut.

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